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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und Italien
von Gberregierungsrat Dr. <L. Jacobi

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RMzl
MMor einiger Zeit erschien in der ^etion frau^aise, dem Organ der
^ royalistischen Jugend Frankreichs, ein Artikel, in dem ausgeführt
wurde, wie anders sich die Geschicke Frankreichs gestaltet hätten,
wenn nach 1843, anstatt Napoleon dem Dritten, ein König aus
einer der alten französischen Königsfamilien, ein Bourbon oder
Orleans auf dem Thron Frankreichs gesessen hätte. Dabei wurde Napoleon
dem Dritten vor allem zum Vorwurf gemacht, daß er die alte Politik der
französischen Könige seit der Renaissance, die in der Einheit Deutschlands und
Italiens die größte Gefahr für Frankreich gesehen habe, verlassen und direkt
dazu beigetragen habe, diese für Frankreich so verderbliche Entwicklung der
beiden Nachbarn zur Einheit herbeizuführen. Von Deutschland wollen wir hier
absehen, was aber Italien betrifft, so ist es allerdings merkwürdig, wie alle
Regierungen Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert den italienischen Einheits¬
bestrebungen mindestens gleichgültig, meist aber feindlich gegenüberstanden; ein Stand¬
punkt, den eben erst Napoleon der Dritte 1859 verließ. Durch Napoleon den Ersten
hatte die Idee der italienischen Einheit, die seit den Tagen Lorenzos von Medici
und Macchiavells nur ein Traum gewesen war, zum ersten Male greifbare Gestalt
angenommen. Der Vizekönig von Italien, der König von Rom, das waren
Titel, die in den Herzen aller italienischen Patrioten widerhallten. Die
napoleonischen Gebilde waren ja noch nicht die Erfüllung, aber sie waren ein
verheißungsvoller Anfang. Und der Held Napoleon war ja selbst ein Italiener.
Mit seinem Sturze sank alles wieder dahin. Die alte Zerrissenheit und Klein¬
staaterei stieg aus der Versenkung hervor. In Parma, Modena, Florenz
erschienen von neuem die kleinen Fürsten, im Norden saßen die Österreicher,
in Bologna zog der päpstliche Legat wieder ein. Die ersten Versuche von
italienischer Seite, diesen Zustand der Dinge zu ändern, fielen in das Jahr 1820,
wo gleichzeitig in Neapel und Piemont revolutionäre, und gegen Österreich
gerichtete Bewegungen ausbrachen. Als sich darauf die zur heiligen Allianz
verbündeten Monarchen von Osterreich, Preußen und Nußland zuerst in Troppau,
dann in Laibach versammelten, um Schritte gegen die Revolution in Italien




