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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das Gouvernement ssuwalki
von George Lleinow

s ist noch keine "geheiligte russische Erde", die in diesen Tagen
mit dem Gouvernement Ssuwalki unter deutsche Verwaltung ge¬
raten ist. Vorwiegend von Katholiken bewohnt, ist Ssuwalki
alter titanischer Besitz, um den Preußen, Shmuden, Litauer, Polen
und Russen viele Jahrhunderte gekämpft hatten, ehe im Jahre 1867
Alexander der Zweite die alte polnische Wojwodschaft Augustowo in die beiden
Gouvernements des Weichselgebietes Lomsha und Ssuwalki zerlegte, um die
Bekämpfung des polnischen Großgrundbesitzes durch den Gouverneur mit Hilfe
der Litauer gerade in Ssuwalki möglichst ungestört durch die übrigen Polen
des Weichselgebiets betreiben lassen zu können. Zur direkten Russifizierung des
Gebietes, wie sie etwa im östlichen Teile von Ludim, im sogenannten Cholmer
Lande Platz gegriffen hatte, war Ssuwalki bisher noch nicht reif. Noch bedürfte
die Negierung, wie in deu baltischen Provinzen bei der Russifizierung der
Teutschen, eines Deckmantels. Der gütige Zar. das demokratische russische Volk,
"ahn sich noch lediglich der "bedrückten" niederen Schichten, der Litauer, an
gegen die polnischen Usurpatoren. Infolgedessen wird die Besitzergreifung von
Ssuwalki durch unsere Truppen bei den Russen kaum große nationale Erregung
wecken: die "geheiligte russische Erde" beginnt erst hinter der Linie Wilna--
Brest-Litowsk--Ludim--Przemysl, im sogenannten Nordwest- und Südwestgebiet
und in Ostgalizien.

Das Gebiet des heutigen Gouvernements Ssuwalki ist zusammen mit
Kowno, Grodno und Wilna in seinen wechselvollen Schicksalen auch einmal
deutsches Kolonialland gewesen. Das bezeugt noch heute, abgesehen von den
^namen ehemals deutscher Edelleute, wie von Bistram, von Lengning und anderer,
das Vorhandensein von mehr als 50 000 Lutheranern, von denen sich bei
der letzten Volkszählung (1897) rund 40 000 noch als "njemey", das heißt
als Deutsche russischer Untertanenschaft bezeichneten. Kein Wunder.


Grenzboten III 1914 31


Das Gouvernement ssuwalki
von George Lleinow

s ist noch keine „geheiligte russische Erde", die in diesen Tagen
mit dem Gouvernement Ssuwalki unter deutsche Verwaltung ge¬
raten ist. Vorwiegend von Katholiken bewohnt, ist Ssuwalki
alter titanischer Besitz, um den Preußen, Shmuden, Litauer, Polen
und Russen viele Jahrhunderte gekämpft hatten, ehe im Jahre 1867
Alexander der Zweite die alte polnische Wojwodschaft Augustowo in die beiden
Gouvernements des Weichselgebietes Lomsha und Ssuwalki zerlegte, um die
Bekämpfung des polnischen Großgrundbesitzes durch den Gouverneur mit Hilfe
der Litauer gerade in Ssuwalki möglichst ungestört durch die übrigen Polen
des Weichselgebiets betreiben lassen zu können. Zur direkten Russifizierung des
Gebietes, wie sie etwa im östlichen Teile von Ludim, im sogenannten Cholmer
Lande Platz gegriffen hatte, war Ssuwalki bisher noch nicht reif. Noch bedürfte
die Negierung, wie in deu baltischen Provinzen bei der Russifizierung der
Teutschen, eines Deckmantels. Der gütige Zar. das demokratische russische Volk,
"ahn sich noch lediglich der „bedrückten" niederen Schichten, der Litauer, an
gegen die polnischen Usurpatoren. Infolgedessen wird die Besitzergreifung von
Ssuwalki durch unsere Truppen bei den Russen kaum große nationale Erregung
wecken: die „geheiligte russische Erde" beginnt erst hinter der Linie Wilna—
Brest-Litowsk—Ludim—Przemysl, im sogenannten Nordwest- und Südwestgebiet
und in Ostgalizien.

Das Gebiet des heutigen Gouvernements Ssuwalki ist zusammen mit
Kowno, Grodno und Wilna in seinen wechselvollen Schicksalen auch einmal
deutsches Kolonialland gewesen. Das bezeugt noch heute, abgesehen von den
^namen ehemals deutscher Edelleute, wie von Bistram, von Lengning und anderer,
das Vorhandensein von mehr als 50 000 Lutheranern, von denen sich bei
der letzten Volkszählung (1897) rund 40 000 noch als „njemey", das heißt
als Deutsche russischer Untertanenschaft bezeichneten. Kein Wunder.


Grenzboten III 1914 31
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[0457] [Abbildung] Das Gouvernement ssuwalki von George Lleinow s ist noch keine „geheiligte russische Erde", die in diesen Tagen mit dem Gouvernement Ssuwalki unter deutsche Verwaltung ge¬ raten ist. Vorwiegend von Katholiken bewohnt, ist Ssuwalki alter titanischer Besitz, um den Preußen, Shmuden, Litauer, Polen und Russen viele Jahrhunderte gekämpft hatten, ehe im Jahre 1867 Alexander der Zweite die alte polnische Wojwodschaft Augustowo in die beiden Gouvernements des Weichselgebietes Lomsha und Ssuwalki zerlegte, um die Bekämpfung des polnischen Großgrundbesitzes durch den Gouverneur mit Hilfe der Litauer gerade in Ssuwalki möglichst ungestört durch die übrigen Polen des Weichselgebiets betreiben lassen zu können. Zur direkten Russifizierung des Gebietes, wie sie etwa im östlichen Teile von Ludim, im sogenannten Cholmer Lande Platz gegriffen hatte, war Ssuwalki bisher noch nicht reif. Noch bedürfte die Negierung, wie in deu baltischen Provinzen bei der Russifizierung der Teutschen, eines Deckmantels. Der gütige Zar. das demokratische russische Volk, "ahn sich noch lediglich der „bedrückten" niederen Schichten, der Litauer, an gegen die polnischen Usurpatoren. Infolgedessen wird die Besitzergreifung von Ssuwalki durch unsere Truppen bei den Russen kaum große nationale Erregung wecken: die „geheiligte russische Erde" beginnt erst hinter der Linie Wilna— Brest-Litowsk—Ludim—Przemysl, im sogenannten Nordwest- und Südwestgebiet und in Ostgalizien. Das Gebiet des heutigen Gouvernements Ssuwalki ist zusammen mit Kowno, Grodno und Wilna in seinen wechselvollen Schicksalen auch einmal deutsches Kolonialland gewesen. Das bezeugt noch heute, abgesehen von den ^namen ehemals deutscher Edelleute, wie von Bistram, von Lengning und anderer, das Vorhandensein von mehr als 50 000 Lutheranern, von denen sich bei der letzten Volkszählung (1897) rund 40 000 noch als „njemey", das heißt als Deutsche russischer Untertanenschaft bezeichneten. Kein Wunder. Grenzboten III 1914 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/457>, abgerufen am 22.12.2024.