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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Englische Politik

Unruhen auch in London über Japans letzte Schritte berichtet wird, so würde
das bedeuten, daß dort die Erkenntnis aufdämmert, wie sehrJapan allmählich seinem
Lehrmeister über den Kopf wächst. Wie an anderen Punkten der Welt, so
liegt auch in Ostasien die Gefahr vor, daß England die Geister, die es rief,
nicht mehr los wird.

Das ostasiatische Problem wird in eine neue Phase treten. Mehr als
andere Länder hat England zu verlieren. Seine einseitige und eigenmächtige
Politik wird, falls Japan einmal ihm nicht vorgeschriebene Bahnen wandeln
sollte, sich an seinem eigenen Leibe am bittersten rächen.




Englische Politik
von Dr. L. Haendcke

er Aufstieg Englands zur weltbeherrschenden Seemacht vollzieht
sich in etwa zweihundertundfünfzig Jahren, von den Tagen der
Königin Elisabeth an bis zum Zweiten Pariser Frieden 1815.
Im Laufe dieser Zeit sind die Engländer das erste See- und
Kolonialvolk der Welt geworden unter einem gewaltigen Aufwand
von Tatkraft und Arbeit. Nacheinander haben sie ihre Rivalen, Spanier,
Holländer und Franzosen niedergerungen und sich selbst an deren Stelle gesetzt.
In diesen immerwährenden, mehr als einmal die ganze Existenz bedrohenden
Kämpfen haben sie eine Politik ausgebildet, die für alle ihre Staatsmänner,
welcher Parteischattierung sie auch angehören mochten, verbindlich war und wie
ein Palladium von einer Generation zur anderen vererbt wurde. Die Grund¬
sätze blieben dieselben, ihre Anwendung war verschieden je nach Zeitverhältnissen,
Begabung und Temperament der leitenden Männer. Seine abgeschlossene Lage,
die innige Verbindung eines jeden seiner Bürger mit dem Blühen und
Welken von Handel und Industrie, sein parlamentarisches Regierungssnstem,
das Einflüsse von Koterien und Interessengruppen auszuschalten scheint, haben
in der Verfechtung der äußeren Interessen ein so festes Band zwischen Regierung
und Volk geschlungen, daß für einen Gegensatz kein Boden mehr ist. Gewiß
hat es auch aus diesem Gebiete nicht an Opposition gefehlt, aber nur des Weges,
nicht des Zieles wegen. So können in diesem rein parlamentarisch regierten
Lande die Minister in den Fragen äußerer Politik mit einer fast autokratischen
Machtvollkommenheit handeln. Man denke nur an den Kampf ^des jüngeren
Pitt und seiner unmittelbaren Nachfolger gegen Napoleon den Ersten. Die
Grundzüge dieser Politik sind einfach genug: sich ein Maß von Einfluß auch in


Englische Politik

Unruhen auch in London über Japans letzte Schritte berichtet wird, so würde
das bedeuten, daß dort die Erkenntnis aufdämmert, wie sehrJapan allmählich seinem
Lehrmeister über den Kopf wächst. Wie an anderen Punkten der Welt, so
liegt auch in Ostasien die Gefahr vor, daß England die Geister, die es rief,
nicht mehr los wird.

Das ostasiatische Problem wird in eine neue Phase treten. Mehr als
andere Länder hat England zu verlieren. Seine einseitige und eigenmächtige
Politik wird, falls Japan einmal ihm nicht vorgeschriebene Bahnen wandeln
sollte, sich an seinem eigenen Leibe am bittersten rächen.




