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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Freiheit und Eigentum in Frieden und Arieg

Ganz anders liegen die Verhältnisse bezüglich der Bestimmungen über das
feindliche Privateigentum im Seekrieg. Schon die Pariser Seerechtsdeklaration
von 1856, die sich mit den Rechtsverhältnissen der neutralen Schiffe befaßte, ließ die
Frage der Behandlung feindlicher Schiffe offen. Vielfache Versuche, das feindliche
Privateigentum auch im Seekriege zu schützen, sind gescheitert, so zuletzt auf der
Londoner Konferenz 1909, an dem Widerspruche Englands. Infolgedessen
unterliegen Schiffe der Wegnahme durch Kaper oder Kriegsschiffe, wenn sowohl
Schiff wie Ladung feindlich sind. Auch aus neutralen Schiffen unterliegt (gemäß
der Pariser Seerechtsdeklaration) Kriegskonterbande stets der Beschlagnahme durch
den Feind. Andererseits ist feindliches Gut unter neutraler Flagge ebenso wie
neutrales Gut unter feindlicher Flagge frei. Der Begriff der Konterbande ist
in einer "Erklärung" der zweiten Londoner Konferenz von 1907 festgesetzt.
Hier wurde zunächst eine Liste der freien Gegenstände aufgestellt und für die
Konterbande zwischen absoluter (Waffen, Geschosse usw.) und relativer unterschieden
(Lebensmittel, Eisenbahnmaterial). Endlich bestehen wichtige Einschränkungen
des Privateigentumsschutzes durch das Recht der Zerstörung überseeischer Kabel
und das Blockaderecht. Über die Rechtmäßigkeit aller dieser Beschlagnahmema߬
regeln soll ein internationales Prisengericht wachen.

Was ist nun aus diesen Bestimmungen -- theoretisch und praktisch -- im
gegenwärtigen Kriege geworden?


III.

Man hat seit Ausbruch des Krieges viel darüber geklagt, daß es kein
Völkerrecht mehr gäbe, da niemand sich mehr an seine Vorschriften kehre.

Theoretisch ist das gerade Gegenteil der Fall. In keinem Kriege ist so
viel Bezug auf das Völkerrecht genommen worden und hat es eine derartige
Rolle gespielt wie im gegenwärtigen. Nie zuvor haben sich die Regierungen
-- zumal in den zahlreichen Protesten wegen seiner Verletzung -- so auf seinen
Boden gestellt, nie haben auch die einzelnen Staatsbürger sich so darum
gekümmert, wie jetzt. Praktisch freilich sieht es anders aus. Da gibt es genug
der Fälle, die gerade dem Prinzipe des Schutzes von Freiheit und Eigentum
in seinen völkerrechtlich anerkannten Grenzen zuwiderlaufen.

Sehen wir ganz ab von Akten der Roheit, Grausamkeit und Barberei,
wie sie von russischen, französischen und belgischen Truppen begangen worden
sind. Das sind gemeine Verbrechen, die zu Verstößen gegen das Völkerrecht
erst dadurch werden, daß der betreffende Staat nicht die gebührende Bestrafung
der Schuldigen eintreten läßt. Ähnlich verhält es sich mit den Pöbelausschreitungen,
die besonders aus England und Rußland gemeldet wurden und denen das
Eigentum unserer Landsleute in diesen Ländern zum Opfer fiel. Hierher zu
rechnen sind auch wirtschaftliche Maßnahmen, Boykottbewegungen und Angestellten-
lündigungen, soweit sie auf privaten Entschließungen beruhen.


Grenzboten IV 1914 24
Freiheit und Eigentum in Frieden und Arieg

Ganz anders liegen die Verhältnisse bezüglich der Bestimmungen über das
feindliche Privateigentum im Seekrieg. Schon die Pariser Seerechtsdeklaration
von 1856, die sich mit den Rechtsverhältnissen der neutralen Schiffe befaßte, ließ die
Frage der Behandlung feindlicher Schiffe offen. Vielfache Versuche, das feindliche
Privateigentum auch im Seekriege zu schützen, sind gescheitert, so zuletzt auf der
Londoner Konferenz 1909, an dem Widerspruche Englands. Infolgedessen
unterliegen Schiffe der Wegnahme durch Kaper oder Kriegsschiffe, wenn sowohl
Schiff wie Ladung feindlich sind. Auch aus neutralen Schiffen unterliegt (gemäß
der Pariser Seerechtsdeklaration) Kriegskonterbande stets der Beschlagnahme durch
den Feind. Andererseits ist feindliches Gut unter neutraler Flagge ebenso wie
neutrales Gut unter feindlicher Flagge frei. Der Begriff der Konterbande ist
in einer „Erklärung" der zweiten Londoner Konferenz von 1907 festgesetzt.
Hier wurde zunächst eine Liste der freien Gegenstände aufgestellt und für die
Konterbande zwischen absoluter (Waffen, Geschosse usw.) und relativer unterschieden
(Lebensmittel, Eisenbahnmaterial). Endlich bestehen wichtige Einschränkungen
des Privateigentumsschutzes durch das Recht der Zerstörung überseeischer Kabel
und das Blockaderecht. Über die Rechtmäßigkeit aller dieser Beschlagnahmema߬
regeln soll ein internationales Prisengericht wachen.

