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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Militärgeographische Skizze der russischen Gstseeküste
Or. ^ans praesent von

MA
OMeher der kriegerischen Tätigkeit unserer Flotte an der russischen
Ostseeküste liegt der Schleier geheimnisvoller Ungewißheit. Die
Presse mußte allerlei Gerüchte und scheinbar große Ereignisse in
der ersten Augustwoche sofort dementieren, und seitdem konnte
das Kriegstagebuch der Grenzboten außer der heldenmütigen
wirksamen Beschießung des Kriegshafens Libau durch den kleinen Kreuzer
"Augsburg" (2. August), dem Untergang des kleinen Kreuzers "Magdeburg"
(26. August), der bei einem mutigen Vorstoß in den finnischen Meerbusen in
der Nähe der Insel Odensholm im Nebel auf Grund geriet und den größten
Teil der Besatzung unter übermächtigen feindlichen Feuer durch das Torpedo¬
boot V 26 retten mußte und außer der Zerstörung des Panzerkreuzers "Pallada"
(11. Oktober) nichts wesentliches von diesem Kriegsschauplatze vermelden. Das
unvergleichlich schöne Kriegswetter ist nun rauhen und nassen Herbststürmen
gewichen, den Vorboten des nahenden Winters. Und damit taucht ein neuer
unangenehmer Bundesgenosse in diesem Kriegstheater auf, Kälte und Eis, das
die russischen Häfen sperren wird. Sei es nun, daß unsere ostpreußische Armee
weiter nach Nordosten rückt, oder daß wir noch vor Beginn des Winters von
neuen Taten unserer Ostseeflotte hören, oder daß erst im nächsten Frühling ein
Vorstoß auf Rußlands Hauptstadt unternommen werden soll, es wird sich lohnen,
einen Blick auf die geographischen Verhältnisse der russischen Ostseeküste zu werfen
und die strategische Bedeutung der einzelnen Küstenstrecken, wenigstens skizzen¬
haft zu erörtern.

Die russischen Ostseeprovinzen und Finnland unterscheiden sich nach ihrem
ganzen länderkundlichen Habitus beträchtlich vou dem kontinentalen Rußland.
Sie bilden den russischen Anteil am Ostseegebiet, jener großen geographischen
Einheit, die alle die unter dem direkten Einfluß der Ostsee stehenden Gestade¬
länder umfaßt. Ähnlich wie wir von dem Mittelmeergebiet als dein Sitz der
klassischen und romanischen Kulturentwicklung zusammenfassend reden, so haben
die Ostsee und ihre Küstenländer von jeher eine wichtige Rolle in der Ent¬
wicklung germanischer Kulturstaaten gespielt. Aber war die germanische Einheit
vielleicht zur jüngeren Steinzeit und Bronzezeit, war der wirtschaftliche Zusammen¬
schluß zur Hansazeit und war einst die Schwedenhcrrschaft im gesamten Ostsee-




Militärgeographische Skizze der russischen Gstseeküste
Or. ^ans praesent von

MA
OMeher der kriegerischen Tätigkeit unserer Flotte an der russischen
Ostseeküste liegt der Schleier geheimnisvoller Ungewißheit. Die
Presse mußte allerlei Gerüchte und scheinbar große Ereignisse in
der ersten Augustwoche sofort dementieren, und seitdem konnte
das Kriegstagebuch der Grenzboten außer der heldenmütigen
wirksamen Beschießung des Kriegshafens Libau durch den kleinen Kreuzer
„Augsburg" (2. August), dem Untergang des kleinen Kreuzers „Magdeburg"
(26. August), der bei einem mutigen Vorstoß in den finnischen Meerbusen in
der Nähe der Insel Odensholm im Nebel auf Grund geriet und den größten
Teil der Besatzung unter übermächtigen feindlichen Feuer durch das Torpedo¬
boot V 26 retten mußte und außer der Zerstörung des Panzerkreuzers „Pallada"
(11. Oktober) nichts wesentliches von diesem Kriegsschauplatze vermelden. Das
unvergleichlich schöne Kriegswetter ist nun rauhen und nassen Herbststürmen
gewichen, den Vorboten des nahenden Winters. Und damit taucht ein neuer
unangenehmer Bundesgenosse in diesem Kriegstheater auf, Kälte und Eis, das
die russischen Häfen sperren wird. Sei es nun, daß unsere ostpreußische Armee
weiter nach Nordosten rückt, oder daß wir noch vor Beginn des Winters von
neuen Taten unserer Ostseeflotte hören, oder daß erst im nächsten Frühling ein
Vorstoß auf Rußlands Hauptstadt unternommen werden soll, es wird sich lohnen,
einen Blick auf die geographischen Verhältnisse der russischen Ostseeküste zu werfen
und die strategische Bedeutung der einzelnen Küstenstrecken, wenigstens skizzen¬
haft zu erörtern.

