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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Politik

Evangelische Polen in Pose" und Schle¬
sien. In Ur, 14 des 71, Jahrgangs dieser
Zeitschrift hatte ich von den Polen in Ost-
Preußen berichtet. Inzwischen sind bruchstück¬
weise vom Königlichen Statistischen Landes¬
amt in Berlin die Ergebnisse der Volks¬
zählung vom 1, Dezember 1910 veröffentlicht.
Für Ostpreußen hat sich ein sehr erfreulicher
Rückgang der polnischen Sprache ergeben.
Zu polnischen Mundarten (also zum Polni¬
schen, Masurischen und Kassubischen) bekannten
sich insgesamt nur noch 263 527 Personen
oder 122,3 vom Tausend der sich auf
2 064176 belaufenden Einwohnerschaft.
Deutsch und Polnisch als Muttersprache
redeten 22 649 Personen oder 11,0 °/or>.


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seit der vorletzten Zählung von 1905 gemin¬
dert. Es ist bekannt, daß die Polen in Ost¬
preußen überwiegend evangelisch, nur zu
einen: Fünftel bis einem Viertel katholisch sind.

Man hat allgemein die Borstellung, daß
es nur in Ostpreußen altansässige evangelische
Polen gäbe. Dem ist aber nicht so; auch in
den Regierungsbezirken Posen, Breslau und
Oppeln lebt eine erhebliche Anzahl evange¬
lischer Polen.

Es gibt hier zwei räumlich getrennte
Verbreitungsgebiete. Das größere umfaßt
die vier südposener Kreise Ostrvwo, Adelnau,
Schildberg, Kempen, die mittelschlesischen
Kreise Namslau und Großwartenberg bis in
den Kreis Brieg hinein und die oberschle-
sischen Kreise Kreuzvurg und Rosenberg.
Das kleinere Gebiet ist der österreichischen
Bekenntnisinsel Vielitz --Biala
5 umfaßt die Kreise Pleß undevangelischen
benachbart, c
Ryvnik.

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Man zählte im Regierungsbezirke Posen:

Im Jahre evangelische Deutsche evangelische Polenevangelische Doppelsprachige
1880271 49713 639 1375
1900280 14411 897 863
1905298 42210 736 weniger als 710
1910318 3879 151 1037

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Wir sehen also in zwanzig Jahren einen
erheblichen Rückgang der evangelischen Polen
auf zwei Drittel ihres früheren Bestandes.
Woher kommt dies? Wir haben es und einer
starken Verdeutschung zu tun. Ich habe selbst
fast sieben Jahre lang in Südposen gelebt
und kenne die Verhältnisse aus eigener An¬
schauung dort genau. Die Verdeutschung er¬
folgt ganz allmählich und für die Beteiligten
unmerklich durch die deutsche Schule, durch

[Spaltenumbruch]

Sachsengängerei, Eintritt in häusliche Dienste
bei deutschen Familien und Arbeit bei deutschen
Unternehmern. Von den älteren Leuten ver¬
stehen manche kaum ein deutsches Wort; unter
der Jugend nehmen deutsche Sprachkenntnisse
erfreulich zu. Geistliche, Lehrer und andere
auf dem Lande einflußreiche Personen be¬
mühen sich, daß die evangelischen Polen
wirtschaftlich, zum Beispiel in den Genossen¬
schaften, und gesellschaftlich, in Vereinen

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Politik

Evangelische Polen in Pose» und Schle¬
sien. In Ur, 14 des 71, Jahrgangs dieser
Zeitschrift hatte ich von den Polen in Ost-
Preußen berichtet. Inzwischen sind bruchstück¬
weise vom Königlichen Statistischen Landes¬
amt in Berlin die Ergebnisse der Volks¬
zählung vom 1, Dezember 1910 veröffentlicht.
Für Ostpreußen hat sich ein sehr erfreulicher
Rückgang der polnischen Sprache ergeben.
Zu polnischen Mundarten (also zum Polni¬
schen, Masurischen und Kassubischen) bekannten
sich insgesamt nur noch 263 527 Personen
oder 122,3 vom Tausend der sich auf
2 064176 belaufenden Einwohnerschaft.
Deutsch und Polnisch als Muttersprache
redeten 22 649 Personen oder 11,0 °/or>.


[Spaltenumbruch]

seit der vorletzten Zählung von 1905 gemin¬
dert. Es ist bekannt, daß die Polen in Ost¬
preußen überwiegend evangelisch, nur zu
einen: Fünftel bis einem Viertel katholisch sind.

Man hat allgemein die Borstellung, daß
es nur in Ostpreußen altansässige evangelische
Polen gäbe. Dem ist aber nicht so; auch in
den Regierungsbezirken Posen, Breslau und
Oppeln lebt eine erhebliche Anzahl evange¬
lischer Polen.

