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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Pflichtjugendwehr oder wehrhafte Erziehung?

uns die Jetztzeit, die besondere Lage, in der wir uns befinden, die Augen
geöffnet hat über die Bedeutung eines neuen Weges zu dieser staatsbürgerlichen
Erziehung.

In den Turnunterricht unserer Schulen möge dasjenige vom Fachmilitärischen
aufgenommen werden, was für die Erziehung zur Wehrhaftigkeit notwendig ist.
Die "Richtlinien" geben einen guten Führer dabei ab. Es ist auch nicht
unbedingt nötig, nur Offiziere und Unteroffiziere mit dieser "militärischen Er¬
ziehung" zu betrauen, wie Philipp es will. An den Schulen befinden sich
genug Lehrer mit militärischer Bildung, Offiziere und Unteroffiziere der Reserve,
die den fachmilitärischen Zweig der Ausbildung übernehmen könnten. Wo das
nicht der Fall ist, mögen aktive oder inaktive Offiziere herangezogen werden.
Von diesen verlange mau aber außer der militärischen auch eine gründliche
pädagogische Vorbildung. Denn die Jugenderziehung verlangt eine genaue
Kenntnis der körperlichen und geistigen Eigenart der Jugend. Ein guter
Truppenoffizier braucht noch lange kein trefflicher Jugenderzicher zu sein.

Vor allem aber muß das gesamte sehnlicher in unseren deutschen Schulen
in einer derartigen Weise umgestaltet werden, daß es jener allgemein-erzieherischen
Seite der Erziehung zur Wehrhaftigkeit einen günstigen Boden bietet. Dazu
gehört zunächst, daß das an unseren Schulen allmählich größtenteils verloren
gegangene Gemeinschaftsgefühl wieder geschaffen wird. Die Erfahrungen auf
dem Gebiete der freien Jugendpflege haben gezeigt, wie wichtig für dieses
Gemeinschaftsgefühl die Herstellung engerer Jugendverbände ist, die eigener
Mitwirkung der Jugend freien Raum lassen. Deshalb habe ich vorgeschlagen,
die Organisation der Jugendwehr als solcher an den Schulen beizubehalten, die
Klassen Jugendkompagnien, die Schulen Jugendkorps bilden zu lassen und
innerhalb dieser Verbände den Schülern die Möglichkeit der Mitwirkung und
Selbsttätigkeit zu geben. So entsteht an unseren Schulen aufs neue ein Gefühl
der Gemeinschaft, der Kameradschaft zwischen den Schülern untereinander und
zwischen Schülern und Lehrern, und da die gesamte Organisation im Dienste
des vaterländischen Gedankens steht, so ist damit der Grund geschaffen für jene
"Erziehung zur Wehrhaftigkeit", die wir oben schilderten, die in die staats¬
bürgerliche Erziehung in bester Form einmündet.

So scheint mir keineswegs, daß durch die Angliederung der Jugendwehr
an die Schulen "ein Gebilde ohne Fleisch und Blut" entstehe, wie Philipp
meint. Vielmehr glaube ich, daß durch eine solche oder ähnliche Regelung der
"militärischen Jugenderziehung" diese erst den rechten Inhalt, den rechten Geist
erhält. Nicht eine Sonderregelung dieses oder jenes Einzelgebietes unserer
Erziehung ist es, was wir brauchen, sondern eine Erziehungsreform im gesamten
Umfange der Erziehung, und die "Erziehung zur Wehrhaftigkeit" scheint mir
für diese Erziehungsreform einen Inhalt -- aber auch eine Form darzubieten,
die der Erwägung wert sind.




Pflichtjugendwehr oder wehrhafte Erziehung?

uns die Jetztzeit, die besondere Lage, in der wir uns befinden, die Augen
geöffnet hat über die Bedeutung eines neuen Weges zu dieser staatsbürgerlichen
Erziehung.

In den Turnunterricht unserer Schulen möge dasjenige vom Fachmilitärischen
aufgenommen werden, was für die Erziehung zur Wehrhaftigkeit notwendig ist.
Die „Richtlinien" geben einen guten Führer dabei ab. Es ist auch nicht
unbedingt nötig, nur Offiziere und Unteroffiziere mit dieser „militärischen Er¬
ziehung" zu betrauen, wie Philipp es will. An den Schulen befinden sich
genug Lehrer mit militärischer Bildung, Offiziere und Unteroffiziere der Reserve,
die den fachmilitärischen Zweig der Ausbildung übernehmen könnten. Wo das
nicht der Fall ist, mögen aktive oder inaktive Offiziere herangezogen werden.
Von diesen verlange mau aber außer der militärischen auch eine gründliche
pädagogische Vorbildung. Denn die Jugenderziehung verlangt eine genaue
Kenntnis der körperlichen und geistigen Eigenart der Jugend. Ein guter
Truppenoffizier braucht noch lange kein trefflicher Jugenderzicher zu sein.

