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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Franz Liszt

theologische und historische Schulung, noch mehr aber religiöses Empfinden von
tiefer Innigkeit und Wärme. Darin besteht ja wohl die Religiosität: in der
Fähigkeit, das kleinste Geschehnis des Alltags und die großen Ereignisse des
Menschenlebens und der Weltgeschichte einzustellen unter einen beherrschenden
Gesichtspunkt, der dem Einzelleben Halt, Sinn und Wert gibt. Lud Zpecie
ÄLterniwtis leben nennt das die Sprache der Religion.

Der kleine Band von kaum zweihundert Seiten in seiner feinen, gefälligen
Aufmachung ist ein beachtenswertes Dokument vom religiösen Ringen der Gegen¬
wart, speziell in den Reihen der gebildeten Katholiken. In ihre Hand gehört
es in erster Linie: in die Hand der Radikalen und Pessimisten so gut wie in
die Hand der Indifferenten und der satten Konservativen. Aber es sollte auch
von Nichtkatholiken keiner daran vorbeigehen, der Interesse hat an den religiösen
Strömungen der Gegenwart. Der Ernst des Suchens, der aus den Worten
Furth spricht, der feste Wille zu positivem Aufbau, nicht zu Negation und
Revolution, die vornehme Weitherzigkeit der Anschauungen und das edle sprach¬
liche Gewand, das sind Eigenschaften, die der Schrift Hochschätzung und Sym¬
pathie verschaffen sollten auch da, wo man grundsätzlich anders denkt.




Franz Liszt
von Dr. Hermann Seeliger II.
Das Werk und wir

s ist ein immer noch weit genug verbreiteter Irrtum, daß der
Name Beethoven den letzten gewaltigen Schlußstein einer großen
Epoche der Musikgeschichte bedeute: wie er einerseits eine jahr¬
hundertelange künstlerische Kultur zum Abschluß bringt, so steht
er zugleich am Anfang einer neuen, der neuen, in deren Luft wir
heute atmen -- es ist daher begreiflich, daß die musikalische Romantik ihn ebenso
für sich in Anspruch nehmen konnte wie die literarische Goethe. Aber von
dem unirdischen Glänze, in dem sich allein sein Genius baden konnte, von der
Höhe einer Symbolik, die Gottheit, Natur, Menschenschicksal umspannte
in einer bisher unerhört persönlichen Offenbarung, mußte sich der Blick der
jungen, auf Beethoven folgenden Generation wieder der Erde zuwenden,
deren Reichtum sich jetzt erst dem Verständnis zu erschließen schien. Und aus
dem liebe- und ahnungsvollen Erfassen dieses Reichtums empfängt die MusikWW


Franz Liszt

theologische und historische Schulung, noch mehr aber religiöses Empfinden von
tiefer Innigkeit und Wärme. Darin besteht ja wohl die Religiosität: in der
Fähigkeit, das kleinste Geschehnis des Alltags und die großen Ereignisse des
Menschenlebens und der Weltgeschichte einzustellen unter einen beherrschenden
Gesichtspunkt, der dem Einzelleben Halt, Sinn und Wert gibt. Lud Zpecie
ÄLterniwtis leben nennt das die Sprache der Religion.

Der kleine Band von kaum zweihundert Seiten in seiner feinen, gefälligen
Aufmachung ist ein beachtenswertes Dokument vom religiösen Ringen der Gegen¬
wart, speziell in den Reihen der gebildeten Katholiken. In ihre Hand gehört
es in erster Linie: in die Hand der Radikalen und Pessimisten so gut wie in
die Hand der Indifferenten und der satten Konservativen. Aber es sollte auch
von Nichtkatholiken keiner daran vorbeigehen, der Interesse hat an den religiösen
Strömungen der Gegenwart. Der Ernst des Suchens, der aus den Worten
Furth spricht, der feste Wille zu positivem Aufbau, nicht zu Negation und
Revolution, die vornehme Weitherzigkeit der Anschauungen und das edle sprach¬
liche Gewand, das sind Eigenschaften, die der Schrift Hochschätzung und Sym¬
pathie verschaffen sollten auch da, wo man grundsätzlich anders denkt.




