Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Eduard von L?artmanns Vorschläge zur Wahlreform
Dr. Georg I- plotke von

Ws ist merkwürdig, daß bei der Erörterung schwebender Fragen in
diesem Kriege sehr oft in der deutschen Presse die historische
Bildung versagt, deren wir Deutsche uns sonst mit Recht zu
rühmen haben. Eine Anzahl von Männern, wie die geistigen
Führer des achtundvierziger Parlaments, ferner Männer wie
Gustav Freyiag, Heinrich von Treitschke und Eduard von Hartmann, deren
aufrechte nationale Gesinnung nie bezweifelt wurde, und die man früher als
getreue Eckarte ihres Volkes bezeichnete, sind bei den Diskussionen über Zeit¬
probleme, über gegenwärtige Forderungen und Entwicklungen unseres politischen
Lebens eigentlich nie zu Worte gekommen. Es spricht sich in diesem Übersehen
verflossener Leistung und Anregung mindestens ein Mangel an geistiger Ökonomie
aus, ohne daß damit einem uferlosen Historizismus das Wort geredet werden soll.

Die Tatsache, daß Hartmann Offizier war, begründete eigentlich den
Aktivismus seiner Philosophie, die ihn dazu führte, in einer Umkehrung aller
christlichen Auffassung die Erlösung Gottes durch den vervollkommneten und
bewußt gewordenen Menschen zu lehren. Hand in Hand 'mit diesem Tätig¬
keitsdrang des Philosophen, seiner echt deutschen verinnerlichenden Gründlichkeit,
geht seine Anteilnahme am politischen Leben, deren starke Spuren wir in einer
Anzahl seiner Aufsätze in der "Gegenwart", den "Grenzboten" und der Wochen¬
schrift "Im neuen Reich", wesentlich aus dem Anfang der achtziger Jahre
wiederfinden. Diese Abhandlungen sind in einer leichten Überarbeitung in
seinem Buch "Zwei Jahrzehnte deutscher Politik und die gegenwärtige Welt¬
lage" gesammelt, und es ist verblüffend, wie lückenlos, uns diese Aufsätze ein
Stück unserer politischen Geschichte wiedererleben lassen, weil sie eben von einem
organisierten Geiste als organisiertes Geschehen erkannt worden sind. Ein Teil
der Aufsätze, auf deren Gesamtheit ich hiermit nachdrücklich hinweisen möchte,
wirkt wie Rufe in diese Zeit, so eng ist die Fühlung Eduard von Hartmanns
mit allgemeinen kulturellen Forderungen und den speziellen Entwicklungs-
gedanken. Dabei möchte ich es nicht unterlassen, die Verschiedenheit meines
persönlichen politischen Standpunktes im Vergleich zu dem Eduard von Hart¬
manns zu betonen.

Der achtzehnte Aufsatz der vorgenannten Sammlung befaßt sich mit der
dringenden Neformbedürftigkeit der Wahlgesetze und bringt Vorschläge für deren




Eduard von L?artmanns Vorschläge zur Wahlreform
Dr. Georg I- plotke von

Ws ist merkwürdig, daß bei der Erörterung schwebender Fragen in
diesem Kriege sehr oft in der deutschen Presse die historische
Bildung versagt, deren wir Deutsche uns sonst mit Recht zu
rühmen haben. Eine Anzahl von Männern, wie die geistigen
Führer des achtundvierziger Parlaments, ferner Männer wie
Gustav Freyiag, Heinrich von Treitschke und Eduard von Hartmann, deren
aufrechte nationale Gesinnung nie bezweifelt wurde, und die man früher als
getreue Eckarte ihres Volkes bezeichnete, sind bei den Diskussionen über Zeit¬
probleme, über gegenwärtige Forderungen und Entwicklungen unseres politischen
Lebens eigentlich nie zu Worte gekommen. Es spricht sich in diesem Übersehen
verflossener Leistung und Anregung mindestens ein Mangel an geistiger Ökonomie
aus, ohne daß damit einem uferlosen Historizismus das Wort geredet werden soll.

