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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

nommer haben, einen fremden oder aber einen
überwiegend stammverwandten Volkskörper
aufweist, wobei es auch nicht ausschlaggebend
sein kann, ob diese Stammesgenossen sich
zurzeit der Gemeinsamkeit des Volkstums
bewußt sind oder nicht. Jedenfalls ist es
aber eine Gegenwartsaufgabe der jetzt be¬
stehenden deutschen Verwaltung in Belgien
"n diese Gemeinsamkeit anzuknüpfen, das
Bewußtsein derselben zu wecken und zu stärken
und den äußeren französischen Firnis des
Landes als solchen zu erkennen und zu
Gelo von Pfister behandeln").

England -- der Zuchtmeister der Welt.

Daß unsere lieben Vettern jenseits der Nordsee
wahrlich nicht an übermäßiger Bescheidenheit
leiden, haben wir immer gewußt. Bis zu
welcher Stärke sich aber ihre Anmaßung und
Selbstüberhebung allmählich entwickelt hat,
das ist uns Wohl erst seit dem Beginn des
großen Krieges ganz klar geworden. Den
Gipfel der Unverschämtheit dürfte jener Aufsatz
erreichen, den das Londoner Blatt Daily
Chronicle am 1. September gebracht hat und
der überschrieben ist: "Was soll mit dem
Kaiser geschehen?" Daß man bereits das
Fell des Bären verteilt, bevor man ihn erlegt
hat, daß man Landkarten veröffentlicht, auf
denen das Gebiet Deutschlands bis auf einen
kleinen Rest an die -- natürlich siegreichen --
Staaten des Dreiverbands aufgeteilt ist, das
wollen wir den Engländern nicht einmal so
sehr übelnehmen. Wenn aber darin das
Verlangen ausgesprochen wird, mit Kaiser
Wilhelm, der durch seine Verbrechen gegen
Kultur und Zivilisation das Leben verwirkt
habe, kurzen Prozeß zu machen, "damit
unseren Herrschern die Aufgabe abgenommen
wird, die Art seiner Bestrafung festzusetzen",
so fragt man sich unwillkürlich, ob der Ver¬
fasser des Aufsatzes noch bei klarem Verstände
war, als er diese Zeilen niederschrieb. Die
Unverfrorenheit, mit der sich England hier
anmaßt, den Zuchtmeister über andere Völker
zu spielen, erscheint uns so unfaßbar, daß
wir sie am liebsten für die Ausgeburt eines

") Man vergleiche zu diesen Ausführungen
den Aufsatz von Franz Fromme "Flamen und
Wallonen in Belgien", 1913, Heft 26.

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kranken Hirns ansehen möchten. Und doch
ist diese Überzeugung von dem Berufe Eng¬
lands als eines Zuchtmeisters der Welt tief
im Herzen des englischen Volkes eingewurzelt.
DaS möge man aus folgenden Zeilen er¬
kennen, die ein bekannter und viel gelesener
Schriftsteller Englands, A Concrn Dohle,
lange Jahre vor dem Ausbruche des Krieges
in der Erzählung "Die Tragödie der Ko-
rosko" niederschrieb und mit denen er gewiß
nur das ausdrückte, was so ziemlich jeder
Engländer denkt und fühlt.

Es unterhalten sich dort zwei Engländer
über die Besitzergreifung Ägyptens durch
Großbritannien. Der eine sagt: "Ich bin
der Ansicht, daß wir lange genug die Polizisten
der Welt gewesen sind. Wir reinigten die
Meere von Piraten und Sklavenjägern. Jetzt
reinigen wir daS Land von Derwischen,
Straßenräubern und allem, was sonst eine
Gefahr für die Zivilisation sein könnte. Es
gibt keinen verrückten Priester, Zauberdoktor
oder sonstigen Aufwiegler auf diesem Pla¬
neten, der sein Auftreten nicht dadurch an¬
zeigt, daß er nach dem nächsten britischen
Offizier sticht. Man bekommt das nachgerade
satt. Wenn ein Kurde in Kleinasien losbricht,
will die Welt wissen, warum Großbritannien
ihn nicht in Ordnung hält. Wenn in Ägypten
oder im Sudan sich die Soldaten oder die
Eingeborenen erheben, so hat wieder Gro߬
britannien nach dem Rechten zu sehen. Und
all das zu einer Begleitung von Verwün¬
schungen, wie sie der Schutzmann zu hören
bekommt, wenn er einen Einbrecher unier
seinen Spießgesellen festnimmt. Wir ernten
derbe Stöße und keinen Dank; warum
sollten wir es also tun? Laßt doch Europa
selbst seine Schmutzarbeit verrichten I"

