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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Hprachreinigung
Professor Dr. Tahas von

jemals, solange es eine Verdeutschungsbewegung gibt, ist ein
solcher Kampf gegen das Fremdwort entbrannt wie beim Ausbruch
des Krieges. Gasthofbesitzer änderten die französischen und englischen
Namen auf ihren Schildern und Speisekarten in deutsche um,
Kaufleute gaben ihren Waren statt der ausländischen einheimische
Benennungen, die Umgangssprache lehnte sich gegen den Gebrauch der Fremd¬
wörter, besonders gegen das alteingewurzelte "Adieu" und "Pardon" auf, fast
alle Zeitungen brachten Aufsätze über die Sprachreinigung -- unter der Losung:
"Los von Paris und London!" war ein Volkskrieg gegen das Fremdwort
entbrannt.

Die Bewegung enthielt bedeutsame Lehren. Was Behörden und Ver¬
waltungen durch zahlreiche Vorschriften in jahrelanger Arbeit nicht hatten zustande
bringen können, das wurde mit einem Schlage erreicht: die entschlossene Abkehr
von dem Fremdwortunwesen. Die Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen
Sprachvereins, zu dem sich 35000 Mitglieder zählen, wurden Allgemeingut des
ganzen Volkes und feierten gleichsam den ersten Sieg in dem großen Kriege.
Allen wurden die Augen darüber geöffnet, daß die so oft behauptete völker¬
verknüpfende Bedeutung der Fremdwörter uns vor dem tödlichen Haß, dem
vereinten Überfall und dem tückischen Vernichtungskrieg der Franzosen, Engländer
und Russen nicht geschützt hat. Die Verdeutschungsbewegung war daher etwas
anderes als übereifrige Deutschtümelei, mehr als blinde Vertilgungssucht: sie
war das Erwachen des deutschen Selbstgefühls und die Forderung vaterländischer
Gesinnung,

Freilich gibt es auch Leute, die diese Bewegung für eine unzeitgemäße
Erscheinung halten und ihre Erledigung den Tagen nach der Beendigung des
großen Krieges überlassen wollen. Angesichts des allgemeinen Verlangens nach
der Sprachreinigung beweist diese Anschauung einen völligen Mangel an Ver¬
ständnis für die Wichtigkeit dieses Sprachenkampfes. Nein, jetzt ist es Zeit,
dem Fremdwortunwesen zu Leibe zu gehen! Da diese Bewegung nicht durch
Vorschriften der Sprachmeister und Übersetzungsbücher, auch nicht durch den Zwang
der Regierungen und Verwaltungen von außen her aufgedrungen ist, sondern




Hprachreinigung
Professor Dr. Tahas von

jemals, solange es eine Verdeutschungsbewegung gibt, ist ein
solcher Kampf gegen das Fremdwort entbrannt wie beim Ausbruch
des Krieges. Gasthofbesitzer änderten die französischen und englischen
Namen auf ihren Schildern und Speisekarten in deutsche um,
Kaufleute gaben ihren Waren statt der ausländischen einheimische
Benennungen, die Umgangssprache lehnte sich gegen den Gebrauch der Fremd¬
wörter, besonders gegen das alteingewurzelte „Adieu" und „Pardon" auf, fast
alle Zeitungen brachten Aufsätze über die Sprachreinigung — unter der Losung:
„Los von Paris und London!" war ein Volkskrieg gegen das Fremdwort
entbrannt.

Die Bewegung enthielt bedeutsame Lehren. Was Behörden und Ver¬
waltungen durch zahlreiche Vorschriften in jahrelanger Arbeit nicht hatten zustande
bringen können, das wurde mit einem Schlage erreicht: die entschlossene Abkehr
von dem Fremdwortunwesen. Die Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen
Sprachvereins, zu dem sich 35000 Mitglieder zählen, wurden Allgemeingut des
ganzen Volkes und feierten gleichsam den ersten Sieg in dem großen Kriege.
Allen wurden die Augen darüber geöffnet, daß die so oft behauptete völker¬
verknüpfende Bedeutung der Fremdwörter uns vor dem tödlichen Haß, dem
vereinten Überfall und dem tückischen Vernichtungskrieg der Franzosen, Engländer
und Russen nicht geschützt hat. Die Verdeutschungsbewegung war daher etwas
anderes als übereifrige Deutschtümelei, mehr als blinde Vertilgungssucht: sie
war das Erwachen des deutschen Selbstgefühls und die Forderung vaterländischer
Gesinnung,

Freilich gibt es auch Leute, die diese Bewegung für eine unzeitgemäße
Erscheinung halten und ihre Erledigung den Tagen nach der Beendigung des
großen Krieges überlassen wollen. Angesichts des allgemeinen Verlangens nach
der Sprachreinigung beweist diese Anschauung einen völligen Mangel an Ver¬
ständnis für die Wichtigkeit dieses Sprachenkampfes. Nein, jetzt ist es Zeit,
dem Fremdwortunwesen zu Leibe zu gehen! Da diese Bewegung nicht durch
Vorschriften der Sprachmeister und Übersetzungsbücher, auch nicht durch den Zwang
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[0190] [Abbildung] Hprachreinigung Professor Dr. Tahas von jemals, solange es eine Verdeutschungsbewegung gibt, ist ein solcher Kampf gegen das Fremdwort entbrannt wie beim Ausbruch des Krieges. Gasthofbesitzer änderten die französischen und englischen Namen auf ihren Schildern und Speisekarten in deutsche um, Kaufleute gaben ihren Waren statt der ausländischen einheimische Benennungen, die Umgangssprache lehnte sich gegen den Gebrauch der Fremd¬ wörter, besonders gegen das alteingewurzelte „Adieu" und „Pardon" auf, fast alle Zeitungen brachten Aufsätze über die Sprachreinigung — unter der Losung: „Los von Paris und London!" war ein Volkskrieg gegen das Fremdwort entbrannt. Die Bewegung enthielt bedeutsame Lehren. Was Behörden und Ver¬ waltungen durch zahlreiche Vorschriften in jahrelanger Arbeit nicht hatten zustande bringen können, das wurde mit einem Schlage erreicht: die entschlossene Abkehr von dem Fremdwortunwesen. Die Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, zu dem sich 35000 Mitglieder zählen, wurden Allgemeingut des ganzen Volkes und feierten gleichsam den ersten Sieg in dem großen Kriege. Allen wurden die Augen darüber geöffnet, daß die so oft behauptete völker¬ verknüpfende Bedeutung der Fremdwörter uns vor dem tödlichen Haß, dem vereinten Überfall und dem tückischen Vernichtungskrieg der Franzosen, Engländer und Russen nicht geschützt hat. Die Verdeutschungsbewegung war daher etwas anderes als übereifrige Deutschtümelei, mehr als blinde Vertilgungssucht: sie war das Erwachen des deutschen Selbstgefühls und die Forderung vaterländischer Gesinnung, Freilich gibt es auch Leute, die diese Bewegung für eine unzeitgemäße Erscheinung halten und ihre Erledigung den Tagen nach der Beendigung des großen Krieges überlassen wollen. Angesichts des allgemeinen Verlangens nach der Sprachreinigung beweist diese Anschauung einen völligen Mangel an Ver¬ ständnis für die Wichtigkeit dieses Sprachenkampfes. Nein, jetzt ist es Zeit, dem Fremdwortunwesen zu Leibe zu gehen! Da diese Bewegung nicht durch Vorschriften der Sprachmeister und Übersetzungsbücher, auch nicht durch den Zwang der Regierungen und Verwaltungen von außen her aufgedrungen ist, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/190>, abgerufen am 27.06.2024.