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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Mütter
Katharina von Sander oor

^M-illa Bernecker schnallte mit einem leisen Seufzer ihr Malgepäck
zusammen und schob den Faltstuhl in den Tragriemen.

Sie strich die Haare aus der Stirn und sah mit scharfen
Augen hinüber zu dem dicken alten Schloßturm, dessen Uhr sie
erkennen konnte. Es war wirklich keine Zeit zu verlieren. Mit
langen Schritten lief sie den Wiesenhügel hinunter in das Tal, in dem die
kleine Stadt behaglich eingefaltet lag.

Sie mußte ins Schloß, der Frau Herzogin Malstunde geben.

Ihren schönen Studienmorgen unterbrach sie nicht gern und sie hätte es
für niemand sonst getan. Für Geld nun einmal ganz gewiß nicht. Doch dies
war anders. Es ging ein weicher Schein über Tillas Gesicht, als sie daran
dachte, wie anders dies war.

An ihr vorüber trieb das beschauliche Vormittagsleben der kleinen Stadt,
in der niemand Eile zu haben schien, außer ihr. Man wich ihren schnellen
Schritten und ihrem Malgepäck rechtzeitig aus. Sie wurde viel gegrüßt. Man
erinnerte sich, daß ihr Vater gerade so ins Schloß gestürmt war, zu dem jungen
Herzog, den er unterrichtete, und von da in sein Kolleg, mit freundlichen, kurz¬
sichtigen Augen, immer als ob es brennte und immer zu spät.

Tilla Bernecker hatte die Tradition für sich.

Sie bog über den alten Flachsmarkt mit seinem zierlichen Brunnen und
in die leise ansteigende Schloßstraße. Das Schloß lag vor ihr. einen Goldton
in den alten Quadern, der sie immer von neuem freute.

Sie nickte dem dicken Schloßportier zu und lief die Stufen der Mittel¬
treppe hinauf, mit Malgepäck und Klappstuhl. Oben stand Breitenbach, der
behäbige Kammerlakei in seiner schwarzen Livree mit silbernen Tressen. Er
wollte ihr das Gepäck abnehmen, aber sie wehrte sich und so ließ er sie denn,
wenn auch mit deutlichem Protest in den Augen, in das Vorzimmer eintreten,
in dem Fräulein von Raven mit einem gewaltigen Strickzeug an einem der
Fenster saß.

Sie ließ ein paar Maschen fallen, als Tilla in ihrer brüsten Art eintrat
und nahm schnell die Brille von der Nase, die sie nur trug, wenn von den
Hoheiten niemand zugegen war. Als sie Tilla erkannte, setzte sie sie schleunigst
wieder auf.

"O, Sie sind es, meine Liebe," sagte sie und trat ihr einen Schritt ent¬
gegen. "Ich glaubte fast, seine Hoheit -- Hoheit kommen manchmal etwas
plötzlich. Setzen Sie sich, bitte. Sie müssen sich noch, gedulden. Ihre Hoheit
musizieren noch."

Tilla schüttelte ihr die Hand und setzte sich dem kleinen, farblosen
Fräulein gegenüber auf einen Sessel. Leise Geigentöne kamen aus einem
fernen Zimmer.




Mütter
Katharina von Sander oor

^M-illa Bernecker schnallte mit einem leisen Seufzer ihr Malgepäck
zusammen und schob den Faltstuhl in den Tragriemen.

Sie strich die Haare aus der Stirn und sah mit scharfen
Augen hinüber zu dem dicken alten Schloßturm, dessen Uhr sie
erkennen konnte. Es war wirklich keine Zeit zu verlieren. Mit
langen Schritten lief sie den Wiesenhügel hinunter in das Tal, in dem die
kleine Stadt behaglich eingefaltet lag.

Sie mußte ins Schloß, der Frau Herzogin Malstunde geben.

Ihren schönen Studienmorgen unterbrach sie nicht gern und sie hätte es
für niemand sonst getan. Für Geld nun einmal ganz gewiß nicht. Doch dies
war anders. Es ging ein weicher Schein über Tillas Gesicht, als sie daran
dachte, wie anders dies war.

An ihr vorüber trieb das beschauliche Vormittagsleben der kleinen Stadt,
in der niemand Eile zu haben schien, außer ihr. Man wich ihren schnellen
Schritten und ihrem Malgepäck rechtzeitig aus. Sie wurde viel gegrüßt. Man
erinnerte sich, daß ihr Vater gerade so ins Schloß gestürmt war, zu dem jungen
Herzog, den er unterrichtete, und von da in sein Kolleg, mit freundlichen, kurz¬
sichtigen Augen, immer als ob es brennte und immer zu spät.

Tilla Bernecker hatte die Tradition für sich.

