Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Geschichte Theodor von Sosnosly, "Dir Balkan- Erster Band. Mit zwei Karten und einem Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, Großmachtstellung. Aber in der Folge haben Sosnosky entwirft zunächst eine Skizze der Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Geschichte Theodor von Sosnosly, „Dir Balkan- Erster Band. Mit zwei Karten und einem Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, Großmachtstellung. Aber in der Folge haben Sosnosky entwirft zunächst eine Skizze der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328686"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_328099/figures/grenzboten_341899_328099_328686_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <cb type="start"/> <div n="2"> <head> Geschichte</head> <p xml:id="ID_2336"> Theodor von Sosnosly, „Dir Balkan-<lb/> Politik Österreich-Ungarns seit 1866."</p> <p xml:id="ID_2337"> Erster Band. Mit zwei Karten und einem<lb/> Anhange. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart<lb/> und Berlin 1913. Geheftet 6,S0 Mark, in<lb/> Leinen gebunden 3 Mark.</p> <p xml:id="ID_2338"> Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt,<lb/> eine übersichtliche, zusammenhängende Dar¬<lb/> stellung der Balkanpolitik Österreich-Ungarns<lb/> seit 1866 zu geben. Es ist gerechtfertigt, mit<lb/> diesem Jahr eine neue Phase der österreichi¬<lb/> schen Orientpolitik anzusetzen; ihr eigentlicher<lb/> Träger sollte allerdings nicht der damals<lb/> leitende Staatsmann Beust, sondern erst sein<lb/> Nachfolger, Graf Julius Andrcissy, werden.<lb/> Die Niederlage im Kampfe um die Vorherr¬<lb/> schaft in Deutschland, die Verluste in Italien<lb/> haben Österreich - Ungarn die Möglichkeit, ja<lb/> die Notwendigkeit eröffnet, sich in Zukunft<lb/> den orientalischen Angelegenheiten und vor¬<lb/> nehmlich dem Balkan mit verdoppelten Kräften<lb/> zuzuwenden, überschaut man den Ablauf<lb/> der Dinge in den letzten Jahrhunderten, so<lb/> zeigt die habsburgische Politik mehr als ein¬<lb/> mal ihren Januskopf. Das eine Gesicht sieht<lb/> nach Osten, wo das Erbe des kranken Mannes<lb/> lockt, das andere sieht nach Westen. Hier<lb/> gilt es, die Hegemonie in Deutschland und<lb/> in Italien zu behaupten. Diese Doppelheit<lb/> der Aufgaben und der Interessen hat sich<lb/> nicht nur einmal als verhängnisvoll erwiesen,<lb/> und die eigentlich heroische Zeit der Monarchie<lb/> war es, als sie unter Leopold dem Ersten<lb/> den Kampf gegen zwei Fronten wagte. Da¬<lb/> mals warf sie sich den Ansprüchen Ludwigs<lb/> des Vierzehnten auf die europäische Vorherr¬<lb/> schaft entgegen und zugleich wehrte sie den<lb/> letzten Anstoß der Osmanen ab. Der Habs¬<lb/> burgische Kaiserstaat beschritt die zukunftsvolle<lb/> Bahn nach Osten, schuf die Grundlage seiner</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_2339"> Großmachtstellung. Aber in der Folge haben<lb/> die verschiedenen Ziele, die man an der un¬<lb/> teren Donau und anderseits am Rhein und<lb/> Po verfolgte, mitunter Lähmungen hervor¬<lb/> gerufen. Denn es war schwierig, beiden<lb/> Sphären gerecht zu werden. Metternichs<lb/> Versäumnisse in der Orientpolitik, sein Mangel<lb/> an zugreifender Energie, sein Zurückweichen<lb/> vor Rußland sind gewiß nicht bloß der Aus¬<lb/> druck ideologischer Befangenheit und seines<lb/> Legitimitätsdogmas, das ihn: nicht erlaubte,<lb/> aufständische Balkanvölker zu unterstützen;<lb/> diese vielgetadelten Fehler seines Systems<lb/> gehen zu einem guten Teil auf eben jene<lb/> eigenartige Doppelstellung des Habsburgischen<lb/> Staates zurück, der Bismarck und Cavour<lb/> ein Ende bereitet haben. Das aus Deutsch¬<lb/> land und Italien verdrängte Reich Franz<lb/> Josefs mußte im Osten und Südosten Ersatz<lb/> für das Verlorene suchen. Das Orientproblem<lb/> gewann jetzt das überwiegende Gewicht.