Frankreich und Italien
von Gberregierungsrat Dr. <L. Jacobi

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MMor einiger Zeit erschien in der ^etion frau^aise, dem Organ der
^ royalistischen Jugend Frankreichs, ein Artikel, in dem ausgeführt
wurde, wie anders sich die Geschicke Frankreichs gestaltet hätten,
wenn nach 1843, anstatt Napoleon dem Dritten, ein König aus
einer der alten französischen Königsfamilien, ein Bourbon oder
Orleans auf dem Thron Frankreichs gesessen hätte. Dabei wurde Napoleon
dem Dritten vor allem zum Vorwurf gemacht, daß er die alte Politik der
französischen Könige seit der Renaissance, die in der Einheit Deutschlands und
Italiens die größte Gefahr für Frankreich gesehen habe, verlassen und direkt
dazu beigetragen habe, diese für Frankreich so verderbliche Entwicklung der
beiden Nachbarn zur Einheit herbeizuführen. Von Deutschland wollen wir hier
absehen, was aber Italien betrifft, so ist es allerdings merkwürdig, wie alle
Regierungen Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert den italienischen Einheits¬
bestrebungen mindestens gleichgültig, meist aber feindlich gegenüberstanden; ein Stand¬
punkt, den eben erst Napoleon der Dritte 1859 verließ. Durch Napoleon den Ersten
hatte die Idee der italienischen Einheit, die seit den Tagen Lorenzos von Medici
und Macchiavells nur ein Traum gewesen war, zum ersten Male greifbare Gestalt
angenommen. Der Vizekönig von Italien, der König von Rom, das waren
Titel, die in den Herzen aller italienischen Patrioten widerhallten. Die
napoleonischen Gebilde waren ja noch nicht die Erfüllung, aber sie waren ein
verheißungsvoller Anfang. Und der Held Napoleon war ja selbst ein Italiener.
Mit seinem Sturze sank alles wieder dahin. Die alte Zerrissenheit und Klein¬
staaterei stieg aus der Versenkung hervor. In Parma, Modena, Florenz
erschienen von neuem die kleinen Fürsten, im Norden saßen die Österreicher,
in Bologna zog der päpstliche Legat wieder ein. Die ersten Versuche von
italienischer Seite, diesen Zustand der Dinge zu ändern, fielen in das Jahr 1820,
wo gleichzeitig in Neapel und Piemont revolutionäre, und gegen Österreich
gerichtete Bewegungen ausbrachen. Als sich darauf die zur heiligen Allianz
verbündeten Monarchen von Osterreich, Preußen und Nußland zuerst in Troppau,
dann in Laibach versammelten, um Schritte gegen die Revolution in Italien


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[0208] [Abbildung] Frankreich und Italien von Gberregierungsrat Dr. <L. Jacobi ^W^M RMzl MMor einiger Zeit erschien in der ^etion frau^aise, dem Organ der ^ royalistischen Jugend Frankreichs, ein Artikel, in dem ausgeführt wurde, wie anders sich die Geschicke Frankreichs gestaltet hätten, wenn nach 1843, anstatt Napoleon dem Dritten, ein König aus einer der alten französischen Königsfamilien, ein Bourbon oder Orleans auf dem Thron Frankreichs gesessen hätte. Dabei wurde Napoleon dem Dritten vor allem zum Vorwurf gemacht, daß er die alte Politik der französischen Könige seit der Renaissance, die in der Einheit Deutschlands und Italiens die größte Gefahr für Frankreich gesehen habe, verlassen und direkt dazu beigetragen habe, diese für Frankreich so verderbliche Entwicklung der beiden Nachbarn zur Einheit herbeizuführen. Von Deutschland wollen wir hier absehen, was aber Italien betrifft, so ist es allerdings merkwürdig, wie alle Regierungen Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert den italienischen Einheits¬ bestrebungen mindestens gleichgültig, meist aber feindlich gegenüberstanden; ein Stand¬ punkt, den eben erst Napoleon der Dritte 1859 verließ. Durch Napoleon den Ersten hatte die Idee der italienischen Einheit, die seit den Tagen Lorenzos von Medici und Macchiavells nur ein Traum gewesen war, zum ersten Male greifbare Gestalt angenommen. Der Vizekönig von Italien, der König von Rom, das waren Titel, die in den Herzen aller italienischen Patrioten widerhallten. Die napoleonischen Gebilde waren ja noch nicht die Erfüllung, aber sie waren ein verheißungsvoller Anfang. Und der Held Napoleon war ja selbst ein Italiener. Mit seinem Sturze sank alles wieder dahin. Die alte Zerrissenheit und Klein¬ staaterei stieg aus der Versenkung hervor. In Parma, Modena, Florenz erschienen von neuem die kleinen Fürsten, im Norden saßen die Österreicher, in Bologna zog der päpstliche Legat wieder ein. Die ersten Versuche von italienischer Seite, diesen Zustand der Dinge zu ändern, fielen in das Jahr 1820, wo gleichzeitig in Neapel und Piemont revolutionäre, und gegen Österreich gerichtete Bewegungen ausbrachen. Als sich darauf die zur heiligen Allianz verbündeten Monarchen von Osterreich, Preußen und Nußland zuerst in Troppau, dann in Laibach versammelten, um Schritte gegen die Revolution in Italien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/208>, abgerufen am 13.11.2024.