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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das slawische Aulturproblem
Dr. Dra gutin prohaskci von V.
Der südslawische Nationalcharakter

Der Südslawe stand durch Jahrhunderte unter dem Schutze eines bewaffneten
Himmels. Seine ganze Kultur bestand darin, daß er aus dem gekreuzigten
Heiland den "Vater und Feldherrn" der illyrischen Könige machte. Er hat
aus dem Kreuz die Kriegsfahne der politischen Freiheit zu machen gewußt: "dem
Klenz zu Ehren." sagt er, "und für die goldene Freiheit."

Diese Losung entspricht dem inneren Triebe unserer Rasse nicht, sie ist
uns von außen aufgezwungen worden. Unser Feind, der Türke, hat es getan,
indem er im Namen der Religion kämpfte und aus demi Propheten einen Heer¬
führer machte. Da entartete auch das Christentum unseres Volkes, weil wir
das Bedürfnis fühlten, den Keil durch den Keil, Gewalt durch Gewalt auszu¬
treiben. Unser episches und heldisches Christentum wurde türkisch, und der
gekreuzigte Heiland "der Vater und Heerführer der illyrischen Könige".

Diese entstellte Kulturgrundlage erbten die Südslawen des zwanzigsten
Jahrhunderts. Sie ist die Schöpfung einiger Jahrhunderte und war uns in die
Seele geimpft, so sehr, daß wir sie im ersten Augenblick der "Wiedergeburt" als etwas
nationales rühmten und dichterisch verherrlichten. In Cengic Aga ist das ganze
Erbe des Christentums der Rache erneuert und gefeiert. Es entsprach dies
einem sozialen Bedürfnis, sagt man, bis herab zu unseren Tagen, bis zur end¬
gültigen Befreiung.

Aber in dieses Bedürfnis mischte sich schon jetzt ein anderes: die ökono¬
mische Idee tritt an die Stelle jenes: "zu Ehren des Kreuzes." Mit dem Pflug
zur goldenen Freiheit! Die ehemaligen Mönche verwandelten sich in sozialistische
Lehrer und Bekehrer. Besonders in Bulgarien. Soetozar Markovic führt in
Serbien die europäische Demokratie ein. Nach und nach beruhigt sich das Blut,
der Zivilisation ist es gelungen, Brotkämpfer zu schaffen. Aber nicht ganz. Jene
alte dionysische Wut des Rächers und die Hirtenidylle des geknechteten Volks
haben sich durch Vererbung in den zu Europäern umgemodelten Leuten erhalten.


enzboten IV 1914 10


Das slawische Aulturproblem
Dr. Dra gutin prohaskci von V.
Der südslawische Nationalcharakter

Der Südslawe stand durch Jahrhunderte unter dem Schutze eines bewaffneten
Himmels. Seine ganze Kultur bestand darin, daß er aus dem gekreuzigten
Heiland den „Vater und Feldherrn" der illyrischen Könige machte. Er hat
aus dem Kreuz die Kriegsfahne der politischen Freiheit zu machen gewußt: „dem
Klenz zu Ehren." sagt er, „und für die goldene Freiheit."

Diese Losung entspricht dem inneren Triebe unserer Rasse nicht, sie ist
uns von außen aufgezwungen worden. Unser Feind, der Türke, hat es getan,
indem er im Namen der Religion kämpfte und aus demi Propheten einen Heer¬
führer machte. Da entartete auch das Christentum unseres Volkes, weil wir
das Bedürfnis fühlten, den Keil durch den Keil, Gewalt durch Gewalt auszu¬
treiben. Unser episches und heldisches Christentum wurde türkisch, und der
gekreuzigte Heiland „der Vater und Heerführer der illyrischen Könige".

Diese entstellte Kulturgrundlage erbten die Südslawen des zwanzigsten
Jahrhunderts. Sie ist die Schöpfung einiger Jahrhunderte und war uns in die
Seele geimpft, so sehr, daß wir sie im ersten Augenblick der „Wiedergeburt" als etwas
nationales rühmten und dichterisch verherrlichten. In Cengic Aga ist das ganze
Erbe des Christentums der Rache erneuert und gefeiert. Es entsprach dies
einem sozialen Bedürfnis, sagt man, bis herab zu unseren Tagen, bis zur end¬
gültigen Befreiung.

Aber in dieses Bedürfnis mischte sich schon jetzt ein anderes: die ökono¬
mische Idee tritt an die Stelle jenes: „zu Ehren des Kreuzes." Mit dem Pflug
zur goldenen Freiheit! Die ehemaligen Mönche verwandelten sich in sozialistische
Lehrer und Bekehrer. Besonders in Bulgarien. Soetozar Markovic führt in
Serbien die europäische Demokratie ein. Nach und nach beruhigt sich das Blut,
der Zivilisation ist es gelungen, Brotkämpfer zu schaffen. Aber nicht ganz. Jene
alte dionysische Wut des Rächers und die Hirtenidylle des geknechteten Volks
haben sich durch Vererbung in den zu Europäern umgemodelten Leuten erhalten.


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[0157] [Abbildung] Das slawische Aulturproblem Dr. Dra gutin prohaskci von V. Der südslawische Nationalcharakter Der Südslawe stand durch Jahrhunderte unter dem Schutze eines bewaffneten Himmels. Seine ganze Kultur bestand darin, daß er aus dem gekreuzigten Heiland den „Vater und Feldherrn" der illyrischen Könige machte. Er hat aus dem Kreuz die Kriegsfahne der politischen Freiheit zu machen gewußt: „dem Klenz zu Ehren." sagt er, „und für die goldene Freiheit." Diese Losung entspricht dem inneren Triebe unserer Rasse nicht, sie ist uns von außen aufgezwungen worden. Unser Feind, der Türke, hat es getan, indem er im Namen der Religion kämpfte und aus demi Propheten einen Heer¬ führer machte. Da entartete auch das Christentum unseres Volkes, weil wir das Bedürfnis fühlten, den Keil durch den Keil, Gewalt durch Gewalt auszu¬ treiben. Unser episches und heldisches Christentum wurde türkisch, und der gekreuzigte Heiland „der Vater und Heerführer der illyrischen Könige". Diese entstellte Kulturgrundlage erbten die Südslawen des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie ist die Schöpfung einiger Jahrhunderte und war uns in die Seele geimpft, so sehr, daß wir sie im ersten Augenblick der „Wiedergeburt" als etwas nationales rühmten und dichterisch verherrlichten. In Cengic Aga ist das ganze Erbe des Christentums der Rache erneuert und gefeiert. Es entsprach dies einem sozialen Bedürfnis, sagt man, bis herab zu unseren Tagen, bis zur end¬ gültigen Befreiung. Aber in dieses Bedürfnis mischte sich schon jetzt ein anderes: die ökono¬ mische Idee tritt an die Stelle jenes: „zu Ehren des Kreuzes." Mit dem Pflug zur goldenen Freiheit! Die ehemaligen Mönche verwandelten sich in sozialistische Lehrer und Bekehrer. Besonders in Bulgarien. Soetozar Markovic führt in Serbien die europäische Demokratie ein. Nach und nach beruhigt sich das Blut, der Zivilisation ist es gelungen, Brotkämpfer zu schaffen. Aber nicht ganz. Jene alte dionysische Wut des Rächers und die Hirtenidylle des geknechteten Volks haben sich durch Vererbung in den zu Europäern umgemodelten Leuten erhalten. enzboten IV 1914 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/157>, abgerufen am 27.06.2024.