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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und Italien

zu beschließen, trat die französische Regierung Ludwig des Achtzehnter durch
ihre Gesandten auf jenen Kongressen den Tendenzen der heiligen Allianz
durchaus bei und befürwortete energisch alle Schritte zur Niederschlagung der
revolutionären Bewegungen in Italien, die die eben hergestellte Ordnung der
Dinge bedrohten. Unter dem Beifall der französischen Regierung stellten die
Österreicher die Ordnung in Neapel und Piemont wieder her. Die französische
Kammeropposition bekämpfte zwar diese Politik, es stellte sich aber bald heraus,
daß sie, zur Macht gelangt, genau dieselbe befolgte. Durch die Julirevolution 1830
wurden die Bourbons gestürzt, und die bisherige Opposition ergriff unter Louis
Philipp von Orleans die Zügel der Negierung. Die Julirevolution fand in
Italien Widerhall. In Moden", Bologna, Parma brachen Aufstände aus. Ein
Teil des französischen Volkes jubelte diesen Bewegungen zu, als aber Österreich
fest erklärte, der Revolution entgegentreten zu wollen, beschloß die eben ans
Ruder gelangte liberale französische Regierung, wie sich General Sebastian: in
der Kammer ausdrückte, das österreichische Einschreiten gegen die italienische
Revolution zwar keineswegs gutzuheißen, sich demselben aber auch nicht zu
widersetzen. In noch viel energischerer Weise vertrat diesen rein französischen
Standpunkt Kasimir Perini, der bald darauf Ministerpräsident wurde. Er
erklärte laut, das französische Blut solle nur für Frankreich fließen. Die mittel¬
bare Unterstützung, die den italienischen Aufständen bisher von Frankreich aus
zuteil geworden war, ließ er sofort einstellen. Italienische Flüchtlinge in
Lyon und Marseille, die von dort in Italien einbrechen wollten, wurden unter
polizeiliche Aufsicht gestellt, um sie an der Ausführung ihres Vorhabens zu ver¬
hindern. Als dann die Österreicher in Parma und Modena einrückten, und
schließlich auch den Rest der italienischen Bewegungen in der Romagna erstickten,
ließ die französische Regierung sie ruhig gewähren. Im Jahre 1832 nahm sie
dann vorübergehend allerdings, wenigstens anscheinend einen anderen Stand¬
punkt ein. Als in den päpstlichen Staaten erneut Unruhen ausbrachen, und
die Österreicher Bologna wieder besetzten, griff Frankreich plötzlich ein. Am
23. Februar ging ein Landungsgeschwader vor Ancona vor Anker und besetzte
unter dem Jubel der Bevölkerung die Stadt. Die französische Regierung war
aber weit entfernt, durch diese Besetzung etwa den Anfang zu einer Beseitigung
des Kirchenstaats, eines der Haupthindernisse der italienischen Einheit, machen
zu wollen. Man wollte nur nicht Österreich allein in Italien schalten lassen,
und der öffentlichen Meinung einige Genugtuung verschaffen. Bis Oktober 1838
dauerte die Besetzung. Dann, als die Österreicher ihrerseits die Romagna ge¬
räumt hatten, zog sich auch Frankreich wieder zurück und gab Ancona dem
Papst wieder. Unter den Vorwürfen, denen das Julikönigtum je länger je
mehr ausgesetzt war, spielte von da ab die schwächliche italienische Politik und
die Preisgabe Anconas eine große Rolle. Man hätte demnach erwarten können,
daß nach der Februarrevolution von 1848 und der Proklamierung der Republik
diese nunmehr kräftig für die Einheit und Unabhängigkeit der "lateinischen


