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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Soziologie

Danach erachtet die Deutsche Gesellschaft
für Soziologie den geeigneten Zeitpunkt für
gekommen, auch die deutschen und schwei¬
zerischen Universitäten, technischen und an¬
deren Fachhochschulen nachdrücklich auf die
fortschreitende Erkenntnis der Bedeutung der
Soziologie und zwar sowohl der allgemeinen
Gesellschaftslehre als auch der induktiven Er¬
forschung der Tatsachen des sozialen Lebens
aufmerksam zu machen.

Die Soziologie hat sich der Idee nach
als Wissenschaft durchgesetzt. In Amerika,
Frankreich, Holland und Finnland sind Lehr¬
stühle dafür an den Universitäten begründet,
anderswo wenigstens Lehraufträge erteilt
worden. Mehrere Gesellschaften und Zeit¬
schriften großen Stils sind ausschließlich für
soziologische Untersuchungen entstanden. Und
eine im Jahre 1911 von der Internationalen
Vereinigung für Rechts- und Wirtschafts-
Philosophie veranstaltete Enquete ergab in
den Antworten von vierundzwanzig Gelehrten
verschiedener Länder und Fächer die ent¬
schiedene Befürwortung eines deutschen (oder

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auch internationalen) Institutes für soziologische
Forschung.

In der Tat liegen die Gründe für Er¬
richtung besonderer Professuren wie für
sonstige Förderung soziologischer Studien vom
Standpunkt der verschiedenen Wissenschaften
zutage. Im allgemeinsten Interesse erscheint
es wünschenswert, besonders die Philosophie
auf die sozialen und sittlichen Probleme hin¬
zulenken, um sie für das Leben fruchtbarer
zu machen. Auch muß nachdrücklich aus die
wachsende Bedeutung der Sozialpädagogik hin¬
gewiesen werden. Stark und deutlich haben
die Nationalökonomie und die Statistik die Not¬
wendigkeit ihrer Orientierung an einer tieferen
Erkenntnis des sozialen Lebens ausgesprochen.
Ist doch die unterfertigte Gesellschaft im Jahre
1909 unter unmittelbarer Mitwirkung hervor¬
ragender Nationalökonomen und Statistiker
gegründet worden. iDie Statistiker haben
inzwischen noch eine gesonderte Gesellschaft als
"Abteilung" der Deutschen Gesellschaft für So¬
ziologie gebildet). Diese Beteiligung muß als
bedeutsames Anzeichen bewertet werden zu¬
gunsten der Auffassung, daß die National¬
ökonomie in der Soziologie ihr eigentliches
wissenschaftliches Fundament zu legen nicht
umhin kann, wie zu wiederholten Malen
Gustav von Schmoller ausgesprochen hat,
noch im Jahre 1911 mit den Worten: "Die
heutige allgemeine Nationalökonomie, wie ich
sie verstehe, ist philosophisch-soziologischen
Charakters." Und die Statistik, heute nur
als generelle Methode oder als Anhängsel
der Nationalökonomie geachtet, wird, als so¬
ziologische Wissenschaft verstanden, ihre Kraft
und Bedeutung besser zu behaupten, reicher
zu entfalten vermögen. Ihr notwendiger Zu¬
sammenhang mit der Soziologie hat, außer
durch jene Gründung, auch in der Fach¬
literatur deutliche Anerkennung gefunden.
(G. von Mayr: "Statistik und Gesellschafts¬
lehre"). Praktische Statistik fällt für Mayr
mit Gesellschaftslehre als Erforschung der
sozialen Massen zusammen; er unter¬
scheidet davon die Soziologie im engeren
Sinne als direkt auf Beobachtung der so¬
zialen Gebilde und deren Lebensbetätigung
abzielend. In dem Maße wie die Bedeu¬
tung der Nationalökonomie und Statistik
auch im Lehrplane der verschiedenen Fach-

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Soeben hat die Deutsche Gesellschaft für
Soziologie an dreiundsechzig Fakultäten
deutscher und schweizerischer Universitäten und
Fachhochschulen folgende von Goldscheid,
Sombart und Tönnies gezeichnete Eingabe
gerichtet, die die Förderung der Soziologie
an den Hochschulen zum Ziele hat:

Der 31. Deutsche Juristentag, der im
Jahre 1912 in Wien stattfand, empfahl die
Aufnahme der Soziologie in den Lehrplan
des juristischen Studiums. Ebenso schlug der
österreichische Ausschuß für Verwnltungs-
reform eine dreistündige obligatorische Vor¬
lesung über Soziologie für jeden Juristen vor.

