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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

treffen mit den Preußen am 30. August 1757 bei Gr. Jägersdorf war der
Eindruck, den die starke russische Artillerie hervorrief, außerordentlich nach¬
haltig. Der Kampf gegen die Russen galt seitdem in König Friedrichs Armee
als die schwerste Arbeit. Die russischen Generale gaben ihrer Schlachtordnung
meist eine große Tiefe auf Kosten der Beweglichkeit. Es ist durchaus begreiflich,
daß namentlich dort, wo sie sich König Friedrich, dem ersten Feldherrn der
Zeit, in Person gegenübergestellt sahen, es vorzogen, den Angriff der Preußen
stehenden Fußes anzunehmen. Das Vertrauen auf die bewährte Standhaftigkeit
ihrer Mannschaften hat sie hierbei nicht getäuscht. Bekanntlich wollte die russische
Infanterie bei Zorndorf keinen Pardon annehmen und ließ sich von Seydlitzs
Reitern buchstäblich in Stücke hauen. Bei Kunersdorf erlahmte der preußische
Jnfanterieangriff an den dichten Massen der Russen, wenn auch das Haupt¬
verdienst an diesem bedeutendsten Siege über Friedrich Laudon und seinen
tapferen Österreichern gebührt.

Die Negierung Katharinas der Zweiten ist durch eine Reihe glänzender
Erfolge der russischen Waffen gekennzeichnet. Bon dieser Kaiserin ist gesagt
worden: "In ihrer Behandlung des Heeres zeigte Katharina das feine Ver¬
ständnis russischen Wesens, das all ihr Tun charakterisiert. Sie beherrschte die
Armee durch die obersten Führer, die sie ihr setzte, hütete sich sorgsam vor
jedem Eingreifen in die innere Organisation derselben und gab auch hier der
russischen Natur Raum, sich soweit zu entfalten, wie irgend mit dem Staats¬
interesse verträglich war. Auch ist der Kriegsdienst nie populärer gewesen in
den Kreisen des Adels, der die Offiziere stellte, und nie weniger gefürchtet in
den Kreisen der Bauernschaft, der sie ihre Rekruten entnahm, als in den Tagen
Katharinas. Mochte dieses Heer, das sich nur an schwächeren Gegnern gemessen
hatte, auch seine Kraft überschätzen, es war ein unbedingt williges und gefügiges
Werkzeug, auf welches die Kaiserin rechnen konnte, und das zudem, dank der
Freiheit der Bewegung, die den Führern stets gewährt wurde, der Ausbildung
militärischer Talente ungewöhnlich reichen Spielraum bot."

Ein solches Talent, und zwar ein hervorragendes, war Suworow.
Meditationskraft war ihn? nicht fremd, aber seine eigentliche Größe liegt weit
mehr in Eigenschaften des Charakters als des Verstandes. Ein unbeugsamer,
durch nichts zu erschütternder Wille erscheint in ihm als der hervorstechende
Zug. Nicht mit Unrecht vergleicht ihn Clausewitz mit Blücher, indem er sagt:
"In beiden war die subjektive Seite des Feldherrn höchst ausgezeichnet, aber
beiden fehlte die klare Einsicht in die objektive Welt."

Wie kaum jemals ein Feldherr, wußte Suworow seine unbezwingliche
Energie auf die Truppe zu übertragen. Weil er von seinen Soldaten ver¬
standen wurde, sich ganz als einen der Ihrigen gab, gelang es ihm, von ihnen
die höchsten Leistungen zu erzielen. Von niemandem ist die Psyche des damaligen
russischen Soldaten richtiger erfaßt worden als von Suworow. In seinem
eigenen Wesen finden sich manche typische Züge des russischen gemeinen Mannes


Die russische Armee als Gegner

treffen mit den Preußen am 30. August 1757 bei Gr. Jägersdorf war der
Eindruck, den die starke russische Artillerie hervorrief, außerordentlich nach¬
haltig. Der Kampf gegen die Russen galt seitdem in König Friedrichs Armee
als die schwerste Arbeit. Die russischen Generale gaben ihrer Schlachtordnung
meist eine große Tiefe auf Kosten der Beweglichkeit. Es ist durchaus begreiflich,
daß namentlich dort, wo sie sich König Friedrich, dem ersten Feldherrn der
Zeit, in Person gegenübergestellt sahen, es vorzogen, den Angriff der Preußen
stehenden Fußes anzunehmen. Das Vertrauen auf die bewährte Standhaftigkeit
ihrer Mannschaften hat sie hierbei nicht getäuscht. Bekanntlich wollte die russische
Infanterie bei Zorndorf keinen Pardon annehmen und ließ sich von Seydlitzs
Reitern buchstäblich in Stücke hauen. Bei Kunersdorf erlahmte der preußische
Jnfanterieangriff an den dichten Massen der Russen, wenn auch das Haupt¬
verdienst an diesem bedeutendsten Siege über Friedrich Laudon und seinen
tapferen Österreichern gebührt.

Die Negierung Katharinas der Zweiten ist durch eine Reihe glänzender
Erfolge der russischen Waffen gekennzeichnet. Bon dieser Kaiserin ist gesagt
worden: „In ihrer Behandlung des Heeres zeigte Katharina das feine Ver¬
ständnis russischen Wesens, das all ihr Tun charakterisiert. Sie beherrschte die
Armee durch die obersten Führer, die sie ihr setzte, hütete sich sorgsam vor
jedem Eingreifen in die innere Organisation derselben und gab auch hier der
russischen Natur Raum, sich soweit zu entfalten, wie irgend mit dem Staats¬
interesse verträglich war. Auch ist der Kriegsdienst nie populärer gewesen in
den Kreisen des Adels, der die Offiziere stellte, und nie weniger gefürchtet in
den Kreisen der Bauernschaft, der sie ihre Rekruten entnahm, als in den Tagen
Katharinas. Mochte dieses Heer, das sich nur an schwächeren Gegnern gemessen
hatte, auch seine Kraft überschätzen, es war ein unbedingt williges und gefügiges
Werkzeug, auf welches die Kaiserin rechnen konnte, und das zudem, dank der
Freiheit der Bewegung, die den Führern stets gewährt wurde, der Ausbildung
militärischer Talente ungewöhnlich reichen Spielraum bot."

Ein solches Talent, und zwar ein hervorragendes, war Suworow.
Meditationskraft war ihn? nicht fremd, aber seine eigentliche Größe liegt weit
mehr in Eigenschaften des Charakters als des Verstandes. Ein unbeugsamer,
durch nichts zu erschütternder Wille erscheint in ihm als der hervorstechende
Zug. Nicht mit Unrecht vergleicht ihn Clausewitz mit Blücher, indem er sagt:
„In beiden war die subjektive Seite des Feldherrn höchst ausgezeichnet, aber
beiden fehlte die klare Einsicht in die objektive Welt."

Wie kaum jemals ein Feldherr, wußte Suworow seine unbezwingliche
Energie auf die Truppe zu übertragen. Weil er von seinen Soldaten ver¬
standen wurde, sich ganz als einen der Ihrigen gab, gelang es ihm, von ihnen
die höchsten Leistungen zu erzielen. Von niemandem ist die Psyche des damaligen
russischen Soldaten richtiger erfaßt worden als von Suworow. In seinem
eigenen Wesen finden sich manche typische Züge des russischen gemeinen Mannes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/260>, abgerufen am 27.07.2024.