"Nun," sagte der Oberst Cochrane, "ich
stimme Ihnen keinesfalls bei, und ich denke,
wenn Sie ein solches Verfahren befürworten,
so verrät dies eine sehr beschränkte Ausfassung
unserer nationalen Pflichten, Ich denke, daß
hinter nationalen Interessen, diplomatischen
Verhandlungen und alledem eine große lei¬
tende Macht steht -- in der Tat eine Vor¬
sehung -- die immer darauf ausgeht, aus
jedem Volke das Beste herauszuholen und
zum Wohle der ganzen Welt zu verwenden.
Wenn ein Volk aufhört, ihrem Rufe zu ant-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nommer haben, einen fremden oder aber einen
überwiegend stammverwandten Volkskörper
aufweist, wobei es auch nicht ausschlaggebend
sein kann, ob diese Stammesgenossen sich
zurzeit der Gemeinsamkeit des Volkstums
bewußt sind oder nicht. Jedenfalls ist es
aber eine Gegenwartsaufgabe der jetzt be¬
stehenden deutschen Verwaltung in Belgien
«n diese Gemeinsamkeit anzuknüpfen, das
Bewußtsein derselben zu wecken und zu stärken
und den äußeren französischen Firnis des
Landes als solchen zu erkennen und zu
Gelo von Pfister behandeln").

England — der Zuchtmeister der Welt.

Daß unsere lieben Vettern jenseits der Nordsee
wahrlich nicht an übermäßiger Bescheidenheit
leiden, haben wir immer gewußt. Bis zu
welcher Stärke sich aber ihre Anmaßung und
Selbstüberhebung allmählich entwickelt hat,
das ist uns Wohl erst seit dem Beginn des
großen Krieges ganz klar geworden. Den
Gipfel der Unverschämtheit dürfte jener Aufsatz
erreichen, den das Londoner Blatt Daily
Chronicle am 1. September gebracht hat und
der überschrieben ist: „Was soll mit dem
Kaiser geschehen?" Daß man bereits das
Fell des Bären verteilt, bevor man ihn erlegt
hat, daß man Landkarten veröffentlicht, auf
denen das Gebiet Deutschlands bis auf einen
kleinen Rest an die — natürlich siegreichen —
Staaten des Dreiverbands aufgeteilt ist, das
wollen wir den Engländern nicht einmal so
sehr übelnehmen. Wenn aber darin das
Verlangen ausgesprochen wird, mit Kaiser
Wilhelm, der durch seine Verbrechen gegen
Kultur und Zivilisation das Leben verwirkt
habe, kurzen Prozeß zu machen, „damit
unseren Herrschern die Aufgabe abgenommen
wird, die Art seiner Bestrafung festzusetzen",
so fragt man sich unwillkürlich, ob der Ver¬
fasser des Aufsatzes noch bei klarem Verstände
war, als er diese Zeilen niederschrieb. Die
Unverfrorenheit, mit der sich England hier
anmaßt, den Zuchtmeister über andere Völker
zu spielen, erscheint uns so unfaßbar, daß
wir sie am liebsten für die Ausgeburt eines

") Man vergleiche zu diesen Ausführungen
den Aufsatz von Franz Fromme „Flamen und
Wallonen in Belgien", 1913, Heft 26.

