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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Die Probleme der Soziologie können aber
den Studierenden der Rechte, wie die Er¬
fahrungen der letzten Jahre zeigen, außer
durch Abhaltung besonderer Vorlesungen über
Soziologie auch in der Weise nähergebracht
werden, daß der Rechtsunterricht selbst, ins¬
besondere auf dem Gebiete des Privat- und
Strafrechts, statt wie bisher überwiegend
historisch und logisch - formalistisch mehr
rechtssoziologisch gestaltet wird. Das Recht
wird dann als soziale Tatsache, als Aus-
drucksform und Funktion einer bestimmten
privatwirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen,
sozialethischen Entwicklungsstufe des mensch¬
lichen Lebens dargestellt und untersucht. Bei
dieser Betrachtungsweise ergibt sich von selbst,
daß die Zwecke und die Wirkungen der
Rechtsnormen und Rechtsinstitute in den
Vordergrund treten, und dadurch wird das
Verständnis für die praktischen Lebensauf¬
gaben des Rechts wesentlich gefördert, die
Anschaulichkeit und Lebenswahrheit des Nechts-
unterrichts erhöht.

Man darf mit einem hohen Grade von
Wahrscheinlichkeit voraussagen, daß die So¬
ziologie den ihr gebührenden Platz im höheren
Unterrichtswesen erobern und behaupten wird.
Fraglich ist nur, wo und wann die gegen¬
wärtigen Lehrkörper und die Unterstützung
der Regierungen ihr diesen Platz einräumen
werden.

Diese Entwicklung nach ihren Kräften
zu fördern, wird die Gesellschaft, ihrem
Zwecke gemäß, sich dauernd angelegen
sein lassen; sie glaubt daher dem Vertrauen
Ausdruck geben zu dürfen, daß diese An¬
regung verständnisvolle Aufnahme finden und
praktische Folgen zeitigen wird: handelt es
sich doch um eine hohe Aufgabe geistig - sitt¬
licher Kultur, und auf deren Pflege sich zu
besinnen haben die deutschen Hochschulen heute,
Wenn je, in ihren Überlieferungen wie in
den Forderungen des Tages die stärksten
Beweggründe.

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Hochschulen und für die Bildung des an¬
gehenden Ingenieurs und Industriellen, des
Kaufmanns, Landwirtes, Chemikers zunimmt,
entsteht auch auf diesen Gebieten das Be¬
dürfnis, mit der Soziologie Fühlung zu ge¬
winnen. Vollends die Geschichte, besonders
die Kulturgeschichte, wird mehr und mehr
mit den Hilfsmitteln soziologischer Begriffe
und statistischer Forschungen betrachtet und
untersucht werden. Dies gilt ganz besonders
für die Religions- und Kirchengeschichte, wie
es schon in dem groszen Werke von Troeltsch
(die Soziallehren der deutschen Kirchen und
Gruppen) sich ankündigt, und auch sonst ist
gerade die theologische Fakultät vielfach be¬
flissen, sich soziologisch zu orientieren, sofern
es ihr um Wirkungen auf das soziale Leben,
und, zu diesem Behuf, um dessen bessere Er¬
kenntnis zu tun ist. Das gleiche gilt, ob-
schon in anderer Absicht, von der Medizin:
die "soziale" Medizin entwickelt sich als ihr
jüngster Zweig, und insbesondere die Patho¬
logie aller Lebensprozesse, die mit dem
Nervensystem und so mit dem geistig-sitt¬
lichen Leben der Menschen zusammenhängen,
findet sich nicht nur auf statistische Methodik,
sondern auf soziologische Erkenntnis als ein
unerläßliches Hilfsmittel hingewiesen; ebenso
kann die Hygiene, die als gesellschaftliche und
staatliche Aufgabe unbedingt anerkannt ist,
sich nur vermöge solcher Forderungen wirk¬
sam entfalten. Insbesondere wird der sich
rasch ausbreitende Gedanke der Rassenhygiene
und Eugenik soziologische Kritik und Kon¬
trolle immer mehr herausfordern. Die Juris¬
prudenz endlich hat durch die Rechtsphilo¬
sophie und allgemeine Staatslehre eine alte
Beziehung zu den Theorien des sozialen
Lebens, und es ist aus vielen Anzeichen
deutlich erkennbar, daß sie gerade neuerdings
zu diesen Problemen sich zurückwendet, nach¬
dem diese lange Zeit durch eine rein
historische Art der Betrachtung verschüttet ge¬
wesen sind. Hier ergeben sich auch mit der Philo¬
sophischen Ethik notwendige Zusammenhänge.




