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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee al? Gegner

wieder. Er war voll wilder Kampfeswut, gewaltsam und unbarmherzig und
daneben voll Gutmütigkeit, ja voll Weichheit. Als sich ihm Warschau nach den
Greueln, welche die Erstürmung der Vorstadt Praga gebracht hatte, ergab,
umarmte er die polnischen Unterhändler, und bei der Empfangnahme der
Schlüssel ihrer Hauptstadt brach er in Tränen aus.

Sein bekanntes Wort, daß die Kugel eine Törin, das Bajonett ein ganzer
Mann sei, traf auf das glücklichste mit den national-russischen Instinkten zu¬
sammen. Suworow erkannte, daß die Schulung der Russen für den Feuer¬
kampf der Lineartaktik nicht ausreichte. Wollten sie daher nicht auf die Dauer
ausschließlich zur Defensive verurteilt bleiben, sollte die wesentlich passiv ver¬
anlagte Natur des russischen Soldaten zur Aktivität gesteigert werden, dann
mußte der Bajonettstoß in dichter geschlossener Masse an die Stelle des Feuer¬
kampfes treten. Nur so konnte die Armee die ihr fehlende Beweglichkeit
gewinnen. Das Ganze bildete unter Suworows Führung eigentlich eine große
geschlossene Masse. In dieser sah sich der einzelne mit fortgerissen, sie wirkte
suggestiv auf ihn ein. Dem einfachen "Drauf" waren auch die wenigst gewandten
Unterführer im russischen Heere gewachsen.

Dennoch ist Suworow im Grunde nur ein vereinzeltes Meteor am
Firmament des russischen Heeres geblieben. An Bewunderern hat es ihm nicht
gefehlt, aber die gesunde Richtung seiner Schule ging verloren in den kleinen
Künsten einer nur den Äußerlichkeiten des Friedensdienstes zugewandten Aus¬
bildungsmethode, wie sie unter Kaiser Paul aufkam und unter seinen Nach¬
folgern Alexander dem Ersten und Nikolaus dem Ersten herrschend blieb. Diese
Art der Soldatendressur, die ihr Ziel in der Parade, nicht in der Arbeit für
den Krieg sah, war ursprünglich preußischen Vorbildern entnommen; sie entsprang
der Bewunderung Pauls für die Armee Friedrichs des Großen, von der er
indessen nur die Außenseite sah und in übertriebener Weise nachahmte. Die
von ihm verschärfte preußische Dressur wurde den Russen, deren Wesen sie in
keiner Weise entsprach, künstlich aufgepfropft. Unter der Willkürherrschaft
dieses Kaisers war kein Raum für die Entfaltung von Persönlichkeiten vom
Schlage Suworows.


2. Unter Alexander dem Ersten und Nikolaus dem Ersten

Alexander der Erste milderte zwar die tyrannische Härte, die das Heer
unter seinem unglücklichen Vater so schwer empfunden hatte, aber das System
der Ausbildung, die ganze Auffassung des soldatischen Berufs, blieben dieselben.
Wohl besaß Alexander viel theoretischen Idealismus, er lebte in dem großen
Gedanken der Befreiung Europas vom Joche Napoleons, die tatsächlich
wesentlich seiner Initiative zu danken ist. ein Feldherr aber war er nicht. Seit
dem unglücklichen Tage von Austerlitz fühlte er das selbst. Er war persönlich
von ritterlicher Tapferkeit, aber ihm schlug kein soldatisch empfindendes Herz. Er
wie seine Brüder waren keine eigentlich kriegerische Naturen.


Die russische Armee al? Gegner

wieder. Er war voll wilder Kampfeswut, gewaltsam und unbarmherzig und
daneben voll Gutmütigkeit, ja voll Weichheit. Als sich ihm Warschau nach den
Greueln, welche die Erstürmung der Vorstadt Praga gebracht hatte, ergab,
umarmte er die polnischen Unterhändler, und bei der Empfangnahme der
Schlüssel ihrer Hauptstadt brach er in Tränen aus.

Sein bekanntes Wort, daß die Kugel eine Törin, das Bajonett ein ganzer
Mann sei, traf auf das glücklichste mit den national-russischen Instinkten zu¬
sammen. Suworow erkannte, daß die Schulung der Russen für den Feuer¬
kampf der Lineartaktik nicht ausreichte. Wollten sie daher nicht auf die Dauer
ausschließlich zur Defensive verurteilt bleiben, sollte die wesentlich passiv ver¬
anlagte Natur des russischen Soldaten zur Aktivität gesteigert werden, dann
mußte der Bajonettstoß in dichter geschlossener Masse an die Stelle des Feuer¬
kampfes treten. Nur so konnte die Armee die ihr fehlende Beweglichkeit
gewinnen. Das Ganze bildete unter Suworows Führung eigentlich eine große
geschlossene Masse. In dieser sah sich der einzelne mit fortgerissen, sie wirkte
suggestiv auf ihn ein. Dem einfachen „Drauf" waren auch die wenigst gewandten
Unterführer im russischen Heere gewachsen.

