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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Zprachroinigung

von unten her aus der innersten Selbstachtung und dem freien Entschluß unseres
Volkes mit Gewalt hervorgebrochen ist, so ist keine Zeit günstiger für die
Sprachreinigung wie heilte. Eine solche Zeit, wo alle Stände, Altersstufen und
Berufszweige mit vollem Bewußtsein für das Recht der Muttersprache eintreten,
kehrt nie wieder. Der rasche und entschlossene Kampf gegen die Fremdwort¬
herrschaft wird zur vaterländischen Pflicht.

Wie es in der Geschichte der Sprachbewegung immer der Fall gewesen ist,
so taucht auch dieses Mal die grundlegende Frage nach dem Wesen der Sprach¬
bereicherung auf. Sie gewinnt sogar dadurch an Bedeutung, daß die Zahl der
Mitarbeiter an der Sprach Verbesserung gewaltig gewachsen ist, und daß damit
die Gefahr eines willkürlichen, verständnislosen und verfehlten Verfahrens wächst,
das den Erfolg der heutigen Verdeutschungsbewegung hindern kann. Soll diese
Bewegung innere Notwendigkeit, sittliches Recht und fruchtbare Dauer haben,
dann muß erst über die Grundfrage der Möglichkeit, der Art und dem Ziel
der Sprachbereicherung Klarheit herrschen.

Sprachbereicherung ist nicht Purismus. Wer ist ein Purist? Wem jedes
aus fremder Wurzel erwachsene Wort, mag es auch Jahrhunderte alt und fest
eingebürgert sein, ein Dorn im Auge ist, das er selbst auf Kosten des guten
Geschmacks ersetzen möchte, nur um ein deutsches dafür zu haben -- der ist
Purist. Wer wie die Sprachreiniger nach dem dreißigjährigen Kriege für Natur
Zeugemutter, für Kaiser Großherr, für Echo Talmunde, für Vers Reimbund
sagen und längst deutsch gewordene Fremdwörter um jeden Preis ver¬
drängen möchte, der ist ein unwissender Purist. Oder, wer gleich manchen
Sprachreinigern vor hundert Jahren auf Geschmacklosigkeiten verfällt und, um
Fremdwörter zu vermeiden, Wortungeheuer wie Volksgewesensein, Mensch¬
werdungskeime und Jmlebenvereinte hervorbringt, der hat kein Gefühl für die
Schönheit unserer Sprache und ist ein gewalttätiger Purist. Für solche Fremd¬
worthetzer ist kein Platz in der Sprachbewegung, weil sie die Bedingungen des
Sprachlebens völlig verkennen. Von den ältesten Zeiten an bis heut hat
unsere Sprache Fremdwörter aufgenommen, sie zu Lehnwörtern, wie z. B.
Tor, Kasse, Mauer, Regiment, Offizier umgestaltet und auf diesem Wege
sie nach Schreibweise. Aussprache und Biegung zu guten deutschen Wörtern
gemacht. Dieser tausendfache Vorgang, so unbequem er einem stark gespannten
deutschen Gefühl sein mag. ist nicht zu vermeiden. Er ist sogar ein steter
Trieb, denn die Sprache ist ein Niederschlag der Wechselwirkung der Völker
untereinander. Jeder Zuwachs an Gegenständen und Begriffen aus einem
anderen Volke findet seine Begleitung in der Sprache. Die jetzige Aufnahme eines
Fremdwortes ist solange nicht verwerflich, als der Ersatz dafür durch ein Wort
aus der eigenen Sprache unmöglich erscheint. Dies Verfahren ist aber nur als
ein Notbehelf anzusehen; es als einen Vorzug zu bezeichnen, wäre bedenklich,
weil dann nur noch ein Schritt zu der Behauptung wäre, daß Fremdwörter
notwendige Bestandteile unserer Sprache sein müssen.


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Zprachroinigung

von unten her aus der innersten Selbstachtung und dem freien Entschluß unseres
Volkes mit Gewalt hervorgebrochen ist, so ist keine Zeit günstiger für die
Sprachreinigung wie heilte. Eine solche Zeit, wo alle Stände, Altersstufen und
Berufszweige mit vollem Bewußtsein für das Recht der Muttersprache eintreten,
kehrt nie wieder. Der rasche und entschlossene Kampf gegen die Fremdwort¬
herrschaft wird zur vaterländischen Pflicht.

Wie es in der Geschichte der Sprachbewegung immer der Fall gewesen ist,
so taucht auch dieses Mal die grundlegende Frage nach dem Wesen der Sprach¬
bereicherung auf. Sie gewinnt sogar dadurch an Bedeutung, daß die Zahl der
Mitarbeiter an der Sprach Verbesserung gewaltig gewachsen ist, und daß damit
die Gefahr eines willkürlichen, verständnislosen und verfehlten Verfahrens wächst,
das den Erfolg der heutigen Verdeutschungsbewegung hindern kann. Soll diese
Bewegung innere Notwendigkeit, sittliches Recht und fruchtbare Dauer haben,
dann muß erst über die Grundfrage der Möglichkeit, der Art und dem Ziel
der Sprachbereicherung Klarheit herrschen.