Nachdruck sämtlicher Aufsiitje nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlauf gestattet.
Verantwortlich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-Schöneberg, -- Manujtriptsenonngen und Briefe
werden erbeten nnter der Adresse:
An den Hcrausgclier der Gran^böte" In Berlin-Friedenau, Hrdwi"her. 1".
Fernsprecher der Schnltleitmig: Amt Astrild SSM, deS Verlags: Amt UllHow W1i>.
Verlag: Verlag der Grenzten G. in b. H, in Berlin SV 11.
Druck: "Der NeiclMote" G. in. b. H, in Berlin SV 11, D-ssauer Strasze 36/37.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Die Probleme der Soziologie können aber
den Studierenden der Rechte, wie die Er¬
fahrungen der letzten Jahre zeigen, außer
durch Abhaltung besonderer Vorlesungen über
Soziologie auch in der Weise nähergebracht
werden, daß der Rechtsunterricht selbst, ins¬
besondere auf dem Gebiete des Privat- und
Strafrechts, statt wie bisher überwiegend
historisch und logisch - formalistisch mehr
rechtssoziologisch gestaltet wird. Das Recht
wird dann als soziale Tatsache, als Aus-
drucksform und Funktion einer bestimmten
privatwirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen,
sozialethischen Entwicklungsstufe des mensch¬
lichen Lebens dargestellt und untersucht. Bei
dieser Betrachtungsweise ergibt sich von selbst,
daß die Zwecke und die Wirkungen der
Rechtsnormen und Rechtsinstitute in den
Vordergrund treten, und dadurch wird das
Verständnis für die praktischen Lebensauf¬
gaben des Rechts wesentlich gefördert, die
Anschaulichkeit und Lebenswahrheit des Nechts-
unterrichts erhöht.

Man darf mit einem hohen Grade von
Wahrscheinlichkeit voraussagen, daß die So¬
ziologie den ihr gebührenden Platz im höheren
Unterrichtswesen erobern und behaupten wird.
Fraglich ist nur, wo und wann die gegen¬
wärtigen Lehrkörper und die Unterstützung
der Regierungen ihr diesen Platz einräumen
werden.

Diese Entwicklung nach ihren Kräften
zu fördern, wird die Gesellschaft, ihrem
Zwecke gemäß, sich dauernd angelegen
sein lassen; sie glaubt daher dem Vertrauen
Ausdruck geben zu dürfen, daß diese An¬
regung verständnisvolle Aufnahme finden und
praktische Folgen zeitigen wird: handelt es
sich doch um eine hohe Aufgabe geistig - sitt¬
licher Kultur, und auf deren Pflege sich zu
besinnen haben die deutschen Hochschulen heute,
Wenn je, in ihren Überlieferungen wie in
den Forderungen des Tages die stärksten
Beweggründe.