Dennoch ist Suworow im Grunde nur ein vereinzeltes Meteor am
Firmament des russischen Heeres geblieben. An Bewunderern hat es ihm nicht
gefehlt, aber die gesunde Richtung seiner Schule ging verloren in den kleinen
Künsten einer nur den Äußerlichkeiten des Friedensdienstes zugewandten Aus¬
bildungsmethode, wie sie unter Kaiser Paul aufkam und unter seinen Nach¬
folgern Alexander dem Ersten und Nikolaus dem Ersten herrschend blieb. Diese
Art der Soldatendressur, die ihr Ziel in der Parade, nicht in der Arbeit für
den Krieg sah, war ursprünglich preußischen Vorbildern entnommen; sie entsprang
der Bewunderung Pauls für die Armee Friedrichs des Großen, von der er
indessen nur die Außenseite sah und in übertriebener Weise nachahmte. Die
von ihm verschärfte preußische Dressur wurde den Russen, deren Wesen sie in
keiner Weise entsprach, künstlich aufgepfropft. Unter der Willkürherrschaft
dieses Kaisers war kein Raum für die Entfaltung von Persönlichkeiten vom
Schlage Suworows.


2. Unter Alexander dem Ersten und Nikolaus dem Ersten

Alexander der Erste milderte zwar die tyrannische Härte, die das Heer
unter seinem unglücklichen Vater so schwer empfunden hatte, aber das System
der Ausbildung, die ganze Auffassung des soldatischen Berufs, blieben dieselben.
Wohl besaß Alexander viel theoretischen Idealismus, er lebte in dem großen
Gedanken der Befreiung Europas vom Joche Napoleons, die tatsächlich
wesentlich seiner Initiative zu danken ist. ein Feldherr aber war er nicht. Seit
dem unglücklichen Tage von Austerlitz fühlte er das selbst. Er war persönlich
von ritterlicher Tapferkeit, aber ihm schlug kein soldatisch empfindendes Herz. Er
wie seine Brüder waren keine eigentlich kriegerische Naturen.


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[0261] Die russische Armee al? Gegner wieder. Er war voll wilder Kampfeswut, gewaltsam und unbarmherzig und daneben voll Gutmütigkeit, ja voll Weichheit. Als sich ihm Warschau nach den Greueln, welche die Erstürmung der Vorstadt Praga gebracht hatte, ergab, umarmte er die polnischen Unterhändler, und bei der Empfangnahme der Schlüssel ihrer Hauptstadt brach er in Tränen aus. Sein bekanntes Wort, daß die Kugel eine Törin, das Bajonett ein ganzer Mann sei, traf auf das glücklichste mit den national-russischen Instinkten zu¬ sammen. Suworow erkannte, daß die Schulung der Russen für den Feuer¬ kampf der Lineartaktik nicht ausreichte. Wollten sie daher nicht auf die Dauer ausschließlich zur Defensive verurteilt bleiben, sollte die wesentlich passiv ver¬ anlagte Natur des russischen Soldaten zur Aktivität gesteigert werden, dann mußte der Bajonettstoß in dichter geschlossener Masse an die Stelle des Feuer¬ kampfes treten. Nur so konnte die Armee die ihr fehlende Beweglichkeit gewinnen. Das Ganze bildete unter Suworows Führung eigentlich eine große geschlossene Masse. In dieser sah sich der einzelne mit fortgerissen, sie wirkte suggestiv auf ihn ein. Dem einfachen „Drauf" waren auch die wenigst gewandten Unterführer im russischen Heere gewachsen. Dennoch ist Suworow im Grunde nur ein vereinzeltes Meteor am Firmament des russischen Heeres geblieben. An Bewunderern hat es ihm nicht gefehlt, aber die gesunde Richtung seiner Schule ging verloren in den kleinen Künsten einer nur den Äußerlichkeiten des Friedensdienstes zugewandten Aus¬ bildungsmethode, wie sie unter Kaiser Paul aufkam und unter seinen Nach¬ folgern Alexander dem Ersten und Nikolaus dem Ersten herrschend blieb. Diese Art der Soldatendressur, die ihr Ziel in der Parade, nicht in der Arbeit für den Krieg sah, war ursprünglich preußischen Vorbildern entnommen; sie entsprang der Bewunderung Pauls für die Armee Friedrichs des Großen, von der er indessen nur die Außenseite sah und in übertriebener Weise nachahmte. Die von ihm verschärfte preußische Dressur wurde den Russen, deren Wesen sie in keiner Weise entsprach, künstlich aufgepfropft. Unter der Willkürherrschaft dieses Kaisers war kein Raum für die Entfaltung von Persönlichkeiten vom Schlage Suworows. 2. Unter Alexander dem Ersten und Nikolaus dem Ersten Alexander der Erste milderte zwar die tyrannische Härte, die das Heer unter seinem unglücklichen Vater so schwer empfunden hatte, aber das System der Ausbildung, die ganze Auffassung des soldatischen Berufs, blieben dieselben. Wohl besaß Alexander viel theoretischen Idealismus, er lebte in dem großen Gedanken der Befreiung Europas vom Joche Napoleons, die tatsächlich wesentlich seiner Initiative zu danken ist. ein Feldherr aber war er nicht. Seit dem unglücklichen Tage von Austerlitz fühlte er das selbst. Er war persönlich von ritterlicher Tapferkeit, aber ihm schlug kein soldatisch empfindendes Herz. Er wie seine Brüder waren keine eigentlich kriegerische Naturen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/261>, abgerufen am 13.11.2024.