Franz Liszt
von Dr. Hermann Seeliger II.
Das Werk und wir

s ist ein immer noch weit genug verbreiteter Irrtum, daß der
Name Beethoven den letzten gewaltigen Schlußstein einer großen
Epoche der Musikgeschichte bedeute: wie er einerseits eine jahr¬
hundertelange künstlerische Kultur zum Abschluß bringt, so steht
er zugleich am Anfang einer neuen, der neuen, in deren Luft wir
heute atmen — es ist daher begreiflich, daß die musikalische Romantik ihn ebenso
für sich in Anspruch nehmen konnte wie die literarische Goethe. Aber von
dem unirdischen Glänze, in dem sich allein sein Genius baden konnte, von der
Höhe einer Symbolik, die Gottheit, Natur, Menschenschicksal umspannte
in einer bisher unerhört persönlichen Offenbarung, mußte sich der Blick der
jungen, auf Beethoven folgenden Generation wieder der Erde zuwenden,
deren Reichtum sich jetzt erst dem Verständnis zu erschließen schien. Und aus
dem liebe- und ahnungsvollen Erfassen dieses Reichtums empfängt die MusikWW


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[0036] Franz Liszt theologische und historische Schulung, noch mehr aber religiöses Empfinden von tiefer Innigkeit und Wärme. Darin besteht ja wohl die Religiosität: in der Fähigkeit, das kleinste Geschehnis des Alltags und die großen Ereignisse des Menschenlebens und der Weltgeschichte einzustellen unter einen beherrschenden Gesichtspunkt, der dem Einzelleben Halt, Sinn und Wert gibt. Lud Zpecie ÄLterniwtis leben nennt das die Sprache der Religion. Der kleine Band von kaum zweihundert Seiten in seiner feinen, gefälligen Aufmachung ist ein beachtenswertes Dokument vom religiösen Ringen der Gegen¬ wart, speziell in den Reihen der gebildeten Katholiken. In ihre Hand gehört es in erster Linie: in die Hand der Radikalen und Pessimisten so gut wie in die Hand der Indifferenten und der satten Konservativen. Aber es sollte auch von Nichtkatholiken keiner daran vorbeigehen, der Interesse hat an den religiösen Strömungen der Gegenwart. Der Ernst des Suchens, der aus den Worten Furth spricht, der feste Wille zu positivem Aufbau, nicht zu Negation und Revolution, die vornehme Weitherzigkeit der Anschauungen und das edle sprach¬ liche Gewand, das sind Eigenschaften, die der Schrift Hochschätzung und Sym¬ pathie verschaffen sollten auch da, wo man grundsätzlich anders denkt. Franz Liszt von Dr. Hermann Seeliger II. Das Werk und wir s ist ein immer noch weit genug verbreiteter Irrtum, daß der Name Beethoven den letzten gewaltigen Schlußstein einer großen Epoche der Musikgeschichte bedeute: wie er einerseits eine jahr¬ hundertelange künstlerische Kultur zum Abschluß bringt, so steht er zugleich am Anfang einer neuen, der neuen, in deren Luft wir heute atmen — es ist daher begreiflich, daß die musikalische Romantik ihn ebenso für sich in Anspruch nehmen konnte wie die literarische Goethe. Aber von dem unirdischen Glänze, in dem sich allein sein Genius baden konnte, von der Höhe einer Symbolik, die Gottheit, Natur, Menschenschicksal umspannte in einer bisher unerhört persönlichen Offenbarung, mußte sich der Blick der jungen, auf Beethoven folgenden Generation wieder der Erde zuwenden, deren Reichtum sich jetzt erst dem Verständnis zu erschließen schien. Und aus dem liebe- und ahnungsvollen Erfassen dieses Reichtums empfängt die MusikWW

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/36>, abgerufen am 13.11.2024.