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Hochschulen und für die Bildung des an¬
gehenden Ingenieurs und Industriellen, des
Kaufmanns, Landwirtes, Chemikers zunimmt,
entsteht auch auf diesen Gebieten das Be¬
dürfnis, mit der Soziologie Fühlung zu ge¬
winnen. Vollends die Geschichte, besonders
die Kulturgeschichte, wird mehr und mehr
mit den Hilfsmitteln soziologischer Begriffe
und statistischer Forschungen betrachtet und
untersucht werden. Dies gilt ganz besonders
für die Religions- und Kirchengeschichte, wie
es schon in dem groszen Werke von Troeltsch
(die Soziallehren der deutschen Kirchen und
Gruppen) sich ankündigt, und auch sonst ist
gerade die theologische Fakultät vielfach be¬
flissen, sich soziologisch zu orientieren, sofern
es ihr um Wirkungen auf das soziale Leben,
und, zu diesem Behuf, um dessen bessere Er¬
kenntnis zu tun ist. Das gleiche gilt, ob-
schon in anderer Absicht, von der Medizin:
die „soziale" Medizin entwickelt sich als ihr
jüngster Zweig, und insbesondere die Patho¬
logie aller Lebensprozesse, die mit dem
Nervensystem und so mit dem geistig-sitt¬
lichen Leben der Menschen zusammenhängen,
findet sich nicht nur auf statistische Methodik,
sondern auf soziologische Erkenntnis als ein
unerläßliches Hilfsmittel hingewiesen; ebenso
kann die Hygiene, die als gesellschaftliche und
staatliche Aufgabe unbedingt anerkannt ist,
sich nur vermöge solcher Forderungen wirk¬
sam entfalten. Insbesondere wird der sich
rasch ausbreitende Gedanke der Rassenhygiene
und Eugenik soziologische Kritik und Kon¬
trolle immer mehr herausfordern. Die Juris¬
prudenz endlich hat durch die Rechtsphilo¬
sophie und allgemeine Staatslehre eine alte
Beziehung zu den Theorien des sozialen
Lebens, und es ist aus vielen Anzeichen
deutlich erkennbar, daß sie gerade neuerdings
zu diesen Problemen sich zurückwendet, nach¬
dem diese lange Zeit durch eine rein
historische Art der Betrachtung verschüttet ge¬
wesen sind. Hier ergeben sich auch mit der Philo¬
sophischen Ethik notwendige Zusammenhänge.




