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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Ist die Bekanntmachung des Bundesrath
zur Entlastung der Gerichte vom 9. September M5
rechtsgültig?
or. Aurt peschke von

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mM-m 1. Oktober ist die Bekanntmachung des Bundesrath zur Ent¬
lastung der Gerichte vom 9. September 1915 in Kraft getreten.
Von diesem Zeitpunkte an ist für Zahlungsansprüche auch vor
den Landgerichten das Mahnverfahren Regel, insbesondere auch
' für Urkunden- und Wechselprozesse, dasselbe Verfahren wird vor
den Amtsgerichten erweitert, Berufung und Beschwerde in geringfügigen Sachen
werden ausgeschlossen, die mündliche Schlußverhandlung kann im Einverständnis der
Parteien wegfallen, das Urteil kann abgekürzt werden, und so einige minder wichtige
Erleichterungen mehr. Eingeleitet ist die Bekanntmachung mit der üblichen Formel:

Der Bundesrat hat auf Grund des H 3 des Gesetzes über die
Ermächtigung des Bundesrath zu wirtschaftlichen Maßnahmen usw. vom
4. August 1914 (Reichs-Gesetzblatt S. 327) folgendeVerordnung erlassen:..

Im Z 3 a. a. O. liest man:

Der Bundesrat wird ermächtigt, während der Zeit des Krieges
diejenigen Maßnahmen anzuordnen, welche sich zur Abhilfe wirtschaftlicher
Schädigungen als notwendig erweisen.

Hält sich die Bekanntmachung vom 9. September 1915 im Rahmen dieser
Ermächtigung? Diese Frage dürfte bald Gelehrte und Gerichte ernsthaft beschäftigen;
denn der Richter, der nur dem Gesetze unterworfen ist, hat nicht nur das Recht,
sondern die Pflicht, die bundesrätlichen Bekanntmachungen auf ihre gesetzliche
Grundlage hin zu prüfen. Reichsgesetze darf der Bundesrat aber nur abändern,
wenn es zur Abhilfe wirtschaftlicher Schädigungen notwendig ist. Nun läßt
sich schließlich jede Gesetzesänderung mit einem wirtschaftlichen Zweck recht¬
fertigen; eine ganze Reihe unpraktischer, formalistischer Vorschriften unseres
bürgerlichen und prozessualer Rechtes sind in letzter Linie auch eine Schädigung der
gesamten Volkswirtschaft. Sollte der Bundesrat hier überall reformieren dürfen,
so kann er uns über Nacht auch mit einer neuen Gerichtsorganisation, einem
neuen Erbrecht und dergleichen beglücken. Das war aber offenbar nicht die
Meinung der Ermächtigung, zu welcher die Begründung ausdrücklich hervor¬
hebt, daß Änderungen der sozialpolitischen und der Arbeiterschutzgesetze dabei
nicht in Betracht kommen (in die Angestelltenverstcherung hat der Bundesrat gleich




Ist die Bekanntmachung des Bundesrath
zur Entlastung der Gerichte vom 9. September M5
rechtsgültig?
or. Aurt peschke von

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mM-m 1. Oktober ist die Bekanntmachung des Bundesrath zur Ent¬
lastung der Gerichte vom 9. September 1915 in Kraft getreten.
Von diesem Zeitpunkte an ist für Zahlungsansprüche auch vor
den Landgerichten das Mahnverfahren Regel, insbesondere auch
' für Urkunden- und Wechselprozesse, dasselbe Verfahren wird vor
den Amtsgerichten erweitert, Berufung und Beschwerde in geringfügigen Sachen
werden ausgeschlossen, die mündliche Schlußverhandlung kann im Einverständnis der
Parteien wegfallen, das Urteil kann abgekürzt werden, und so einige minder wichtige
Erleichterungen mehr. Eingeleitet ist die Bekanntmachung mit der üblichen Formel:

Der Bundesrat hat auf Grund des H 3 des Gesetzes über die
Ermächtigung des Bundesrath zu wirtschaftlichen Maßnahmen usw. vom
4. August 1914 (Reichs-Gesetzblatt S. 327) folgendeVerordnung erlassen:..

Im Z 3 a. a. O. liest man:

Der Bundesrat wird ermächtigt, während der Zeit des Krieges
diejenigen Maßnahmen anzuordnen, welche sich zur Abhilfe wirtschaftlicher
Schädigungen als notwendig erweisen.

Hält sich die Bekanntmachung vom 9. September 1915 im Rahmen dieser
Ermächtigung? Diese Frage dürfte bald Gelehrte und Gerichte ernsthaft beschäftigen;
denn der Richter, der nur dem Gesetze unterworfen ist, hat nicht nur das Recht,
sondern die Pflicht, die bundesrätlichen Bekanntmachungen auf ihre gesetzliche
Grundlage hin zu prüfen. Reichsgesetze darf der Bundesrat aber nur abändern,
wenn es zur Abhilfe wirtschaftlicher Schädigungen notwendig ist. Nun läßt
sich schließlich jede Gesetzesänderung mit einem wirtschaftlichen Zweck recht¬
fertigen; eine ganze Reihe unpraktischer, formalistischer Vorschriften unseres
bürgerlichen und prozessualer Rechtes sind in letzter Linie auch eine Schädigung der
gesamten Volkswirtschaft. Sollte der Bundesrat hier überall reformieren dürfen,
so kann er uns über Nacht auch mit einer neuen Gerichtsorganisation, einem
neuen Erbrecht und dergleichen beglücken. Das war aber offenbar nicht die
Meinung der Ermächtigung, zu welcher die Begründung ausdrücklich hervor¬
hebt, daß Änderungen der sozialpolitischen und der Arbeiterschutzgesetze dabei
nicht in Betracht kommen (in die Angestelltenverstcherung hat der Bundesrat gleich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/39>, abgerufen am 22.07.2024.