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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Schöne Literatur

TeuKos. Ein Schauspiel in zwei Auf¬
zügen von Ludwig Greiffenhagen. Son¬
dershausen bei Fr. A, Eupel.

Diese stolzen Worte, die Teukros auf die
Schmähungen des Agamemnon entgegnet,
geben, wenn auch nicht gerage die Grundidee
des Dramas -- die wäre weiter zu fassen --
sodoch das Leitmotiv für das Handeln des
Helden wieder, und damit ist die Frage nach
der Bewertung des Stückes hinsichtlich seiner
ethischen Tendenzen von vornherein entschieden.
Der hohe sittliche Idealismus, der hier zum
Ausdruck kommt, das Kraftgefühl einer inner¬
lich gefestigten Seele, die in der Gewißheit,
sich untadelig fühlen zu dürfen, in freudiger
Lebensbejahung den Kampf mit dem Schick¬
sal aufnimmt und ihr Recht zu behaupten
weiß -- wie wohltuend berührt das gegen¬
über den sogenannten "sittlichen Problemen"
der modernen Dramatik, die so gern in die
unersorschtesten Seelentiefen taucht, um
weniger Perlen als vielmehr Schmutz und

[Spaltenumbruch]

Schlamm daraus hervorzuholen. Wir ver¬
meinen bei der Lektüre dieses Teukros wirklich
wieder einmal in der reinen klaren Atmosphäre
der Antike zu atmen. Gleichwohl ist das
Problem, daß sich dem Dichter aus dem
altgriechischen Stoff ergab, denkbar modern:
"Der eignen Seele Kraft und cite Art" zu
behaupten gegenüber der seitens der Welt
ihr angetanenen Unehre. Der Teukros, den
Greiffenhagen vor uns hinstellt -- auf den
Inhalt des Stückes genauer einzugehen,
müssen wir uns an dieser Stelle versagen, --
ist eine Prachtfigur, eine jener Helden¬
gestalten, deren Heldentum sich nicht bloß in
äußerem Ruhm und Glanz bewährt, sondern
vielmehr in dem viel schwereren Kampf in
der eignen Seele, einer jener Überwinder,
denen die Welt an Ehre nichts geben, aber
auch erst recht nichts nehmen kann; darum
geht er auch als Erlöster aus den? Kampfe
mit dein Schicksal hervor, gefeit selbst gegen
den Fluch:

Was ist ein Fluch, der keinen Helfer findet
In unsrer Brust? Ein Hauch, ein Klang,
ein Nichts?

Der Aufbau des Stückes verrät den ge¬
borenen Dramatiker, der aus einem gering¬
fügig scheinenden Stoff eine von der ersten
bis letzten Szene in stetem Fluß sich steigernde,
unsere Anteilnahme aufs äußerste in Anspruch
nehmende Handlung zu gestalten weiß. Nach
den leidenschaftlich bewegten Szenen im
Griechenlager vor Ilion, wo es sich um die
Bestattung der Leiche des Aias handelt, die
nicht minder bewegten auf Salamis, wo bang
das Volk und und ihm der ohnmächtige greise

[Ende Spaltensatz]

Mich aber dünkt

Kein Ahnenfrevel, sei er noch so groß;
Kann schwerer wiegen denn die kleinste Tat
Des Enkels, die aus reinem Sinn und
Herzen

Geboren ward, aus freier Lust am Guten.

Wer seiner Ahnen sich nicht rühmen darf,
Darf selbst ein Anfang sein, ein Stolz der
Enkel;

Und so beginnt in jedem echten Manne
Wenn er nur will, die Welt der Edlen neu.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Schöne Literatur

TeuKos. Ein Schauspiel in zwei Auf¬
zügen von Ludwig Greiffenhagen. Son¬
dershausen bei Fr. A, Eupel.

Diese stolzen Worte, die Teukros auf die
Schmähungen des Agamemnon entgegnet,
geben, wenn auch nicht gerage die Grundidee
des Dramas — die wäre weiter zu fassen —
sodoch das Leitmotiv für das Handeln des
Helden wieder, und damit ist die Frage nach
der Bewertung des Stückes hinsichtlich seiner
ethischen Tendenzen von vornherein entschieden.
Der hohe sittliche Idealismus, der hier zum
Ausdruck kommt, das Kraftgefühl einer inner¬
lich gefestigten Seele, die in der Gewißheit,
sich untadelig fühlen zu dürfen, in freudiger
Lebensbejahung den Kampf mit dem Schick¬
sal aufnimmt und ihr Recht zu behaupten
weiß — wie wohltuend berührt das gegen¬
über den sogenannten „sittlichen Problemen"
der modernen Dramatik, die so gern in die
unersorschtesten Seelentiefen taucht, um
weniger Perlen als vielmehr Schmutz und

[Spaltenumbruch]

Schlamm daraus hervorzuholen. Wir ver¬
meinen bei der Lektüre dieses Teukros wirklich
wieder einmal in der reinen klaren Atmosphäre
der Antike zu atmen. Gleichwohl ist das
Problem, daß sich dem Dichter aus dem
altgriechischen Stoff ergab, denkbar modern:
„Der eignen Seele Kraft und cite Art" zu
behaupten gegenüber der seitens der Welt
ihr angetanenen Unehre. Der Teukros, den
Greiffenhagen vor uns hinstellt — auf den
Inhalt des Stückes genauer einzugehen,
müssen wir uns an dieser Stelle versagen, —
ist eine Prachtfigur, eine jener Helden¬
gestalten, deren Heldentum sich nicht bloß in
äußerem Ruhm und Glanz bewährt, sondern
vielmehr in dem viel schwereren Kampf in
der eignen Seele, einer jener Überwinder,
denen die Welt an Ehre nichts geben, aber
auch erst recht nichts nehmen kann; darum
geht er auch als Erlöster aus den? Kampfe
mit dein Schicksal hervor, gefeit selbst gegen
den Fluch:

Was ist ein Fluch, der keinen Helfer findet
In unsrer Brust? Ein Hauch, ein Klang,
ein Nichts?