Die Tatsache, daß Hartmann Offizier war, begründete eigentlich den
Aktivismus seiner Philosophie, die ihn dazu führte, in einer Umkehrung aller
christlichen Auffassung die Erlösung Gottes durch den vervollkommneten und
bewußt gewordenen Menschen zu lehren. Hand in Hand 'mit diesem Tätig¬
keitsdrang des Philosophen, seiner echt deutschen verinnerlichenden Gründlichkeit,
geht seine Anteilnahme am politischen Leben, deren starke Spuren wir in einer
Anzahl seiner Aufsätze in der „Gegenwart", den „Grenzboten" und der Wochen¬
schrift „Im neuen Reich", wesentlich aus dem Anfang der achtziger Jahre
wiederfinden. Diese Abhandlungen sind in einer leichten Überarbeitung in
seinem Buch „Zwei Jahrzehnte deutscher Politik und die gegenwärtige Welt¬
lage" gesammelt, und es ist verblüffend, wie lückenlos, uns diese Aufsätze ein
Stück unserer politischen Geschichte wiedererleben lassen, weil sie eben von einem
organisierten Geiste als organisiertes Geschehen erkannt worden sind. Ein Teil
der Aufsätze, auf deren Gesamtheit ich hiermit nachdrücklich hinweisen möchte,
wirkt wie Rufe in diese Zeit, so eng ist die Fühlung Eduard von Hartmanns
mit allgemeinen kulturellen Forderungen und den speziellen Entwicklungs-
gedanken. Dabei möchte ich es nicht unterlassen, die Verschiedenheit meines
persönlichen politischen Standpunktes im Vergleich zu dem Eduard von Hart¬
manns zu betonen.

