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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Militärgcogrciphische Skizze der russischen Vstseeknste

waldigen Projekten zufolge das Gebiet von Reval über die Insel Nargö hinüber nach
dem finnischen Vorgebirge Porkala in ein einziges Sperrfestungsgebiet ver¬
wandelt werden sollte. Reval, das ja neben Baltisch Port verhältnismäßig lange
eisfrei bleibt und durch die modernen großen Eisbrecher unter günstigen Umständen
den ganzen Winter hindurch offen gehalten werden kann, soll als Hauptkriegs¬
hafen mit wichtigen Werften ausgebaut werden. Gegen 200 Millionen Mark
sind für diesen großzügigen Plan bewilligt worden. Der neue Stützpunkt
erhält als Festung wie als Hafen den Namen "Kaiser Peter der Große".
Die Befestigungen werden imstande sein, einen großen Teil der hier nur
40 Kilometer breiten Meerenge mit ihren Geschützen zu bestreichen und sie im
Verein mit der schwimmenden Verteidigung zu sperren. Da auch der Hafen
Sveaborg--Helsingfors weiter ausgebaut werden soll, wird die russische Flotte
an der engsten Stelle des finnischen Meerbusens einen Stützpunkt im Norden
und im Süden besitzen und so seine Einfahrt bequem decken können. Wie weit
diese Pläne schon verwirklicht waren, entzieht sich bei der strengen russischen
Zensur seit 1913 natürlich unserer Kenntnis. Vermutlich hatten die Russen bei
dem weit vorgeschobenen finnischen Hafen Hangö mit den Vorbereitungen schon
begonnen, da sie diesen Hafen, wie in der ersten Kriegswoche bekannt wurde,
eiligst selbst wieder zerstört haben sollen.

Es ist bekannt, daß die russische Marinepolitik im Gegensatz zu früheren
Jahren, jetzt die Ostsee als das für sie seestrategtsch wichtigste Meer betrachtet
und entschlossen ist, die Hauptmacht der Streitkräfte an dieser Stelle zusammen¬
zuziehen. Die starke Flotte, die sie sich hier zu schaffen im Begriff steht, versprach,
bald ein wichtiges politisches Machtmittel zu werden. Nach den Angaben des
kurz vor dem Kriege erschienenen "Nauticus 1914" bestand die baltische Flotte aus
5 Linienschiffen, 6 Panzerkreuzern, 6 geschützten Kreuzern, 77 großen und
13 kleinen Torpedobooten und 20 Unterseebooten. Im Bau sind jedoch
4 Linienschiffe der Gangut-Klasse, die dieses Jahr in Dienst treten sollten,
4 Panzerkreuzer der Nawarin-Klasse für 1916, ferner 6 geschützte Kreuzer,
36 große Torpedoboote und 19 Unterseeboote.

So ist Rußland in Staats- und zum Teil neuen Privatwerften in letzter
Zeit fieberhaft tätig gewesen, das im Jahre 1912 bewilligte Flottenvermehrungs¬
gesetz, das unter dem Namen "Kleines Schiffbauprogramm" bekannt wurde, zu
erledigen, aber auch den Vorbereitungen zu Lande, den Verkehrswegen schenkte
es erhöhte Aufmerksamkeit. Eine wichtige Bahnlinie läuft längs der Südküste
des finnischen Meerbusens von Petersburg über Gatschino, Reval nach Baltisch Port
bzw. Hapsal. Von Reval führen südlich Verbindungen nach Pernau und Riga
und von hier aus weiter nach Windau und Libau. So ist die Möglichkeit
von Truppenverschiebungen längs der Küste zu den wichtigsten Häfen und
landeinwärts gegeben, wenn auch die Leistungsfähigkeit der meist nur eingleisigen
Strecken nicht allzuhoch anzuschlagen ist. Die Bahn längs des finnischen
Busens dürste übrigens leicht Zerstörungen durch ausgeschiffte feindliche Truppen