Sprachbereicherung ist nicht Purismus. Wer ist ein Purist? Wem jedes
aus fremder Wurzel erwachsene Wort, mag es auch Jahrhunderte alt und fest
eingebürgert sein, ein Dorn im Auge ist, das er selbst auf Kosten des guten
Geschmacks ersetzen möchte, nur um ein deutsches dafür zu haben — der ist
Purist. Wer wie die Sprachreiniger nach dem dreißigjährigen Kriege für Natur
Zeugemutter, für Kaiser Großherr, für Echo Talmunde, für Vers Reimbund
sagen und längst deutsch gewordene Fremdwörter um jeden Preis ver¬
drängen möchte, der ist ein unwissender Purist. Oder, wer gleich manchen
Sprachreinigern vor hundert Jahren auf Geschmacklosigkeiten verfällt und, um
Fremdwörter zu vermeiden, Wortungeheuer wie Volksgewesensein, Mensch¬
werdungskeime und Jmlebenvereinte hervorbringt, der hat kein Gefühl für die
Schönheit unserer Sprache und ist ein gewalttätiger Purist. Für solche Fremd¬
worthetzer ist kein Platz in der Sprachbewegung, weil sie die Bedingungen des
Sprachlebens völlig verkennen. Von den ältesten Zeiten an bis heut hat
unsere Sprache Fremdwörter aufgenommen, sie zu Lehnwörtern, wie z. B.
Tor, Kasse, Mauer, Regiment, Offizier umgestaltet und auf diesem Wege
sie nach Schreibweise. Aussprache und Biegung zu guten deutschen Wörtern
gemacht. Dieser tausendfache Vorgang, so unbequem er einem stark gespannten
deutschen Gefühl sein mag. ist nicht zu vermeiden. Er ist sogar ein steter
Trieb, denn die Sprache ist ein Niederschlag der Wechselwirkung der Völker
untereinander. Jeder Zuwachs an Gegenständen und Begriffen aus einem
anderen Volke findet seine Begleitung in der Sprache. Die jetzige Aufnahme eines
Fremdwortes ist solange nicht verwerflich, als der Ersatz dafür durch ein Wort
aus der eigenen Sprache unmöglich erscheint. Dies Verfahren ist aber nur als
ein Notbehelf anzusehen; es als einen Vorzug zu bezeichnen, wäre bedenklich,
weil dann nur noch ein Schritt zu der Behauptung wäre, daß Fremdwörter
notwendige Bestandteile unserer Sprache sein müssen.


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[0191] Zprachroinigung von unten her aus der innersten Selbstachtung und dem freien Entschluß unseres Volkes mit Gewalt hervorgebrochen ist, so ist keine Zeit günstiger für die Sprachreinigung wie heilte. Eine solche Zeit, wo alle Stände, Altersstufen und Berufszweige mit vollem Bewußtsein für das Recht der Muttersprache eintreten, kehrt nie wieder. Der rasche und entschlossene Kampf gegen die Fremdwort¬ herrschaft wird zur vaterländischen Pflicht. Wie es in der Geschichte der Sprachbewegung immer der Fall gewesen ist, so taucht auch dieses Mal die grundlegende Frage nach dem Wesen der Sprach¬ bereicherung auf. Sie gewinnt sogar dadurch an Bedeutung, daß die Zahl der Mitarbeiter an der Sprach Verbesserung gewaltig gewachsen ist, und daß damit die Gefahr eines willkürlichen, verständnislosen und verfehlten Verfahrens wächst, das den Erfolg der heutigen Verdeutschungsbewegung hindern kann. Soll diese Bewegung innere Notwendigkeit, sittliches Recht und fruchtbare Dauer haben, dann muß erst über die Grundfrage der Möglichkeit, der Art und dem Ziel der Sprachbereicherung Klarheit herrschen. Sprachbereicherung ist nicht Purismus. Wer ist ein Purist? Wem jedes aus fremder Wurzel erwachsene Wort, mag es auch Jahrhunderte alt und fest eingebürgert sein, ein Dorn im Auge ist, das er selbst auf Kosten des guten Geschmacks ersetzen möchte, nur um ein deutsches dafür zu haben — der ist Purist. Wer wie die Sprachreiniger nach dem dreißigjährigen Kriege für Natur Zeugemutter, für Kaiser Großherr, für Echo Talmunde, für Vers Reimbund sagen und längst deutsch gewordene Fremdwörter um jeden Preis ver¬ drängen möchte, der ist ein unwissender Purist. Oder, wer gleich manchen Sprachreinigern vor hundert Jahren auf Geschmacklosigkeiten verfällt und, um Fremdwörter zu vermeiden, Wortungeheuer wie Volksgewesensein, Mensch¬ werdungskeime und Jmlebenvereinte hervorbringt, der hat kein Gefühl für die Schönheit unserer Sprache und ist ein gewalttätiger Purist. Für solche Fremd¬ worthetzer ist kein Platz in der Sprachbewegung, weil sie die Bedingungen des Sprachlebens völlig verkennen. Von den ältesten Zeiten an bis heut hat unsere Sprache Fremdwörter aufgenommen, sie zu Lehnwörtern, wie z. B. Tor, Kasse, Mauer, Regiment, Offizier umgestaltet und auf diesem Wege sie nach Schreibweise. Aussprache und Biegung zu guten deutschen Wörtern gemacht. Dieser tausendfache Vorgang, so unbequem er einem stark gespannten deutschen Gefühl sein mag. ist nicht zu vermeiden. Er ist sogar ein steter Trieb, denn die Sprache ist ein Niederschlag der Wechselwirkung der Völker untereinander. Jeder Zuwachs an Gegenständen und Begriffen aus einem anderen Volke findet seine Begleitung in der Sprache. Die jetzige Aufnahme eines Fremdwortes ist solange nicht verwerflich, als der Ersatz dafür durch ein Wort aus der eigenen Sprache unmöglich erscheint. Dies Verfahren ist aber nur als ein Notbehelf anzusehen; es als einen Vorzug zu bezeichnen, wäre bedenklich, weil dann nur noch ein Schritt zu der Behauptung wäre, daß Fremdwörter notwendige Bestandteile unserer Sprache sein müssen. 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/191>, abgerufen am 30.06.2024.