Der Aufbau des Stückes verrät den ge¬
borenen Dramatiker, der aus einem gering¬
fügig scheinenden Stoff eine von der ersten
bis letzten Szene in stetem Fluß sich steigernde,
unsere Anteilnahme aufs äußerste in Anspruch
nehmende Handlung zu gestalten weiß. Nach
den leidenschaftlich bewegten Szenen im
Griechenlager vor Ilion, wo es sich um die
Bestattung der Leiche des Aias handelt, die
nicht minder bewegten auf Salamis, wo bang
das Volk und und ihm der ohnmächtige greise

[Ende Spaltensatz]

Mich aber dünkt

Kein Ahnenfrevel, sei er noch so groß;
Kann schwerer wiegen denn die kleinste Tat
Des Enkels, die aus reinem Sinn und
Herzen

Geboren ward, aus freier Lust am Guten.

Wer seiner Ahnen sich nicht rühmen darf,
Darf selbst ein Anfang sein, ein Stolz der
Enkel;

Und so beginnt in jedem echten Manne
Wenn er nur will, die Welt der Edlen neu.


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[0427] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Schöne Literatur TeuKos. Ein Schauspiel in zwei Auf¬ zügen von Ludwig Greiffenhagen. Son¬ dershausen bei Fr. A, Eupel. Diese stolzen Worte, die Teukros auf die Schmähungen des Agamemnon entgegnet, geben, wenn auch nicht gerage die Grundidee des Dramas — die wäre weiter zu fassen — sodoch das Leitmotiv für das Handeln des Helden wieder, und damit ist die Frage nach der Bewertung des Stückes hinsichtlich seiner ethischen Tendenzen von vornherein entschieden. Der hohe sittliche Idealismus, der hier zum Ausdruck kommt, das Kraftgefühl einer inner¬ lich gefestigten Seele, die in der Gewißheit, sich untadelig fühlen zu dürfen, in freudiger Lebensbejahung den Kampf mit dem Schick¬ sal aufnimmt und ihr Recht zu behaupten weiß — wie wohltuend berührt das gegen¬ über den sogenannten „sittlichen Problemen" der modernen Dramatik, die so gern in die unersorschtesten Seelentiefen taucht, um weniger Perlen als vielmehr Schmutz und Schlamm daraus hervorzuholen. Wir ver¬ meinen bei der Lektüre dieses Teukros wirklich wieder einmal in der reinen klaren Atmosphäre der Antike zu atmen. Gleichwohl ist das Problem, daß sich dem Dichter aus dem altgriechischen Stoff ergab, denkbar modern: „Der eignen Seele Kraft und cite Art" zu behaupten gegenüber der seitens der Welt ihr angetanenen Unehre. Der Teukros, den Greiffenhagen vor uns hinstellt — auf den Inhalt des Stückes genauer einzugehen, müssen wir uns an dieser Stelle versagen, — ist eine Prachtfigur, eine jener Helden¬ gestalten, deren Heldentum sich nicht bloß in äußerem Ruhm und Glanz bewährt, sondern vielmehr in dem viel schwereren Kampf in der eignen Seele, einer jener Überwinder, denen die Welt an Ehre nichts geben, aber auch erst recht nichts nehmen kann; darum geht er auch als Erlöster aus den? Kampfe mit dein Schicksal hervor, gefeit selbst gegen den Fluch: Was ist ein Fluch, der keinen Helfer findet In unsrer Brust? Ein Hauch, ein Klang, ein Nichts? Der Aufbau des Stückes verrät den ge¬ borenen Dramatiker, der aus einem gering¬ fügig scheinenden Stoff eine von der ersten bis letzten Szene in stetem Fluß sich steigernde, unsere Anteilnahme aufs äußerste in Anspruch nehmende Handlung zu gestalten weiß. Nach den leidenschaftlich bewegten Szenen im Griechenlager vor Ilion, wo es sich um die Bestattung der Leiche des Aias handelt, die nicht minder bewegten auf Salamis, wo bang das Volk und und ihm der ohnmächtige greise Mich aber dünkt Kein Ahnenfrevel, sei er noch so groß; Kann schwerer wiegen denn die kleinste Tat Des Enkels, die aus reinem Sinn und Herzen Geboren ward, aus freier Lust am Guten. Wer seiner Ahnen sich nicht rühmen darf, Darf selbst ein Anfang sein, ein Stolz der Enkel; Und so beginnt in jedem echten Manne Wenn er nur will, die Welt der Edlen neu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/427>, abgerufen am 27.06.2024.