Diese von zunehmender Beachtung der
Soziologie zeugenden Äußerungen veran¬
laßten die Wiener Soziologische Gesellschaft
zu Eingaben um die österreichischen Univer¬
sitätsfakultäten, die die Einführung der
Soziologie als Lehifach anregten. Als Er¬
folge sind zu begrüßen, daß die philosophische
Fakultät in Wien und die staatswissenschaft-
liche in Graz einstimmig beschlossen haben,
entsprechende Gesuche an das Ministerium zu
richten.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Soziologie

Danach erachtet die Deutsche Gesellschaft
für Soziologie den geeigneten Zeitpunkt für
gekommen, auch die deutschen und schwei¬
zerischen Universitäten, technischen und an¬
deren Fachhochschulen nachdrücklich auf die
fortschreitende Erkenntnis der Bedeutung der
Soziologie und zwar sowohl der allgemeinen
Gesellschaftslehre als auch der induktiven Er¬
forschung der Tatsachen des sozialen Lebens
aufmerksam zu machen.

Die Soziologie hat sich der Idee nach
als Wissenschaft durchgesetzt. In Amerika,
Frankreich, Holland und Finnland sind Lehr¬
stühle dafür an den Universitäten begründet,
anderswo wenigstens Lehraufträge erteilt
worden. Mehrere Gesellschaften und Zeit¬
schriften großen Stils sind ausschließlich für
soziologische Untersuchungen entstanden. Und
eine im Jahre 1911 von der Internationalen
Vereinigung für Rechts- und Wirtschafts-
Philosophie veranstaltete Enquete ergab in
den Antworten von vierundzwanzig Gelehrten
verschiedener Länder und Fächer die ent¬
schiedene Befürwortung eines deutschen (oder

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auch internationalen) Institutes für soziologische
Forschung.

In der Tat liegen die Gründe für Er¬
richtung besonderer Professuren wie für
sonstige Förderung soziologischer Studien vom
Standpunkt der verschiedenen Wissenschaften
zutage. Im allgemeinsten Interesse erscheint
es wünschenswert, besonders die Philosophie
auf die sozialen und sittlichen Probleme hin¬
zulenken, um sie für das Leben fruchtbarer
zu machen. Auch muß nachdrücklich aus die
wachsende Bedeutung der Sozialpädagogik hin¬
gewiesen werden. Stark und deutlich haben
die Nationalökonomie und die Statistik die Not¬
wendigkeit ihrer Orientierung an einer tieferen
Erkenntnis des sozialen Lebens ausgesprochen.
Ist doch die unterfertigte Gesellschaft im Jahre
1909 unter unmittelbarer Mitwirkung hervor¬
ragender Nationalökonomen und Statistiker
gegründet worden. iDie Statistiker haben
inzwischen noch eine gesonderte Gesellschaft als
„Abteilung" der Deutschen Gesellschaft für So¬
ziologie gebildet). Diese Beteiligung muß als
bedeutsames Anzeichen bewertet werden zu¬
gunsten der Auffassung, daß die National¬
ökonomie in der Soziologie ihr eigentliches
wissenschaftliches Fundament zu legen nicht
umhin kann, wie zu wiederholten Malen
Gustav von Schmoller ausgesprochen hat,
noch im Jahre 1911 mit den Worten: „Die
heutige allgemeine Nationalökonomie, wie ich
sie verstehe, ist philosophisch-soziologischen
Charakters." Und die Statistik, heute nur
als generelle Methode oder als Anhängsel
der Nationalökonomie geachtet, wird, als so¬
ziologische Wissenschaft verstanden, ihre Kraft
und Bedeutung besser zu behaupten, reicher
zu entfalten vermögen. Ihr notwendiger Zu¬
sammenhang mit der Soziologie hat, außer
durch jene Gründung, auch in der Fach¬
literatur deutliche Anerkennung gefunden.
(G. von Mayr: „Statistik und Gesellschafts¬
lehre"). Praktische Statistik fällt für Mayr
mit Gesellschaftslehre als Erforschung der
sozialen Massen zusammen; er unter¬
scheidet davon die Soziologie im engeren
Sinne als direkt auf Beobachtung der so¬
zialen Gebilde und deren Lebensbetätigung
abzielend. In dem Maße wie die Bedeu¬
tung der Nationalökonomie und Statistik
auch im Lehrplane der verschiedenen Fach-

[Ende Spaltensatz]

Soeben hat die Deutsche Gesellschaft für
Soziologie an dreiundsechzig Fakultäten
deutscher und schweizerischer Universitäten und
Fachhochschulen folgende von Goldscheid,
Sombart und Tönnies gezeichnete Eingabe
gerichtet, die die Förderung der Soziologie
an den Hochschulen zum Ziele hat:

Der 31. Deutsche Juristentag, der im
Jahre 1912 in Wien stattfand, empfahl die
Aufnahme der Soziologie in den Lehrplan
des juristischen Studiums. Ebenso schlug der
österreichische Ausschuß für Verwnltungs-
reform eine dreistündige obligatorische Vor¬
lesung über Soziologie für jeden Juristen vor.

Diese von zunehmender Beachtung der
Soziologie zeugenden Äußerungen veran¬
laßten die Wiener Soziologische Gesellschaft
zu Eingaben um die österreichischen Univer¬
sitätsfakultäten, die die Einführung der
Soziologie als Lehifach anregten. Als Er¬
folge sind zu begrüßen, daß die philosophische
Fakultät in Wien und die staatswissenschaft-
liche in Graz einstimmig beschlossen haben,
entsprechende Gesuche an das Ministerium zu
richten.