Es gibt hier zwei räumlich getrennte
Verbreitungsgebiete. Das größere umfaßt
die vier südposener Kreise Ostrvwo, Adelnau,
Schildberg, Kempen, die mittelschlesischen
Kreise Namslau und Großwartenberg bis in
den Kreis Brieg hinein und die oberschle-
sischen Kreise Kreuzvurg und Rosenberg.
Das kleinere Gebiet ist der österreichischen
Bekenntnisinsel Vielitz —Biala
5 umfaßt die Kreise Pleß undevangelischen
benachbart, c
Ryvnik.

[Ende Spaltensatz]

Man zählte im Regierungsbezirke Posen:

Im Jahre evangelische Deutsche evangelische Polenevangelische Doppelsprachige
1880271 49713 639 1375
1900280 14411 897 863
1905298 42210 736 weniger als 710
1910318 3879 151 1037

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Wir sehen also in zwanzig Jahren einen
erheblichen Rückgang der evangelischen Polen
auf zwei Drittel ihres früheren Bestandes.
Woher kommt dies? Wir haben es und einer
starken Verdeutschung zu tun. Ich habe selbst
fast sieben Jahre lang in Südposen gelebt
und kenne die Verhältnisse aus eigener An¬
schauung dort genau. Die Verdeutschung er¬
folgt ganz allmählich und für die Beteiligten
unmerklich durch die deutsche Schule, durch

[Spaltenumbruch]

Sachsengängerei, Eintritt in häusliche Dienste
bei deutschen Familien und Arbeit bei deutschen
Unternehmern. Von den älteren Leuten ver¬
stehen manche kaum ein deutsches Wort; unter
der Jugend nehmen deutsche Sprachkenntnisse
erfreulich zu. Geistliche, Lehrer und andere
auf dem Lande einflußreiche Personen be¬
mühen sich, daß die evangelischen Polen
wirtschaftlich, zum Beispiel in den Genossen¬
schaften, und gesellschaftlich, in Vereinen

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[0201] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Politik Evangelische Polen in Pose» und Schle¬ sien. In Ur, 14 des 71, Jahrgangs dieser Zeitschrift hatte ich von den Polen in Ost- Preußen berichtet. Inzwischen sind bruchstück¬ weise vom Königlichen Statistischen Landes¬ amt in Berlin die Ergebnisse der Volks¬ zählung vom 1, Dezember 1910 veröffentlicht. Für Ostpreußen hat sich ein sehr erfreulicher Rückgang der polnischen Sprache ergeben. Zu polnischen Mundarten (also zum Polni¬ schen, Masurischen und Kassubischen) bekannten sich insgesamt nur noch 263 527 Personen oder 122,3 vom Tausend der sich auf 2 064176 belaufenden Einwohnerschaft. Deutsch und Polnisch als Muttersprache redeten 22 649 Personen oder 11,0 °/or>. seit der vorletzten Zählung von 1905 gemin¬ dert. Es ist bekannt, daß die Polen in Ost¬ preußen überwiegend evangelisch, nur zu einen: Fünftel bis einem Viertel katholisch sind. Man hat allgemein die Borstellung, daß es nur in Ostpreußen altansässige evangelische Polen gäbe. Dem ist aber nicht so; auch in den Regierungsbezirken Posen, Breslau und Oppeln lebt eine erhebliche Anzahl evange¬ lischer Polen. Es gibt hier zwei räumlich getrennte Verbreitungsgebiete. Das größere umfaßt die vier südposener Kreise Ostrvwo, Adelnau, Schildberg, Kempen, die mittelschlesischen Kreise Namslau und Großwartenberg bis in den Kreis Brieg hinein und die oberschle- sischen Kreise Kreuzvurg und Rosenberg. Das kleinere Gebiet ist der österreichischen Bekenntnisinsel Vielitz —Biala 5 umfaßt die Kreise Pleß undevangelischen benachbart, c Ryvnik. Man zählte im Regierungsbezirke Posen: Im Jahre evangelische Deutsche evangelische Polenevangelische Doppelsprachige 1880271 49713 639 1375 1900280 14411 897 863 1905298 42210 736 weniger als 710 1910318 3879 151 1037 Wir sehen also in zwanzig Jahren einen erheblichen Rückgang der evangelischen Polen auf zwei Drittel ihres früheren Bestandes. Woher kommt dies? Wir haben es und einer starken Verdeutschung zu tun. Ich habe selbst fast sieben Jahre lang in Südposen gelebt und kenne die Verhältnisse aus eigener An¬ schauung dort genau. Die Verdeutschung er¬ folgt ganz allmählich und für die Beteiligten unmerklich durch die deutsche Schule, durch Sachsengängerei, Eintritt in häusliche Dienste bei deutschen Familien und Arbeit bei deutschen Unternehmern. Von den älteren Leuten ver¬ stehen manche kaum ein deutsches Wort; unter der Jugend nehmen deutsche Sprachkenntnisse erfreulich zu. Geistliche, Lehrer und andere auf dem Lande einflußreiche Personen be¬ mühen sich, daß die evangelischen Polen wirtschaftlich, zum Beispiel in den Genossen¬ schaften, und gesellschaftlich, in Vereinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/201>, abgerufen am 13.11.2024.