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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die (Linigung Europas durch den Geist
Lin Traum Goethes und des deutschen Idealismus or. w. Warstat von

er Weltkrieg, der jetzt tobt, kann mit vielem Rechte der deutsch¬
englische Krieg genannt werden. Denn durch englische Treibereien
gegen Deutschland ist er entbrannt, als Englands Vasallen
marschieren die Völker Europas gegen die beiden deutschen Bruder¬
reiche, und letzten Endes soll in ihm die Frage gelöst werden,
ob Deutschland oder England in Zukunft die führende Rolle in der Welt
spielen solle.

Jahrzehntelang vorher schon hat die Ahnung dieses kommenden gewaltigen
Ringens zwischen England und Deutschland wie eine drückende Last auf uns
gelegen, aber immer wieder und wieder hat sich der deutsche Idealismus mit
einem schönen Traum, mit einem schönen Trugbilde über dieses bange Ahnen
hinwegzuhelfen gesucht. Immer wieder hat ein unverwüstlicher deutscher
Idealismus sich mit der Hoffnung geschmeichelt, daß es dem Geiste gelingen
möge, die Kluft zwischen den beiden doch stammverwandten Völkern zu über¬
brücken und daß eine geistige Verständigung, eine kulturelle Annäherung die
immer stärker werdenden politischen und wirtschaftlichen Gegensätze zwischen
diesen beiden Nationen nicht nur, sondern auch zwischen allen Völkern über¬
haupt, ausgleichen könne und werde.

Diese Lieblingsidee des Pazifismus, und zwar des deutschen Pazifismus
im besonderen, diese Idee, daß die allgemeine geistige Kultur hinüberwirken
werde auf das politisch-wirtschaftliche Gebiet, ist schon die Lieblingsidee eines
Mannes gewesen, der wie kein anderer als Vertreter des geistigen Deutschland
mit all seinen Licht- und Schattenseiten angesehen werden muß. nämlich Goethes.

Im Jahre 1824 schrieb ein junger englischer Gelehrter, dessen Name
später auch in Deutschland sich einen guten Klang erworben hat, zum ersten
Male an den hohen Greis in Weimar, an ihn, "das geheimnisvolle Wesen,
dessen Name seit dem Knabenalter wie eine Art Zauberwort seine Phantasie




Die (Linigung Europas durch den Geist
Lin Traum Goethes und des deutschen Idealismus or. w. Warstat von

er Weltkrieg, der jetzt tobt, kann mit vielem Rechte der deutsch¬
englische Krieg genannt werden. Denn durch englische Treibereien
gegen Deutschland ist er entbrannt, als Englands Vasallen
marschieren die Völker Europas gegen die beiden deutschen Bruder¬
reiche, und letzten Endes soll in ihm die Frage gelöst werden,
ob Deutschland oder England in Zukunft die führende Rolle in der Welt
spielen solle.

Jahrzehntelang vorher schon hat die Ahnung dieses kommenden gewaltigen
Ringens zwischen England und Deutschland wie eine drückende Last auf uns
gelegen, aber immer wieder und wieder hat sich der deutsche Idealismus mit
einem schönen Traum, mit einem schönen Trugbilde über dieses bange Ahnen
hinwegzuhelfen gesucht. Immer wieder hat ein unverwüstlicher deutscher
Idealismus sich mit der Hoffnung geschmeichelt, daß es dem Geiste gelingen
möge, die Kluft zwischen den beiden doch stammverwandten Völkern zu über¬
brücken und daß eine geistige Verständigung, eine kulturelle Annäherung die
immer stärker werdenden politischen und wirtschaftlichen Gegensätze zwischen
diesen beiden Nationen nicht nur, sondern auch zwischen allen Völkern über¬
haupt, ausgleichen könne und werde.

Diese Lieblingsidee des Pazifismus, und zwar des deutschen Pazifismus
im besonderen, diese Idee, daß die allgemeine geistige Kultur hinüberwirken
werde auf das politisch-wirtschaftliche Gebiet, ist schon die Lieblingsidee eines
Mannes gewesen, der wie kein anderer als Vertreter des geistigen Deutschland
mit all seinen Licht- und Schattenseiten angesehen werden muß. nämlich Goethes.

Im Jahre 1824 schrieb ein junger englischer Gelehrter, dessen Name
später auch in Deutschland sich einen guten Klang erworben hat, zum ersten
Male an den hohen Greis in Weimar, an ihn, „das geheimnisvolle Wesen,
dessen Name seit dem Knabenalter wie eine Art Zauberwort seine Phantasie


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[0090] [Abbildung] Die (Linigung Europas durch den Geist Lin Traum Goethes und des deutschen Idealismus or. w. Warstat von er Weltkrieg, der jetzt tobt, kann mit vielem Rechte der deutsch¬ englische Krieg genannt werden. Denn durch englische Treibereien gegen Deutschland ist er entbrannt, als Englands Vasallen marschieren die Völker Europas gegen die beiden deutschen Bruder¬ reiche, und letzten Endes soll in ihm die Frage gelöst werden, ob Deutschland oder England in Zukunft die führende Rolle in der Welt spielen solle. Jahrzehntelang vorher schon hat die Ahnung dieses kommenden gewaltigen Ringens zwischen England und Deutschland wie eine drückende Last auf uns gelegen, aber immer wieder und wieder hat sich der deutsche Idealismus mit einem schönen Traum, mit einem schönen Trugbilde über dieses bange Ahnen hinwegzuhelfen gesucht. Immer wieder hat ein unverwüstlicher deutscher Idealismus sich mit der Hoffnung geschmeichelt, daß es dem Geiste gelingen möge, die Kluft zwischen den beiden doch stammverwandten Völkern zu über¬ brücken und daß eine geistige Verständigung, eine kulturelle Annäherung die immer stärker werdenden politischen und wirtschaftlichen Gegensätze zwischen diesen beiden Nationen nicht nur, sondern auch zwischen allen Völkern über¬ haupt, ausgleichen könne und werde. Diese Lieblingsidee des Pazifismus, und zwar des deutschen Pazifismus im besonderen, diese Idee, daß die allgemeine geistige Kultur hinüberwirken werde auf das politisch-wirtschaftliche Gebiet, ist schon die Lieblingsidee eines Mannes gewesen, der wie kein anderer als Vertreter des geistigen Deutschland mit all seinen Licht- und Schattenseiten angesehen werden muß. nämlich Goethes. Im Jahre 1824 schrieb ein junger englischer Gelehrter, dessen Name später auch in Deutschland sich einen guten Klang erworben hat, zum ersten Male an den hohen Greis in Weimar, an ihn, „das geheimnisvolle Wesen, dessen Name seit dem Knabenalter wie eine Art Zauberwort seine Phantasie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/90>, abgerufen am 27.06.2024.