Vor allem aber muß das gesamte sehnlicher in unseren deutschen Schulen
in einer derartigen Weise umgestaltet werden, daß es jener allgemein-erzieherischen
Seite der Erziehung zur Wehrhaftigkeit einen günstigen Boden bietet. Dazu
gehört zunächst, daß das an unseren Schulen allmählich größtenteils verloren
gegangene Gemeinschaftsgefühl wieder geschaffen wird. Die Erfahrungen auf
dem Gebiete der freien Jugendpflege haben gezeigt, wie wichtig für dieses
Gemeinschaftsgefühl die Herstellung engerer Jugendverbände ist, die eigener
Mitwirkung der Jugend freien Raum lassen. Deshalb habe ich vorgeschlagen,
die Organisation der Jugendwehr als solcher an den Schulen beizubehalten, die
Klassen Jugendkompagnien, die Schulen Jugendkorps bilden zu lassen und
innerhalb dieser Verbände den Schülern die Möglichkeit der Mitwirkung und
Selbsttätigkeit zu geben. So entsteht an unseren Schulen aufs neue ein Gefühl
der Gemeinschaft, der Kameradschaft zwischen den Schülern untereinander und
zwischen Schülern und Lehrern, und da die gesamte Organisation im Dienste
des vaterländischen Gedankens steht, so ist damit der Grund geschaffen für jene
„Erziehung zur Wehrhaftigkeit", die wir oben schilderten, die in die staats¬
bürgerliche Erziehung in bester Form einmündet.

So scheint mir keineswegs, daß durch die Angliederung der Jugendwehr
an die Schulen „ein Gebilde ohne Fleisch und Blut" entstehe, wie Philipp
meint. Vielmehr glaube ich, daß durch eine solche oder ähnliche Regelung der
„militärischen Jugenderziehung" diese erst den rechten Inhalt, den rechten Geist
erhält. Nicht eine Sonderregelung dieses oder jenes Einzelgebietes unserer
Erziehung ist es, was wir brauchen, sondern eine Erziehungsreform im gesamten
Umfange der Erziehung, und die „Erziehung zur Wehrhaftigkeit" scheint mir
für diese Erziehungsreform einen Inhalt — aber auch eine Form darzubieten,
die der Erwägung wert sind.




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[0357] Pflichtjugendwehr oder wehrhafte Erziehung? uns die Jetztzeit, die besondere Lage, in der wir uns befinden, die Augen geöffnet hat über die Bedeutung eines neuen Weges zu dieser staatsbürgerlichen Erziehung. In den Turnunterricht unserer Schulen möge dasjenige vom Fachmilitärischen aufgenommen werden, was für die Erziehung zur Wehrhaftigkeit notwendig ist. Die „Richtlinien" geben einen guten Führer dabei ab. Es ist auch nicht unbedingt nötig, nur Offiziere und Unteroffiziere mit dieser „militärischen Er¬ ziehung" zu betrauen, wie Philipp es will. An den Schulen befinden sich genug Lehrer mit militärischer Bildung, Offiziere und Unteroffiziere der Reserve, die den fachmilitärischen Zweig der Ausbildung übernehmen könnten. Wo das nicht der Fall ist, mögen aktive oder inaktive Offiziere herangezogen werden. Von diesen verlange mau aber außer der militärischen auch eine gründliche pädagogische Vorbildung. Denn die Jugenderziehung verlangt eine genaue Kenntnis der körperlichen und geistigen Eigenart der Jugend. Ein guter Truppenoffizier braucht noch lange kein trefflicher Jugenderzicher zu sein. Vor allem aber muß das gesamte sehnlicher in unseren deutschen Schulen in einer derartigen Weise umgestaltet werden, daß es jener allgemein-erzieherischen Seite der Erziehung zur Wehrhaftigkeit einen günstigen Boden bietet. Dazu gehört zunächst, daß das an unseren Schulen allmählich größtenteils verloren gegangene Gemeinschaftsgefühl wieder geschaffen wird. Die Erfahrungen auf dem Gebiete der freien Jugendpflege haben gezeigt, wie wichtig für dieses Gemeinschaftsgefühl die Herstellung engerer Jugendverbände ist, die eigener Mitwirkung der Jugend freien Raum lassen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, die Organisation der Jugendwehr als solcher an den Schulen beizubehalten, die Klassen Jugendkompagnien, die Schulen Jugendkorps bilden zu lassen und innerhalb dieser Verbände den Schülern die Möglichkeit der Mitwirkung und Selbsttätigkeit zu geben. So entsteht an unseren Schulen aufs neue ein Gefühl der Gemeinschaft, der Kameradschaft zwischen den Schülern untereinander und zwischen Schülern und Lehrern, und da die gesamte Organisation im Dienste des vaterländischen Gedankens steht, so ist damit der Grund geschaffen für jene „Erziehung zur Wehrhaftigkeit", die wir oben schilderten, die in die staats¬ bürgerliche Erziehung in bester Form einmündet. So scheint mir keineswegs, daß durch die Angliederung der Jugendwehr an die Schulen „ein Gebilde ohne Fleisch und Blut" entstehe, wie Philipp meint. Vielmehr glaube ich, daß durch eine solche oder ähnliche Regelung der „militärischen Jugenderziehung" diese erst den rechten Inhalt, den rechten Geist erhält. Nicht eine Sonderregelung dieses oder jenes Einzelgebietes unserer Erziehung ist es, was wir brauchen, sondern eine Erziehungsreform im gesamten Umfange der Erziehung, und die „Erziehung zur Wehrhaftigkeit" scheint mir für diese Erziehungsreform einen Inhalt — aber auch eine Form darzubieten, die der Erwägung wert sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/357>, abgerufen am 01.07.2024.