Was ist nun aus diesen Bestimmungen — theoretisch und praktisch — im
gegenwärtigen Kriege geworden?


III.

Man hat seit Ausbruch des Krieges viel darüber geklagt, daß es kein
Völkerrecht mehr gäbe, da niemand sich mehr an seine Vorschriften kehre.

Theoretisch ist das gerade Gegenteil der Fall. In keinem Kriege ist so
viel Bezug auf das Völkerrecht genommen worden und hat es eine derartige
Rolle gespielt wie im gegenwärtigen. Nie zuvor haben sich die Regierungen
— zumal in den zahlreichen Protesten wegen seiner Verletzung — so auf seinen
Boden gestellt, nie haben auch die einzelnen Staatsbürger sich so darum
gekümmert, wie jetzt. Praktisch freilich sieht es anders aus. Da gibt es genug
der Fälle, die gerade dem Prinzipe des Schutzes von Freiheit und Eigentum
in seinen völkerrechtlich anerkannten Grenzen zuwiderlaufen.

Sehen wir ganz ab von Akten der Roheit, Grausamkeit und Barberei,
wie sie von russischen, französischen und belgischen Truppen begangen worden
sind. Das sind gemeine Verbrechen, die zu Verstößen gegen das Völkerrecht
erst dadurch werden, daß der betreffende Staat nicht die gebührende Bestrafung
der Schuldigen eintreten läßt. Ähnlich verhält es sich mit den Pöbelausschreitungen,
die besonders aus England und Rußland gemeldet wurden und denen das
Eigentum unserer Landsleute in diesen Ländern zum Opfer fiel. Hierher zu
rechnen sind auch wirtschaftliche Maßnahmen, Boykottbewegungen und Angestellten-
lündigungen, soweit sie auf privaten Entschließungen beruhen.


Grenzboten IV 1914 24
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[0381] Freiheit und Eigentum in Frieden und Arieg Ganz anders liegen die Verhältnisse bezüglich der Bestimmungen über das feindliche Privateigentum im Seekrieg. Schon die Pariser Seerechtsdeklaration von 1856, die sich mit den Rechtsverhältnissen der neutralen Schiffe befaßte, ließ die Frage der Behandlung feindlicher Schiffe offen. Vielfache Versuche, das feindliche Privateigentum auch im Seekriege zu schützen, sind gescheitert, so zuletzt auf der Londoner Konferenz 1909, an dem Widerspruche Englands. Infolgedessen unterliegen Schiffe der Wegnahme durch Kaper oder Kriegsschiffe, wenn sowohl Schiff wie Ladung feindlich sind. Auch aus neutralen Schiffen unterliegt (gemäß der Pariser Seerechtsdeklaration) Kriegskonterbande stets der Beschlagnahme durch den Feind. Andererseits ist feindliches Gut unter neutraler Flagge ebenso wie neutrales Gut unter feindlicher Flagge frei. Der Begriff der Konterbande ist in einer „Erklärung" der zweiten Londoner Konferenz von 1907 festgesetzt. Hier wurde zunächst eine Liste der freien Gegenstände aufgestellt und für die Konterbande zwischen absoluter (Waffen, Geschosse usw.) und relativer unterschieden (Lebensmittel, Eisenbahnmaterial). Endlich bestehen wichtige Einschränkungen des Privateigentumsschutzes durch das Recht der Zerstörung überseeischer Kabel und das Blockaderecht. Über die Rechtmäßigkeit aller dieser Beschlagnahmema߬ regeln soll ein internationales Prisengericht wachen. Was ist nun aus diesen Bestimmungen — theoretisch und praktisch — im gegenwärtigen Kriege geworden? III. Man hat seit Ausbruch des Krieges viel darüber geklagt, daß es kein Völkerrecht mehr gäbe, da niemand sich mehr an seine Vorschriften kehre. Theoretisch ist das gerade Gegenteil der Fall. In keinem Kriege ist so viel Bezug auf das Völkerrecht genommen worden und hat es eine derartige Rolle gespielt wie im gegenwärtigen. Nie zuvor haben sich die Regierungen — zumal in den zahlreichen Protesten wegen seiner Verletzung — so auf seinen Boden gestellt, nie haben auch die einzelnen Staatsbürger sich so darum gekümmert, wie jetzt. Praktisch freilich sieht es anders aus. Da gibt es genug der Fälle, die gerade dem Prinzipe des Schutzes von Freiheit und Eigentum in seinen völkerrechtlich anerkannten Grenzen zuwiderlaufen. Sehen wir ganz ab von Akten der Roheit, Grausamkeit und Barberei, wie sie von russischen, französischen und belgischen Truppen begangen worden sind. Das sind gemeine Verbrechen, die zu Verstößen gegen das Völkerrecht erst dadurch werden, daß der betreffende Staat nicht die gebührende Bestrafung der Schuldigen eintreten läßt. Ähnlich verhält es sich mit den Pöbelausschreitungen, die besonders aus England und Rußland gemeldet wurden und denen das Eigentum unserer Landsleute in diesen Ländern zum Opfer fiel. Hierher zu rechnen sind auch wirtschaftliche Maßnahmen, Boykottbewegungen und Angestellten- lündigungen, soweit sie auf privaten Entschließungen beruhen. Grenzboten IV 1914 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/381>, abgerufen am 03.07.2024.