Nachdruck sämtlicher Aufsiitje nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlauf gestattet.
Verantwortlich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-Schöneberg, — Manujtriptsenonngen und Briefe
werden erbeten nnter der Adresse:
An den Hcrausgclier der Gran^böte» In Berlin-Friedenau, Hrdwi„her. 1».
Fernsprecher der Schnltleitmig: Amt Astrild SSM, deS Verlags: Amt UllHow W1i>.
Verlag: Verlag der Grenzten G. in b. H, in Berlin SV 11.
Druck: „Der NeiclMote" G. in. b. H, in Berlin SV 11, D-ssauer Strasze 36/37.
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[0156] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Probleme der Soziologie können aber den Studierenden der Rechte, wie die Er¬ fahrungen der letzten Jahre zeigen, außer durch Abhaltung besonderer Vorlesungen über Soziologie auch in der Weise nähergebracht werden, daß der Rechtsunterricht selbst, ins¬ besondere auf dem Gebiete des Privat- und Strafrechts, statt wie bisher überwiegend historisch und logisch - formalistisch mehr rechtssoziologisch gestaltet wird. Das Recht wird dann als soziale Tatsache, als Aus- drucksform und Funktion einer bestimmten privatwirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen, sozialethischen Entwicklungsstufe des mensch¬ lichen Lebens dargestellt und untersucht. Bei dieser Betrachtungsweise ergibt sich von selbst, daß die Zwecke und die Wirkungen der Rechtsnormen und Rechtsinstitute in den Vordergrund treten, und dadurch wird das Verständnis für die praktischen Lebensauf¬ gaben des Rechts wesentlich gefördert, die Anschaulichkeit und Lebenswahrheit des Nechts- unterrichts erhöht. Man darf mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit voraussagen, daß die So¬ ziologie den ihr gebührenden Platz im höheren Unterrichtswesen erobern und behaupten wird. Fraglich ist nur, wo und wann die gegen¬ wärtigen Lehrkörper und die Unterstützung der Regierungen ihr diesen Platz einräumen werden. Diese Entwicklung nach ihren Kräften zu fördern, wird die Gesellschaft, ihrem Zwecke gemäß, sich dauernd angelegen sein lassen; sie glaubt daher dem Vertrauen Ausdruck geben zu dürfen, daß diese An¬ regung verständnisvolle Aufnahme finden und praktische Folgen zeitigen wird: handelt es sich doch um eine hohe Aufgabe geistig - sitt¬ licher Kultur, und auf deren Pflege sich zu besinnen haben die deutschen Hochschulen heute, Wenn je, in ihren Überlieferungen wie in den Forderungen des Tages die stärksten Beweggründe. Hochschulen und für die Bildung des an¬ gehenden Ingenieurs und Industriellen, des Kaufmanns, Landwirtes, Chemikers zunimmt, entsteht auch auf diesen Gebieten das Be¬ dürfnis, mit der Soziologie Fühlung zu ge¬ winnen. Vollends die Geschichte, besonders die Kulturgeschichte, wird mehr und mehr mit den Hilfsmitteln soziologischer Begriffe und statistischer Forschungen betrachtet und untersucht werden. Dies gilt ganz besonders für die Religions- und Kirchengeschichte, wie es schon in dem groszen Werke von Troeltsch (die Soziallehren der deutschen Kirchen und Gruppen) sich ankündigt, und auch sonst ist gerade die theologische Fakultät vielfach be¬ flissen, sich soziologisch zu orientieren, sofern es ihr um Wirkungen auf das soziale Leben, und, zu diesem Behuf, um dessen bessere Er¬ kenntnis zu tun ist. Das gleiche gilt, ob- schon in anderer Absicht, von der Medizin: die „soziale" Medizin entwickelt sich als ihr jüngster Zweig, und insbesondere die Patho¬ logie aller Lebensprozesse, die mit dem Nervensystem und so mit dem geistig-sitt¬ lichen Leben der Menschen zusammenhängen, findet sich nicht nur auf statistische Methodik, sondern auf soziologische Erkenntnis als ein unerläßliches Hilfsmittel hingewiesen; ebenso kann die Hygiene, die als gesellschaftliche und staatliche Aufgabe unbedingt anerkannt ist, sich nur vermöge solcher Forderungen wirk¬ sam entfalten. Insbesondere wird der sich rasch ausbreitende Gedanke der Rassenhygiene und Eugenik soziologische Kritik und Kon¬ trolle immer mehr herausfordern. Die Juris¬ prudenz endlich hat durch die Rechtsphilo¬ sophie und allgemeine Staatslehre eine alte Beziehung zu den Theorien des sozialen Lebens, und es ist aus vielen Anzeichen deutlich erkennbar, daß sie gerade neuerdings zu diesen Problemen sich zurückwendet, nach¬ dem diese lange Zeit durch eine rein historische Art der Betrachtung verschüttet ge¬ wesen sind. Hier ergeben sich auch mit der Philo¬ sophischen Ethik notwendige Zusammenhänge. Nachdruck sämtlicher Aufsiitje nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlauf gestattet. Verantwortlich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-Schöneberg, — Manujtriptsenonngen und Briefe werden erbeten nnter der Adresse: An den Hcrausgclier der Gran^böte» In Berlin-Friedenau, Hrdwi„her. 1». Fernsprecher der Schnltleitmig: Amt Astrild SSM, deS Verlags: Amt UllHow W1i>. Verlag: Verlag der Grenzten G. in b. H, in Berlin SV 11. Druck: „Der NeiclMote" G. in. b. H, in Berlin SV 11, D-ssauer Strasze 36/37.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/156>, abgerufen am 27.07.2024.