Die russischen Ostseeprovinzen und Finnland unterscheiden sich nach ihrem
ganzen länderkundlichen Habitus beträchtlich vou dem kontinentalen Rußland.
Sie bilden den russischen Anteil am Ostseegebiet, jener großen geographischen
Einheit, die alle die unter dem direkten Einfluß der Ostsee stehenden Gestade¬
länder umfaßt. Ähnlich wie wir von dem Mittelmeergebiet als dein Sitz der
klassischen und romanischen Kulturentwicklung zusammenfassend reden, so haben
die Ostsee und ihre Küstenländer von jeher eine wichtige Rolle in der Ent¬
wicklung germanischer Kulturstaaten gespielt. Aber war die germanische Einheit
vielleicht zur jüngeren Steinzeit und Bronzezeit, war der wirtschaftliche Zusammen¬
schluß zur Hansazeit und war einst die Schwedenhcrrschaft im gesamten Ostsee-


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[0079] [Abbildung] Militärgeographische Skizze der russischen Gstseeküste Or. ^ans praesent von MA OMeher der kriegerischen Tätigkeit unserer Flotte an der russischen Ostseeküste liegt der Schleier geheimnisvoller Ungewißheit. Die Presse mußte allerlei Gerüchte und scheinbar große Ereignisse in der ersten Augustwoche sofort dementieren, und seitdem konnte das Kriegstagebuch der Grenzboten außer der heldenmütigen wirksamen Beschießung des Kriegshafens Libau durch den kleinen Kreuzer „Augsburg" (2. August), dem Untergang des kleinen Kreuzers „Magdeburg" (26. August), der bei einem mutigen Vorstoß in den finnischen Meerbusen in der Nähe der Insel Odensholm im Nebel auf Grund geriet und den größten Teil der Besatzung unter übermächtigen feindlichen Feuer durch das Torpedo¬ boot V 26 retten mußte und außer der Zerstörung des Panzerkreuzers „Pallada" (11. Oktober) nichts wesentliches von diesem Kriegsschauplatze vermelden. Das unvergleichlich schöne Kriegswetter ist nun rauhen und nassen Herbststürmen gewichen, den Vorboten des nahenden Winters. Und damit taucht ein neuer unangenehmer Bundesgenosse in diesem Kriegstheater auf, Kälte und Eis, das die russischen Häfen sperren wird. Sei es nun, daß unsere ostpreußische Armee weiter nach Nordosten rückt, oder daß wir noch vor Beginn des Winters von neuen Taten unserer Ostseeflotte hören, oder daß erst im nächsten Frühling ein Vorstoß auf Rußlands Hauptstadt unternommen werden soll, es wird sich lohnen, einen Blick auf die geographischen Verhältnisse der russischen Ostseeküste zu werfen und die strategische Bedeutung der einzelnen Küstenstrecken, wenigstens skizzen¬ haft zu erörtern. Die russischen Ostseeprovinzen und Finnland unterscheiden sich nach ihrem ganzen länderkundlichen Habitus beträchtlich vou dem kontinentalen Rußland. Sie bilden den russischen Anteil am Ostseegebiet, jener großen geographischen Einheit, die alle die unter dem direkten Einfluß der Ostsee stehenden Gestade¬ länder umfaßt. Ähnlich wie wir von dem Mittelmeergebiet als dein Sitz der klassischen und romanischen Kulturentwicklung zusammenfassend reden, so haben die Ostsee und ihre Küstenländer von jeher eine wichtige Rolle in der Ent¬ wicklung germanischer Kulturstaaten gespielt. Aber war die germanische Einheit vielleicht zur jüngeren Steinzeit und Bronzezeit, war der wirtschaftliche Zusammen¬ schluß zur Hansazeit und war einst die Schwedenhcrrschaft im gesamten Ostsee-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/79>, abgerufen am 27.06.2024.