[Spaltenumbruch]

kranken Hirns ansehen möchten. Und doch
ist diese Überzeugung von dem Berufe Eng¬
lands als eines Zuchtmeisters der Welt tief
im Herzen des englischen Volkes eingewurzelt.
DaS möge man aus folgenden Zeilen er¬
kennen, die ein bekannter und viel gelesener
Schriftsteller Englands, A Concrn Dohle,
lange Jahre vor dem Ausbruche des Krieges
in der Erzählung „Die Tragödie der Ko-
rosko" niederschrieb und mit denen er gewiß
nur das ausdrückte, was so ziemlich jeder
Engländer denkt und fühlt.

Es unterhalten sich dort zwei Engländer
über die Besitzergreifung Ägyptens durch
Großbritannien. Der eine sagt: „Ich bin
der Ansicht, daß wir lange genug die Polizisten
der Welt gewesen sind. Wir reinigten die
Meere von Piraten und Sklavenjägern. Jetzt
reinigen wir daS Land von Derwischen,
Straßenräubern und allem, was sonst eine
Gefahr für die Zivilisation sein könnte. Es
gibt keinen verrückten Priester, Zauberdoktor
oder sonstigen Aufwiegler auf diesem Pla¬
neten, der sein Auftreten nicht dadurch an¬
zeigt, daß er nach dem nächsten britischen
Offizier sticht. Man bekommt das nachgerade
satt. Wenn ein Kurde in Kleinasien losbricht,
will die Welt wissen, warum Großbritannien
ihn nicht in Ordnung hält. Wenn in Ägypten
oder im Sudan sich die Soldaten oder die
Eingeborenen erheben, so hat wieder Gro߬
britannien nach dem Rechten zu sehen. Und
all das zu einer Begleitung von Verwün¬
schungen, wie sie der Schutzmann zu hören
bekommt, wenn er einen Einbrecher unier
seinen Spießgesellen festnimmt. Wir ernten
derbe Stöße und keinen Dank; warum
sollten wir es also tun? Laßt doch Europa
selbst seine Schmutzarbeit verrichten I"

„Nun," sagte der Oberst Cochrane, „ich
stimme Ihnen keinesfalls bei, und ich denke,
wenn Sie ein solches Verfahren befürworten,
so verrät dies eine sehr beschränkte Ausfassung
unserer nationalen Pflichten, Ich denke, daß
hinter nationalen Interessen, diplomatischen
Verhandlungen und alledem eine große lei¬
tende Macht steht — in der Tat eine Vor¬
sehung — die immer darauf ausgeht, aus
jedem Volke das Beste herauszuholen und
zum Wohle der ganzen Welt zu verwenden.
Wenn ein Volk aufhört, ihrem Rufe zu ant-