Der achtzehnte Aufsatz der vorgenannten Sammlung befaßt sich mit der
dringenden Neformbedürftigkeit der Wahlgesetze und bringt Vorschläge für deren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330442"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Eduard von L?artmanns Vorschläge zur Wahlreform<lb/><note type="byline"> Dr. Georg I- plotke</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1483"> Ws ist merkwürdig, daß bei der Erörterung schwebender Fragen in<lb/>
diesem Kriege sehr oft in der deutschen Presse die historische<lb/>
Bildung versagt, deren wir Deutsche uns sonst mit Recht zu<lb/>
rühmen haben. Eine Anzahl von Männern, wie die geistigen<lb/>
Führer des achtundvierziger Parlaments, ferner Männer wie<lb/>
Gustav Freyiag, Heinrich von Treitschke und Eduard von Hartmann, deren<lb/>
aufrechte nationale Gesinnung nie bezweifelt wurde, und die man früher als<lb/>
getreue Eckarte ihres Volkes bezeichnete, sind bei den Diskussionen über Zeit¬<lb/>
probleme, über gegenwärtige Forderungen und Entwicklungen unseres politischen<lb/>
Lebens eigentlich nie zu Worte gekommen. Es spricht sich in diesem Übersehen<lb/>
verflossener Leistung und Anregung mindestens ein Mangel an geistiger Ökonomie<lb/>
aus, ohne daß damit einem uferlosen Historizismus das Wort geredet werden soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1484"> Die Tatsache, daß Hartmann Offizier war, begründete eigentlich den<lb/>
Aktivismus seiner Philosophie, die ihn dazu führte, in einer Umkehrung aller<lb/>
christlichen Auffassung die Erlösung Gottes durch den vervollkommneten und<lb/>
bewußt gewordenen Menschen zu lehren. Hand in Hand 'mit diesem Tätig¬<lb/>
keitsdrang des Philosophen, seiner echt deutschen verinnerlichenden Gründlichkeit,<lb/>
geht seine Anteilnahme am politischen Leben, deren starke Spuren wir in einer<lb/>
Anzahl seiner Aufsätze in der &#x201E;Gegenwart", den &#x201E;Grenzboten" und der Wochen¬<lb/>
schrift &#x201E;Im neuen Reich", wesentlich aus dem Anfang der achtziger Jahre<lb/>
wiederfinden. Diese Abhandlungen sind in einer leichten Überarbeitung in<lb/>
seinem Buch &#x201E;Zwei Jahrzehnte deutscher Politik und die gegenwärtige Welt¬<lb/>
lage" gesammelt, und es ist verblüffend, wie lückenlos, uns diese Aufsätze ein<lb/>
Stück unserer politischen Geschichte wiedererleben lassen, weil sie eben von einem<lb/>
organisierten Geiste als organisiertes Geschehen erkannt worden sind. Ein Teil<lb/>
der Aufsätze, auf deren Gesamtheit ich hiermit nachdrücklich hinweisen möchte,<lb/>
wirkt wie Rufe in diese Zeit, so eng ist die Fühlung Eduard von Hartmanns<lb/>
mit allgemeinen kulturellen Forderungen und den speziellen Entwicklungs-<lb/>
gedanken. Dabei möchte ich es nicht unterlassen, die Verschiedenheit meines<lb/>
persönlichen politischen Standpunktes im Vergleich zu dem Eduard von Hart¬<lb/>
manns zu betonen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1485" next="#ID_1486"> Der achtzehnte Aufsatz der vorgenannten Sammlung befaßt sich mit der<lb/>
dringenden Neformbedürftigkeit der Wahlgesetze und bringt Vorschläge für deren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0342] Eduard von L?artmanns Vorschläge zur Wahlreform Dr. Georg I- plotke von Ws ist merkwürdig, daß bei der Erörterung schwebender Fragen in diesem Kriege sehr oft in der deutschen Presse die historische Bildung versagt, deren wir Deutsche uns sonst mit Recht zu rühmen haben. Eine Anzahl von Männern, wie die geistigen Führer des achtundvierziger Parlaments, ferner Männer wie Gustav Freyiag, Heinrich von Treitschke und Eduard von Hartmann, deren aufrechte nationale Gesinnung nie bezweifelt wurde, und die man früher als getreue Eckarte ihres Volkes bezeichnete, sind bei den Diskussionen über Zeit¬ probleme, über gegenwärtige Forderungen und Entwicklungen unseres politischen Lebens eigentlich nie zu Worte gekommen. Es spricht sich in diesem Übersehen verflossener Leistung und Anregung mindestens ein Mangel an geistiger Ökonomie aus, ohne daß damit einem uferlosen Historizismus das Wort geredet werden soll. Die Tatsache, daß Hartmann Offizier war, begründete eigentlich den Aktivismus seiner Philosophie, die ihn dazu führte, in einer Umkehrung aller christlichen Auffassung die Erlösung Gottes durch den vervollkommneten und bewußt gewordenen Menschen zu lehren. Hand in Hand 'mit diesem Tätig¬ keitsdrang des Philosophen, seiner echt deutschen verinnerlichenden Gründlichkeit, geht seine Anteilnahme am politischen Leben, deren starke Spuren wir in einer Anzahl seiner Aufsätze in der „Gegenwart", den „Grenzboten" und der Wochen¬ schrift „Im neuen Reich", wesentlich aus dem Anfang der achtziger Jahre wiederfinden. Diese Abhandlungen sind in einer leichten Überarbeitung in seinem Buch „Zwei Jahrzehnte deutscher Politik und die gegenwärtige Welt¬ lage" gesammelt, und es ist verblüffend, wie lückenlos, uns diese Aufsätze ein Stück unserer politischen Geschichte wiedererleben lassen, weil sie eben von einem organisierten Geiste als organisiertes Geschehen erkannt worden sind. Ein Teil der Aufsätze, auf deren Gesamtheit ich hiermit nachdrücklich hinweisen möchte, wirkt wie Rufe in diese Zeit, so eng ist die Fühlung Eduard von Hartmanns mit allgemeinen kulturellen Forderungen und den speziellen Entwicklungs- gedanken. Dabei möchte ich es nicht unterlassen, die Verschiedenheit meines persönlichen politischen Standpunktes im Vergleich zu dem Eduard von Hart¬ manns zu betonen. Der achtzehnte Aufsatz der vorgenannten Sammlung befaßt sich mit der dringenden Neformbedürftigkeit der Wahlgesetze und bringt Vorschläge für deren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/342
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/342>, abgerufen am 22.12.2024.