Englische Politik
von Dr. L. Haendcke

er Aufstieg Englands zur weltbeherrschenden Seemacht vollzieht
sich in etwa zweihundertundfünfzig Jahren, von den Tagen der
Königin Elisabeth an bis zum Zweiten Pariser Frieden 1815.
Im Laufe dieser Zeit sind die Engländer das erste See- und
Kolonialvolk der Welt geworden unter einem gewaltigen Aufwand
von Tatkraft und Arbeit. Nacheinander haben sie ihre Rivalen, Spanier,
Holländer und Franzosen niedergerungen und sich selbst an deren Stelle gesetzt.
In diesen immerwährenden, mehr als einmal die ganze Existenz bedrohenden
Kämpfen haben sie eine Politik ausgebildet, die für alle ihre Staatsmänner,
welcher Parteischattierung sie auch angehören mochten, verbindlich war und wie
ein Palladium von einer Generation zur anderen vererbt wurde. Die Grund¬
sätze blieben dieselben, ihre Anwendung war verschieden je nach Zeitverhältnissen,
Begabung und Temperament der leitenden Männer. Seine abgeschlossene Lage,
die innige Verbindung eines jeden seiner Bürger mit dem Blühen und
Welken von Handel und Industrie, sein parlamentarisches Regierungssnstem,
das Einflüsse von Koterien und Interessengruppen auszuschalten scheint, haben
in der Verfechtung der äußeren Interessen ein so festes Band zwischen Regierung
und Volk geschlungen, daß für einen Gegensatz kein Boden mehr ist. Gewiß
hat es auch aus diesem Gebiete nicht an Opposition gefehlt, aber nur des Weges,
nicht des Zieles wegen. So können in diesem rein parlamentarisch regierten
Lande die Minister in den Fragen äußerer Politik mit einer fast autokratischen
Machtvollkommenheit handeln. Man denke nur an den Kampf ^des jüngeren
Pitt und seiner unmittelbaren Nachfolger gegen Napoleon den Ersten. Die
Grundzüge dieser Politik sind einfach genug: sich ein Maß von Einfluß auch in


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[0360] Englische Politik Unruhen auch in London über Japans letzte Schritte berichtet wird, so würde das bedeuten, daß dort die Erkenntnis aufdämmert, wie sehrJapan allmählich seinem Lehrmeister über den Kopf wächst. Wie an anderen Punkten der Welt, so liegt auch in Ostasien die Gefahr vor, daß England die Geister, die es rief, nicht mehr los wird. Das ostasiatische Problem wird in eine neue Phase treten. Mehr als andere Länder hat England zu verlieren. Seine einseitige und eigenmächtige Politik wird, falls Japan einmal ihm nicht vorgeschriebene Bahnen wandeln sollte, sich an seinem eigenen Leibe am bittersten rächen. Englische Politik von Dr. L. Haendcke er Aufstieg Englands zur weltbeherrschenden Seemacht vollzieht sich in etwa zweihundertundfünfzig Jahren, von den Tagen der Königin Elisabeth an bis zum Zweiten Pariser Frieden 1815. Im Laufe dieser Zeit sind die Engländer das erste See- und Kolonialvolk der Welt geworden unter einem gewaltigen Aufwand von Tatkraft und Arbeit. Nacheinander haben sie ihre Rivalen, Spanier, Holländer und Franzosen niedergerungen und sich selbst an deren Stelle gesetzt. In diesen immerwährenden, mehr als einmal die ganze Existenz bedrohenden Kämpfen haben sie eine Politik ausgebildet, die für alle ihre Staatsmänner, welcher Parteischattierung sie auch angehören mochten, verbindlich war und wie ein Palladium von einer Generation zur anderen vererbt wurde. Die Grund¬ sätze blieben dieselben, ihre Anwendung war verschieden je nach Zeitverhältnissen, Begabung und Temperament der leitenden Männer. Seine abgeschlossene Lage, die innige Verbindung eines jeden seiner Bürger mit dem Blühen und Welken von Handel und Industrie, sein parlamentarisches Regierungssnstem, das Einflüsse von Koterien und Interessengruppen auszuschalten scheint, haben in der Verfechtung der äußeren Interessen ein so festes Band zwischen Regierung und Volk geschlungen, daß für einen Gegensatz kein Boden mehr ist. Gewiß hat es auch aus diesem Gebiete nicht an Opposition gefehlt, aber nur des Weges, nicht des Zieles wegen. So können in diesem rein parlamentarisch regierten Lande die Minister in den Fragen äußerer Politik mit einer fast autokratischen Machtvollkommenheit handeln. Man denke nur an den Kampf ^des jüngeren Pitt und seiner unmittelbaren Nachfolger gegen Napoleon den Ersten. Die Grundzüge dieser Politik sind einfach genug: sich ein Maß von Einfluß auch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/360>, abgerufen am 13.11.2024.