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[0454] Maßgebliches und Unmaßgebliches nommer haben, einen fremden oder aber einen überwiegend stammverwandten Volkskörper aufweist, wobei es auch nicht ausschlaggebend sein kann, ob diese Stammesgenossen sich zurzeit der Gemeinsamkeit des Volkstums bewußt sind oder nicht. Jedenfalls ist es aber eine Gegenwartsaufgabe der jetzt be¬ stehenden deutschen Verwaltung in Belgien «n diese Gemeinsamkeit anzuknüpfen, das Bewußtsein derselben zu wecken und zu stärken und den äußeren französischen Firnis des Landes als solchen zu erkennen und zu Gelo von Pfister behandeln"). England — der Zuchtmeister der Welt. Daß unsere lieben Vettern jenseits der Nordsee wahrlich nicht an übermäßiger Bescheidenheit leiden, haben wir immer gewußt. Bis zu welcher Stärke sich aber ihre Anmaßung und Selbstüberhebung allmählich entwickelt hat, das ist uns Wohl erst seit dem Beginn des großen Krieges ganz klar geworden. Den Gipfel der Unverschämtheit dürfte jener Aufsatz erreichen, den das Londoner Blatt Daily Chronicle am 1. September gebracht hat und der überschrieben ist: „Was soll mit dem Kaiser geschehen?" Daß man bereits das Fell des Bären verteilt, bevor man ihn erlegt hat, daß man Landkarten veröffentlicht, auf denen das Gebiet Deutschlands bis auf einen kleinen Rest an die — natürlich siegreichen — Staaten des Dreiverbands aufgeteilt ist, das wollen wir den Engländern nicht einmal so sehr übelnehmen. Wenn aber darin das Verlangen ausgesprochen wird, mit Kaiser Wilhelm, der durch seine Verbrechen gegen Kultur und Zivilisation das Leben verwirkt habe, kurzen Prozeß zu machen, „damit unseren Herrschern die Aufgabe abgenommen wird, die Art seiner Bestrafung festzusetzen", so fragt man sich unwillkürlich, ob der Ver¬ fasser des Aufsatzes noch bei klarem Verstände war, als er diese Zeilen niederschrieb. Die Unverfrorenheit, mit der sich England hier anmaßt, den Zuchtmeister über andere Völker zu spielen, erscheint uns so unfaßbar, daß wir sie am liebsten für die Ausgeburt eines ") Man vergleiche zu diesen Ausführungen den Aufsatz von Franz Fromme „Flamen und Wallonen in Belgien", 1913, Heft 26. kranken Hirns ansehen möchten. Und doch ist diese Überzeugung von dem Berufe Eng¬ lands als eines Zuchtmeisters der Welt tief im Herzen des englischen Volkes eingewurzelt. DaS möge man aus folgenden Zeilen er¬ kennen, die ein bekannter und viel gelesener Schriftsteller Englands, A Concrn Dohle, lange Jahre vor dem Ausbruche des Krieges in der Erzählung „Die Tragödie der Ko- rosko" niederschrieb und mit denen er gewiß nur das ausdrückte, was so ziemlich jeder Engländer denkt und fühlt. Es unterhalten sich dort zwei Engländer über die Besitzergreifung Ägyptens durch Großbritannien. Der eine sagt: „Ich bin der Ansicht, daß wir lange genug die Polizisten der Welt gewesen sind. Wir reinigten die Meere von Piraten und Sklavenjägern. Jetzt reinigen wir daS Land von Derwischen, Straßenräubern und allem, was sonst eine Gefahr für die Zivilisation sein könnte. Es gibt keinen verrückten Priester, Zauberdoktor oder sonstigen Aufwiegler auf diesem Pla¬ neten, der sein Auftreten nicht dadurch an¬ zeigt, daß er nach dem nächsten britischen Offizier sticht. Man bekommt das nachgerade satt. Wenn ein Kurde in Kleinasien losbricht, will die Welt wissen, warum Großbritannien ihn nicht in Ordnung hält. Wenn in Ägypten oder im Sudan sich die Soldaten oder die Eingeborenen erheben, so hat wieder Gro߬ britannien nach dem Rechten zu sehen. Und all das zu einer Begleitung von Verwün¬ schungen, wie sie der Schutzmann zu hören bekommt, wenn er einen Einbrecher unier seinen Spießgesellen festnimmt. Wir ernten derbe Stöße und keinen Dank; warum sollten wir es also tun? Laßt doch Europa selbst seine Schmutzarbeit verrichten I" „Nun," sagte der Oberst Cochrane, „ich stimme Ihnen keinesfalls bei, und ich denke, wenn Sie ein solches Verfahren befürworten, so verrät dies eine sehr beschränkte Ausfassung unserer nationalen Pflichten, Ich denke, daß hinter nationalen Interessen, diplomatischen Verhandlungen und alledem eine große lei¬ tende Macht steht — in der Tat eine Vor¬ sehung — die immer darauf ausgeht, aus jedem Volke das Beste herauszuholen und zum Wohle der ganzen Welt zu verwenden. Wenn ein Volk aufhört, ihrem Rufe zu ant-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/454>, abgerufen am 13.11.2024.