Sie bog über den alten Flachsmarkt mit seinem zierlichen Brunnen und
in die leise ansteigende Schloßstraße. Das Schloß lag vor ihr. einen Goldton
in den alten Quadern, der sie immer von neuem freute.

Sie nickte dem dicken Schloßportier zu und lief die Stufen der Mittel¬
treppe hinauf, mit Malgepäck und Klappstuhl. Oben stand Breitenbach, der
behäbige Kammerlakei in seiner schwarzen Livree mit silbernen Tressen. Er
wollte ihr das Gepäck abnehmen, aber sie wehrte sich und so ließ er sie denn,
wenn auch mit deutlichem Protest in den Augen, in das Vorzimmer eintreten,
in dem Fräulein von Raven mit einem gewaltigen Strickzeug an einem der
Fenster saß.

Sie ließ ein paar Maschen fallen, als Tilla in ihrer brüsten Art eintrat
und nahm schnell die Brille von der Nase, die sie nur trug, wenn von den
Hoheiten niemand zugegen war. Als sie Tilla erkannte, setzte sie sie schleunigst
wieder auf.

„O, Sie sind es, meine Liebe," sagte sie und trat ihr einen Schritt ent¬
gegen. „Ich glaubte fast, seine Hoheit — Hoheit kommen manchmal etwas
plötzlich. Setzen Sie sich, bitte. Sie müssen sich noch, gedulden. Ihre Hoheit
musizieren noch."

Tilla schüttelte ihr die Hand und setzte sich dem kleinen, farblosen
Fräulein gegenüber auf einen Sessel. Leise Geigentöne kamen aus einem
fernen Zimmer.


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[0321] [Abbildung] Mütter Katharina von Sander oor ^M-illa Bernecker schnallte mit einem leisen Seufzer ihr Malgepäck zusammen und schob den Faltstuhl in den Tragriemen. Sie strich die Haare aus der Stirn und sah mit scharfen Augen hinüber zu dem dicken alten Schloßturm, dessen Uhr sie erkennen konnte. Es war wirklich keine Zeit zu verlieren. Mit langen Schritten lief sie den Wiesenhügel hinunter in das Tal, in dem die kleine Stadt behaglich eingefaltet lag. Sie mußte ins Schloß, der Frau Herzogin Malstunde geben. Ihren schönen Studienmorgen unterbrach sie nicht gern und sie hätte es für niemand sonst getan. Für Geld nun einmal ganz gewiß nicht. Doch dies war anders. Es ging ein weicher Schein über Tillas Gesicht, als sie daran dachte, wie anders dies war. An ihr vorüber trieb das beschauliche Vormittagsleben der kleinen Stadt, in der niemand Eile zu haben schien, außer ihr. Man wich ihren schnellen Schritten und ihrem Malgepäck rechtzeitig aus. Sie wurde viel gegrüßt. Man erinnerte sich, daß ihr Vater gerade so ins Schloß gestürmt war, zu dem jungen Herzog, den er unterrichtete, und von da in sein Kolleg, mit freundlichen, kurz¬ sichtigen Augen, immer als ob es brennte und immer zu spät. Tilla Bernecker hatte die Tradition für sich. Sie bog über den alten Flachsmarkt mit seinem zierlichen Brunnen und in die leise ansteigende Schloßstraße. Das Schloß lag vor ihr. einen Goldton in den alten Quadern, der sie immer von neuem freute. Sie nickte dem dicken Schloßportier zu und lief die Stufen der Mittel¬ treppe hinauf, mit Malgepäck und Klappstuhl. Oben stand Breitenbach, der behäbige Kammerlakei in seiner schwarzen Livree mit silbernen Tressen. Er wollte ihr das Gepäck abnehmen, aber sie wehrte sich und so ließ er sie denn, wenn auch mit deutlichem Protest in den Augen, in das Vorzimmer eintreten, in dem Fräulein von Raven mit einem gewaltigen Strickzeug an einem der Fenster saß. Sie ließ ein paar Maschen fallen, als Tilla in ihrer brüsten Art eintrat und nahm schnell die Brille von der Nase, die sie nur trug, wenn von den Hoheiten niemand zugegen war. Als sie Tilla erkannte, setzte sie sie schleunigst wieder auf. „O, Sie sind es, meine Liebe," sagte sie und trat ihr einen Schritt ent¬ gegen. „Ich glaubte fast, seine Hoheit — Hoheit kommen manchmal etwas plötzlich. Setzen Sie sich, bitte. Sie müssen sich noch, gedulden. Ihre Hoheit musizieren noch." Tilla schüttelte ihr die Hand und setzte sich dem kleinen, farblosen Fräulein gegenüber auf einen Sessel. Leise Geigentöne kamen aus einem fernen Zimmer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/321>, abgerufen am 27.07.2024.