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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Militärgeographische Skizze der russischen Gstseeküste

ausgesetzt sein. Von neuen Bahnprojekten erwähne ich nur die direkte Linie
Moskau--Reval, die südlich des Jlmensees unh nördlich des Peipussees
vorbeiführt, um einerseits den strategisch wichtigen Nordwesten Estlands rasch
aus Jnnerrußland zu erreichen, anderseits die stark besetzte Strecke Moskau--
Petersburg zu entlasten.

Finnland, die Landbrücke zwischen Rußland und Skandinavien ist seit
seiner Erwerbung 1809 das Sorgenkind der russischen Politik gewesen. Es
mußte bisher ihr möglichstes Bestreben sein, dieses vor den Toren ihrer Haupt¬
stadt gelegene, kulturell viel weiter entwickelte und oft feindselig gesinnte Staats¬
gebilde zu russifizieren. Die äußere Politik Rußlands erstrebte schon oft einen
eisfreien Hafen an Norwegens Westküste, und so sind die militärischen Ma߬
nahmen in Finnland ganz auf einen Zusammenstoß mit den skandinavischen
Mächten abgestimmt. Ein Schienenstrang läuft in einiger Entfernung vom Meere
von Petersburg über Wiborg--Rühimäli--Tammerfors--Uleaborg nach Torrea,
wo er seine Fortsetzung auf schwedischen Boden findet. Ihn verbinden acht
Eisenbahnlinien mit den wichtigsten Küstenplätzen, und weitere gehen nach dem
Innern des Landes, und die offensichtlich gegen die schwedische Grenze gerichteten
Pläne zweier neuer strategischer Bahnen durch Finnland sind wohl geeignet, in
Schweden ernste Besorgnisse zu wecken.

Fassen wir kurz zusammen! Die russischen Ostseeprovinzen können recht
gut der Schauplatz selbständiger Operationen werden, wenn die deutsche Ostsee¬
flotte ihre maritime Übermacht in den baltischen Gewässern dazu benutzen wird,
sich der Hauptstadt zu bemächtigen oder auch nur eine Scheinunternehmung
gegen sie in Szene zu setzen, um starke russische Kräfte von Polen fernzuhalten.
Sie vermag aber auch die rückwärtigen Verbindungen der Russen arg zu stören.
Zu Hilfe dürste ihr dabei die gleichgültige, oder eher freundlich gesinnte, allem
russischen Wesen abholde Bevölkerung kommen, den Russen dagegen wird, wie
in vielen Gebieten ihres weiten Reiches, die Natur selbst die Verteidigung
erleichtern. Das Innere Finnlands kommt für unseren Krieg kaum in Betracht,
doch ist es immerhin möglich, daß wir an der Südküste Finnlands Truppen
landen könnten, um Petersburg von der Nordseite her zu bedrohen oder auch nur,
um einen ansehnlichen Teil russischer Streitkräfte hier zu binden. Die finnischen
Eisenbahnen und die verzweigten Seengebiete können nur gegen Schweden eine
Rolle spielen. Vielleicht kommen wir in einem späteren Aufsatze auf die schwedisch¬
russische Politik und die geographischen Verhältnisse der Nordgrenze Rußlands
zurück.

Die wichtigste Literatur.

Die Geographie Finnlands und der russischen Ostseeprovinzen
findet man in den allgemeinen Handbüchern über Rußland behandelt, die ich im Anhange
zu dem Aufsatz "Russisch Polen als Kriegsschauplatz" (Heft 37, S, 398) zusammengestellt
habe. Über die Lage zum gesamten Ostseegebiet unterrichtet vortrefflich das liebenswürdige
Büchlein des Professors der Geographie in Basel Gustav Braun (Das Ostseegebiet. Samm¬
lung : Aus Natur und Geisteswelt Ur. 367, Leipzig, B. G. Teubner 1912).