Militärgcogrciphische Skizze der russischen Vstseeknste

waldigen Projekten zufolge das Gebiet von Reval über die Insel Nargö hinüber nach
dem finnischen Vorgebirge Porkala in ein einziges Sperrfestungsgebiet ver¬
wandelt werden sollte. Reval, das ja neben Baltisch Port verhältnismäßig lange
eisfrei bleibt und durch die modernen großen Eisbrecher unter günstigen Umständen
den ganzen Winter hindurch offen gehalten werden kann, soll als Hauptkriegs¬
hafen mit wichtigen Werften ausgebaut werden. Gegen 200 Millionen Mark
sind für diesen großzügigen Plan bewilligt worden. Der neue Stützpunkt
erhält als Festung wie als Hafen den Namen „Kaiser Peter der Große".
Die Befestigungen werden imstande sein, einen großen Teil der hier nur
40 Kilometer breiten Meerenge mit ihren Geschützen zu bestreichen und sie im
Verein mit der schwimmenden Verteidigung zu sperren. Da auch der Hafen
Sveaborg—Helsingfors weiter ausgebaut werden soll, wird die russische Flotte
an der engsten Stelle des finnischen Meerbusens einen Stützpunkt im Norden
und im Süden besitzen und so seine Einfahrt bequem decken können. Wie weit
diese Pläne schon verwirklicht waren, entzieht sich bei der strengen russischen
Zensur seit 1913 natürlich unserer Kenntnis. Vermutlich hatten die Russen bei
dem weit vorgeschobenen finnischen Hafen Hangö mit den Vorbereitungen schon
begonnen, da sie diesen Hafen, wie in der ersten Kriegswoche bekannt wurde,
eiligst selbst wieder zerstört haben sollen.

Es ist bekannt, daß die russische Marinepolitik im Gegensatz zu früheren
Jahren, jetzt die Ostsee als das für sie seestrategtsch wichtigste Meer betrachtet
und entschlossen ist, die Hauptmacht der Streitkräfte an dieser Stelle zusammen¬
zuziehen. Die starke Flotte, die sie sich hier zu schaffen im Begriff steht, versprach,
bald ein wichtiges politisches Machtmittel zu werden. Nach den Angaben des
kurz vor dem Kriege erschienenen „Nauticus 1914" bestand die baltische Flotte aus
5 Linienschiffen, 6 Panzerkreuzern, 6 geschützten Kreuzern, 77 großen und
13 kleinen Torpedobooten und 20 Unterseebooten. Im Bau sind jedoch
4 Linienschiffe der Gangut-Klasse, die dieses Jahr in Dienst treten sollten,
4 Panzerkreuzer der Nawarin-Klasse für 1916, ferner 6 geschützte Kreuzer,
36 große Torpedoboote und 19 Unterseeboote.

So ist Rußland in Staats- und zum Teil neuen Privatwerften in letzter
Zeit fieberhaft tätig gewesen, das im Jahre 1912 bewilligte Flottenvermehrungs¬
gesetz, das unter dem Namen „Kleines Schiffbauprogramm" bekannt wurde, zu
erledigen, aber auch den Vorbereitungen zu Lande, den Verkehrswegen schenkte
es erhöhte Aufmerksamkeit. Eine wichtige Bahnlinie läuft längs der Südküste
des finnischen Meerbusens von Petersburg über Gatschino, Reval nach Baltisch Port
bzw. Hapsal. Von Reval führen südlich Verbindungen nach Pernau und Riga
und von hier aus weiter nach Windau und Libau. So ist die Möglichkeit
von Truppenverschiebungen längs der Küste zu den wichtigsten Häfen und
landeinwärts gegeben, wenn auch die Leistungsfähigkeit der meist nur eingleisigen
Strecken nicht allzuhoch anzuschlagen ist. Die Bahn längs des finnischen
Busens dürste übrigens leicht Zerstörungen durch ausgeschiffte feindliche Truppen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/87>, abgerufen am 30.06.2024.