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[0155] Maßgebliches und Unmaßgebliches Soziologie Danach erachtet die Deutsche Gesellschaft für Soziologie den geeigneten Zeitpunkt für gekommen, auch die deutschen und schwei¬ zerischen Universitäten, technischen und an¬ deren Fachhochschulen nachdrücklich auf die fortschreitende Erkenntnis der Bedeutung der Soziologie und zwar sowohl der allgemeinen Gesellschaftslehre als auch der induktiven Er¬ forschung der Tatsachen des sozialen Lebens aufmerksam zu machen. Die Soziologie hat sich der Idee nach als Wissenschaft durchgesetzt. In Amerika, Frankreich, Holland und Finnland sind Lehr¬ stühle dafür an den Universitäten begründet, anderswo wenigstens Lehraufträge erteilt worden. Mehrere Gesellschaften und Zeit¬ schriften großen Stils sind ausschließlich für soziologische Untersuchungen entstanden. Und eine im Jahre 1911 von der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Wirtschafts- Philosophie veranstaltete Enquete ergab in den Antworten von vierundzwanzig Gelehrten verschiedener Länder und Fächer die ent¬ schiedene Befürwortung eines deutschen (oder auch internationalen) Institutes für soziologische Forschung. In der Tat liegen die Gründe für Er¬ richtung besonderer Professuren wie für sonstige Förderung soziologischer Studien vom Standpunkt der verschiedenen Wissenschaften zutage. Im allgemeinsten Interesse erscheint es wünschenswert, besonders die Philosophie auf die sozialen und sittlichen Probleme hin¬ zulenken, um sie für das Leben fruchtbarer zu machen. Auch muß nachdrücklich aus die wachsende Bedeutung der Sozialpädagogik hin¬ gewiesen werden. Stark und deutlich haben die Nationalökonomie und die Statistik die Not¬ wendigkeit ihrer Orientierung an einer tieferen Erkenntnis des sozialen Lebens ausgesprochen. Ist doch die unterfertigte Gesellschaft im Jahre 1909 unter unmittelbarer Mitwirkung hervor¬ ragender Nationalökonomen und Statistiker gegründet worden. iDie Statistiker haben inzwischen noch eine gesonderte Gesellschaft als „Abteilung" der Deutschen Gesellschaft für So¬ ziologie gebildet). Diese Beteiligung muß als bedeutsames Anzeichen bewertet werden zu¬ gunsten der Auffassung, daß die National¬ ökonomie in der Soziologie ihr eigentliches wissenschaftliches Fundament zu legen nicht umhin kann, wie zu wiederholten Malen Gustav von Schmoller ausgesprochen hat, noch im Jahre 1911 mit den Worten: „Die heutige allgemeine Nationalökonomie, wie ich sie verstehe, ist philosophisch-soziologischen Charakters." Und die Statistik, heute nur als generelle Methode oder als Anhängsel der Nationalökonomie geachtet, wird, als so¬ ziologische Wissenschaft verstanden, ihre Kraft und Bedeutung besser zu behaupten, reicher zu entfalten vermögen. Ihr notwendiger Zu¬ sammenhang mit der Soziologie hat, außer durch jene Gründung, auch in der Fach¬ literatur deutliche Anerkennung gefunden. (G. von Mayr: „Statistik und Gesellschafts¬ lehre"). Praktische Statistik fällt für Mayr mit Gesellschaftslehre als Erforschung der sozialen Massen zusammen; er unter¬ scheidet davon die Soziologie im engeren Sinne als direkt auf Beobachtung der so¬ zialen Gebilde und deren Lebensbetätigung abzielend. In dem Maße wie die Bedeu¬ tung der Nationalökonomie und Statistik auch im Lehrplane der verschiedenen Fach- Soeben hat die Deutsche Gesellschaft für Soziologie an dreiundsechzig Fakultäten deutscher und schweizerischer Universitäten und Fachhochschulen folgende von Goldscheid, Sombart und Tönnies gezeichnete Eingabe gerichtet, die die Förderung der Soziologie an den Hochschulen zum Ziele hat: Der 31. Deutsche Juristentag, der im Jahre 1912 in Wien stattfand, empfahl die Aufnahme der Soziologie in den Lehrplan des juristischen Studiums. Ebenso schlug der österreichische Ausschuß für Verwnltungs- reform eine dreistündige obligatorische Vor¬ lesung über Soziologie für jeden Juristen vor. Diese von zunehmender Beachtung der Soziologie zeugenden Äußerungen veran¬ laßten die Wiener Soziologische Gesellschaft zu Eingaben um die österreichischen Univer¬ sitätsfakultäten, die die Einführung der Soziologie als Lehifach anregten. Als Er¬ folge sind zu begrüßen, daß die philosophische Fakultät in Wien und die staatswissenschaft- liche in Graz einstimmig beschlossen haben, entsprechende Gesuche an das Ministerium zu richten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/155>, abgerufen am 27.07.2024.