Militärgeographische Skizze der russischen Gstseeküste

ausgesetzt sein. Von neuen Bahnprojekten erwähne ich nur die direkte Linie
Moskau—Reval, die südlich des Jlmensees unh nördlich des Peipussees
vorbeiführt, um einerseits den strategisch wichtigen Nordwesten Estlands rasch
aus Jnnerrußland zu erreichen, anderseits die stark besetzte Strecke Moskau—
Petersburg zu entlasten.

Finnland, die Landbrücke zwischen Rußland und Skandinavien ist seit
seiner Erwerbung 1809 das Sorgenkind der russischen Politik gewesen. Es
mußte bisher ihr möglichstes Bestreben sein, dieses vor den Toren ihrer Haupt¬
stadt gelegene, kulturell viel weiter entwickelte und oft feindselig gesinnte Staats¬
gebilde zu russifizieren. Die äußere Politik Rußlands erstrebte schon oft einen
eisfreien Hafen an Norwegens Westküste, und so sind die militärischen Ma߬
nahmen in Finnland ganz auf einen Zusammenstoß mit den skandinavischen
Mächten abgestimmt. Ein Schienenstrang läuft in einiger Entfernung vom Meere
von Petersburg über Wiborg—Rühimäli—Tammerfors—Uleaborg nach Torrea,
wo er seine Fortsetzung auf schwedischen Boden findet. Ihn verbinden acht
Eisenbahnlinien mit den wichtigsten Küstenplätzen, und weitere gehen nach dem
Innern des Landes, und die offensichtlich gegen die schwedische Grenze gerichteten
Pläne zweier neuer strategischer Bahnen durch Finnland sind wohl geeignet, in
Schweden ernste Besorgnisse zu wecken.

Fassen wir kurz zusammen! Die russischen Ostseeprovinzen können recht
gut der Schauplatz selbständiger Operationen werden, wenn die deutsche Ostsee¬
flotte ihre maritime Übermacht in den baltischen Gewässern dazu benutzen wird,
sich der Hauptstadt zu bemächtigen oder auch nur eine Scheinunternehmung
gegen sie in Szene zu setzen, um starke russische Kräfte von Polen fernzuhalten.
Sie vermag aber auch die rückwärtigen Verbindungen der Russen arg zu stören.
Zu Hilfe dürste ihr dabei die gleichgültige, oder eher freundlich gesinnte, allem
russischen Wesen abholde Bevölkerung kommen, den Russen dagegen wird, wie
in vielen Gebieten ihres weiten Reiches, die Natur selbst die Verteidigung
erleichtern. Das Innere Finnlands kommt für unseren Krieg kaum in Betracht,
doch ist es immerhin möglich, daß wir an der Südküste Finnlands Truppen
landen könnten, um Petersburg von der Nordseite her zu bedrohen oder auch nur,
um einen ansehnlichen Teil russischer Streitkräfte hier zu binden. Die finnischen
Eisenbahnen und die verzweigten Seengebiete können nur gegen Schweden eine
Rolle spielen. Vielleicht kommen wir in einem späteren Aufsatze auf die schwedisch¬
russische Politik und die geographischen Verhältnisse der Nordgrenze Rußlands
zurück.

Die wichtigste Literatur.

Die Geographie Finnlands und der russischen Ostseeprovinzen
findet man in den allgemeinen Handbüchern über Rußland behandelt, die ich im Anhange
zu dem Aufsatz „Russisch Polen als Kriegsschauplatz" (Heft 37, S, 398) zusammengestellt
habe. Über die Lage zum gesamten Ostseegebiet unterrichtet vortrefflich das liebenswürdige
Büchlein des Professors der Geographie in Basel Gustav Braun (Das Ostseegebiet. Samm¬
lung : Aus Natur und Geisteswelt Ur. 367, Leipzig, B. G. Teubner 1912).


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/88>, abgerufen am 27.06.2024.