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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Riga in Friedenszeiten
M, Rednas Eine Plauderei von

uf den Pfaden der Hansen durchfurchte die Alexandra das Ostmeer.
Der Stadt strebte sie zu, deren Wurzeln aus der Pionierarbeit
deutscher Kaufleute in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts
hervorgewachsen sind, deren Christentum und Kultur auf durchaus
norddeutscher Grundlage ruhen: Riga, der glänzenden Metropole
des russischen Ostseehandels. Von ihren Fahrten in die westlichen
Kulturländer zurückkehrende Ballen waren an Bord, ein stattliches, frohes Geschlecht;
scharf hebt es sich ab von den ursprünglich eingesessener oder später eingedrungenen
Liven, Letten, Ehlen. Russen. Eine 10000 bis 12000 Mann starke Gruppe
im Deutschen Verein für Livland, wollen sie Hüter des Deutschtums gegen¬
über dem mächtig andringenden Slawentum sein; von der Einwohnerschaft Rigas
machen sie etwas weniger als die Hälfte aus. bilden aber den qualitativ am
höchsten zu wertenden Teil, im Geistes- und Wirtschaftsleben das eigentlich vor¬
wärts treibende Element. Ein leiblich und geistig sympathisches Geschlecht, diese
blonden hochgewachsenen Ballen, das sich nun heimisch fühlt in diesem von
der Natur nicht gerade bevorzugten Uferland an der unteren Dura. Mit
soviel Stolz und Freude sprachen sie von ihrer Heimatstadt, daß die fremden
Reisenden voller Spannung dem Ziel entgegensahen.

Dünamünde -- der Dampfer stoppt. Der russische Lotse wird an Bord
genommen. Einen Augenblick fesselt der große, starke Mann, der in seiner
Leinwandjacke neben den deutschen Kapitän tritt, die allgemeine Aufmerksamkeit;
aber da er nichts sagt und nur zuweilen sein Glas phlegmatisch auf irgend
etwas in der Ferne richtet, so wendet sich das Interesse bald all den verwickelten
Maßnahmen zu, die notwendig sind, um einem Auslandsdampfer das Einlaufen
in einen russischen Hafen zu ermöglichen, zum Beispiel der Zoll- und Pa߬
revision. Ein gerade einscchrendes russisches Torpedoboot, die Befestigungen
von Dünamünde werden neugierig angeschaut, und endlich dampfen wir weiter.
Bald tritt Riga in unseren Horizont, und es wird uns von Minute zu Minute
klarer, daß wir uns einer Stadt der Arbeit nähern. Flöße werden von den
zünftigen Ankerneeken sorgfältig stromab geleitet; an senkrechter Granitmauer
verankert liegen in langer Reihe russische, finnische, skandinavische, hansische
Dampfer, ladend und löschend: Kohlen, Bretter, Eisenbahnschwelleu, landwirt¬
schaftliche Maschinen. Mühlsteine. Weiter stromauf kommen die herrlichen Türme
Rigas in Sicht, in noch größerer Entfernung strebt eine Speicherstadt aus roten
Backsteinbauten empor; Sägemühlen, ein Elevator find in Tätigkeit; kurz: das
Fauchen. Stampfen, Dröhnen der unendlich vielseitigen Arbeit einer gewaltigen
Handelsstadt berührt den Hamburger wie ein Gruß aus den Heimat. Endlich
wird die Alexandra am Kai verdaut. Jeder ergreift sein Handgepäck und wartet
mit kaum gemäßigter Ungeduld, bis der diensttuende Beamte seinen Namen
aufruft. Nun darf nach Empfangnahme des Passes aus seinen Händen der




Riga in Friedenszeiten
M, Rednas Eine Plauderei von

uf den Pfaden der Hansen durchfurchte die Alexandra das Ostmeer.
Der Stadt strebte sie zu, deren Wurzeln aus der Pionierarbeit
deutscher Kaufleute in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts
hervorgewachsen sind, deren Christentum und Kultur auf durchaus
norddeutscher Grundlage ruhen: Riga, der glänzenden Metropole
des russischen Ostseehandels. Von ihren Fahrten in die westlichen
Kulturländer zurückkehrende Ballen waren an Bord, ein stattliches, frohes Geschlecht;
scharf hebt es sich ab von den ursprünglich eingesessener oder später eingedrungenen
Liven, Letten, Ehlen. Russen. Eine 10000 bis 12000 Mann starke Gruppe
im Deutschen Verein für Livland, wollen sie Hüter des Deutschtums gegen¬
über dem mächtig andringenden Slawentum sein; von der Einwohnerschaft Rigas
machen sie etwas weniger als die Hälfte aus. bilden aber den qualitativ am
höchsten zu wertenden Teil, im Geistes- und Wirtschaftsleben das eigentlich vor¬
wärts treibende Element. Ein leiblich und geistig sympathisches Geschlecht, diese
blonden hochgewachsenen Ballen, das sich nun heimisch fühlt in diesem von
der Natur nicht gerade bevorzugten Uferland an der unteren Dura. Mit
soviel Stolz und Freude sprachen sie von ihrer Heimatstadt, daß die fremden
Reisenden voller Spannung dem Ziel entgegensahen.

Dünamünde — der Dampfer stoppt. Der russische Lotse wird an Bord
genommen. Einen Augenblick fesselt der große, starke Mann, der in seiner
Leinwandjacke neben den deutschen Kapitän tritt, die allgemeine Aufmerksamkeit;
aber da er nichts sagt und nur zuweilen sein Glas phlegmatisch auf irgend
etwas in der Ferne richtet, so wendet sich das Interesse bald all den verwickelten
Maßnahmen zu, die notwendig sind, um einem Auslandsdampfer das Einlaufen
in einen russischen Hafen zu ermöglichen, zum Beispiel der Zoll- und Pa߬
revision. Ein gerade einscchrendes russisches Torpedoboot, die Befestigungen
von Dünamünde werden neugierig angeschaut, und endlich dampfen wir weiter.
Bald tritt Riga in unseren Horizont, und es wird uns von Minute zu Minute
klarer, daß wir uns einer Stadt der Arbeit nähern. Flöße werden von den
zünftigen Ankerneeken sorgfältig stromab geleitet; an senkrechter Granitmauer
verankert liegen in langer Reihe russische, finnische, skandinavische, hansische
Dampfer, ladend und löschend: Kohlen, Bretter, Eisenbahnschwelleu, landwirt¬
schaftliche Maschinen. Mühlsteine. Weiter stromauf kommen die herrlichen Türme
Rigas in Sicht, in noch größerer Entfernung strebt eine Speicherstadt aus roten
Backsteinbauten empor; Sägemühlen, ein Elevator find in Tätigkeit; kurz: das
Fauchen. Stampfen, Dröhnen der unendlich vielseitigen Arbeit einer gewaltigen
Handelsstadt berührt den Hamburger wie ein Gruß aus den Heimat. Endlich
wird die Alexandra am Kai verdaut. Jeder ergreift sein Handgepäck und wartet
mit kaum gemäßigter Ungeduld, bis der diensttuende Beamte seinen Namen
aufruft. Nun darf nach Empfangnahme des Passes aus seinen Händen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/358>, abgerufen am 29.06.2024.