Frankreich und Italien

zu beschließen, trat die französische Regierung Ludwig des Achtzehnter durch
ihre Gesandten auf jenen Kongressen den Tendenzen der heiligen Allianz
durchaus bei und befürwortete energisch alle Schritte zur Niederschlagung der
revolutionären Bewegungen in Italien, die die eben hergestellte Ordnung der
Dinge bedrohten. Unter dem Beifall der französischen Regierung stellten die
Österreicher die Ordnung in Neapel und Piemont wieder her. Die französische
Kammeropposition bekämpfte zwar diese Politik, es stellte sich aber bald heraus,
daß sie, zur Macht gelangt, genau dieselbe befolgte. Durch die Julirevolution 1830
wurden die Bourbons gestürzt, und die bisherige Opposition ergriff unter Louis
Philipp von Orleans die Zügel der Negierung. Die Julirevolution fand in
Italien Widerhall. In Moden«, Bologna, Parma brachen Aufstände aus. Ein
Teil des französischen Volkes jubelte diesen Bewegungen zu, als aber Österreich
fest erklärte, der Revolution entgegentreten zu wollen, beschloß die eben ans
Ruder gelangte liberale französische Regierung, wie sich General Sebastian: in
der Kammer ausdrückte, das österreichische Einschreiten gegen die italienische
Revolution zwar keineswegs gutzuheißen, sich demselben aber auch nicht zu
widersetzen. In noch viel energischerer Weise vertrat diesen rein französischen
Standpunkt Kasimir Perini, der bald darauf Ministerpräsident wurde. Er
erklärte laut, das französische Blut solle nur für Frankreich fließen. Die mittel¬
bare Unterstützung, die den italienischen Aufständen bisher von Frankreich aus
zuteil geworden war, ließ er sofort einstellen. Italienische Flüchtlinge in
Lyon und Marseille, die von dort in Italien einbrechen wollten, wurden unter
polizeiliche Aufsicht gestellt, um sie an der Ausführung ihres Vorhabens zu ver¬
hindern. Als dann die Österreicher in Parma und Modena einrückten, und
schließlich auch den Rest der italienischen Bewegungen in der Romagna erstickten,
ließ die französische Regierung sie ruhig gewähren. Im Jahre 1832 nahm sie
dann vorübergehend allerdings, wenigstens anscheinend einen anderen Stand¬
punkt ein. Als in den päpstlichen Staaten erneut Unruhen ausbrachen, und
die Österreicher Bologna wieder besetzten, griff Frankreich plötzlich ein. Am
23. Februar ging ein Landungsgeschwader vor Ancona vor Anker und besetzte
unter dem Jubel der Bevölkerung die Stadt. Die französische Regierung war
aber weit entfernt, durch diese Besetzung etwa den Anfang zu einer Beseitigung
des Kirchenstaats, eines der Haupthindernisse der italienischen Einheit, machen
zu wollen. Man wollte nur nicht Österreich allein in Italien schalten lassen,
und der öffentlichen Meinung einige Genugtuung verschaffen. Bis Oktober 1838
dauerte die Besetzung. Dann, als die Österreicher ihrerseits die Romagna ge¬
räumt hatten, zog sich auch Frankreich wieder zurück und gab Ancona dem
Papst wieder. Unter den Vorwürfen, denen das Julikönigtum je länger je
mehr ausgesetzt war, spielte von da ab die schwächliche italienische Politik und
die Preisgabe Anconas eine große Rolle. Man hätte demnach erwarten können,
daß nach der Februarrevolution von 1848 und der Proklamierung der Republik
diese nunmehr kräftig für die Einheit und Unabhängigkeit der „lateinischen


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[0209] Frankreich und Italien zu beschließen, trat die französische Regierung Ludwig des Achtzehnter durch ihre Gesandten auf jenen Kongressen den Tendenzen der heiligen Allianz durchaus bei und befürwortete energisch alle Schritte zur Niederschlagung der revolutionären Bewegungen in Italien, die die eben hergestellte Ordnung der Dinge bedrohten. Unter dem Beifall der französischen Regierung stellten die Österreicher die Ordnung in Neapel und Piemont wieder her. Die französische Kammeropposition bekämpfte zwar diese Politik, es stellte sich aber bald heraus, daß sie, zur Macht gelangt, genau dieselbe befolgte. Durch die Julirevolution 1830 wurden die Bourbons gestürzt, und die bisherige Opposition ergriff unter Louis Philipp von Orleans die Zügel der Negierung. Die Julirevolution fand in Italien Widerhall. In Moden«, Bologna, Parma brachen Aufstände aus. Ein Teil des französischen Volkes jubelte diesen Bewegungen zu, als aber Österreich fest erklärte, der Revolution entgegentreten zu wollen, beschloß die eben ans Ruder gelangte liberale französische Regierung, wie sich General Sebastian: in der Kammer ausdrückte, das österreichische Einschreiten gegen die italienische Revolution zwar keineswegs gutzuheißen, sich demselben aber auch nicht zu widersetzen. In noch viel energischerer Weise vertrat diesen rein französischen Standpunkt Kasimir Perini, der bald darauf Ministerpräsident wurde. Er erklärte laut, das französische Blut solle nur für Frankreich fließen. Die mittel¬ bare Unterstützung, die den italienischen Aufständen bisher von Frankreich aus zuteil geworden war, ließ er sofort einstellen. Italienische Flüchtlinge in Lyon und Marseille, die von dort in Italien einbrechen wollten, wurden unter polizeiliche Aufsicht gestellt, um sie an der Ausführung ihres Vorhabens zu ver¬ hindern. Als dann die Österreicher in Parma und Modena einrückten, und schließlich auch den Rest der italienischen Bewegungen in der Romagna erstickten, ließ die französische Regierung sie ruhig gewähren. Im Jahre 1832 nahm sie dann vorübergehend allerdings, wenigstens anscheinend einen anderen Stand¬ punkt ein. Als in den päpstlichen Staaten erneut Unruhen ausbrachen, und die Österreicher Bologna wieder besetzten, griff Frankreich plötzlich ein. Am 23. Februar ging ein Landungsgeschwader vor Ancona vor Anker und besetzte unter dem Jubel der Bevölkerung die Stadt. Die französische Regierung war aber weit entfernt, durch diese Besetzung etwa den Anfang zu einer Beseitigung des Kirchenstaats, eines der Haupthindernisse der italienischen Einheit, machen zu wollen. Man wollte nur nicht Österreich allein in Italien schalten lassen, und der öffentlichen Meinung einige Genugtuung verschaffen. Bis Oktober 1838 dauerte die Besetzung. Dann, als die Österreicher ihrerseits die Romagna ge¬ räumt hatten, zog sich auch Frankreich wieder zurück und gab Ancona dem Papst wieder. Unter den Vorwürfen, denen das Julikönigtum je länger je mehr ausgesetzt war, spielte von da ab die schwächliche italienische Politik und die Preisgabe Anconas eine große Rolle. Man hätte demnach erwarten können, daß nach der Februarrevolution von 1848 und der Proklamierung der Republik diese nunmehr kräftig für die Einheit und Unabhängigkeit der „lateinischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/209>, abgerufen am 27.07.2024.