<lb/> Beust hat zwar noch ein Paar Jahre lang<lb/> dem Entschwundenen nachgejagt, sich in einer<lb/> unfruchtbaren Revanchepolitik verbraucht und<lb/> den verheißungsvoller Weg nach Osten nicht<lb/> eingeschlagen. Die Gründung des Deutschen<lb/> Reiches hat aber die eingetretene europäische<lb/> Verschiebung besiegelt. Nach dem Sturze<lb/> Beusts hat Andrassy die Konsequenzen aus<lb/> der Lage der Donaumonarchie gezogen, er<lb/> hat die Basis für die moderne Orientpolitik<lb/> Österreich-Ungarns geschaffen.</p> <p xml:id="ID_2340" next="#ID_2341"> Sosnosky entwirft zunächst eine Skizze der<lb/> Entwicklung vom Anfang des sechzehnten<lb/> Jahrhunderts ab. Er konnte sich dabei auf<lb/> wertvolle Vorarbeiten, so die von Adolf<lb/> Beer, Carl von Sax und Friedjung, stützen.<lb/> Während der Autor hier die im wesentlichen<lb/> bekannten Tatsachen aufreibt, schildert er in<lb/> dem folgenden Kapitel über den Aufstand der<lb/> Bocchesen (1869) eine Episode, deren Einzel¬<lb/> heiten bis heute weniger bekannt sind. E-</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0586]
[Abbildung]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Geschichte Theodor von Sosnosly, „Dir Balkan-
Politik Österreich-Ungarns seit 1866."
Erster Band. Mit zwei Karten und einem
Anhange. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart
und Berlin 1913. Geheftet 6,S0 Mark, in
Leinen gebunden 3 Mark.
Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt,
eine übersichtliche, zusammenhängende Dar¬
stellung der Balkanpolitik Österreich-Ungarns
seit 1866 zu geben. Es ist gerechtfertigt, mit
diesem Jahr eine neue Phase der österreichi¬
schen Orientpolitik anzusetzen; ihr eigentlicher
Träger sollte allerdings nicht der damals
leitende Staatsmann Beust, sondern erst sein
Nachfolger, Graf Julius Andrcissy, werden.
Die Niederlage im Kampfe um die Vorherr¬
schaft in Deutschland, die Verluste in Italien
haben Österreich - Ungarn die Möglichkeit, ja
die Notwendigkeit eröffnet, sich in Zukunft
den orientalischen Angelegenheiten und vor¬
nehmlich dem Balkan mit verdoppelten Kräften
zuzuwenden, überschaut man den Ablauf
der Dinge in den letzten Jahrhunderten, so
zeigt die habsburgische Politik mehr als ein¬
mal ihren Januskopf. Das eine Gesicht sieht
nach Osten, wo das Erbe des kranken Mannes
lockt, das andere sieht nach Westen. Hier
gilt es, die Hegemonie in Deutschland und
in Italien zu behaupten. Diese Doppelheit
der Aufgaben und der Interessen hat sich
nicht nur einmal als verhängnisvoll erwiesen,
und die eigentlich heroische Zeit der Monarchie
war es, als sie unter Leopold dem Ersten
den Kampf gegen zwei Fronten wagte. Da¬
mals warf sie sich den Ansprüchen Ludwigs
des Vierzehnten auf die europäische Vorherr¬
schaft entgegen und zugleich wehrte sie den
letzten Anstoß der Osmanen ab. Der Habs¬
burgische Kaiserstaat beschritt die zukunftsvolle
Bahn nach Osten, schuf die Grundlage seiner
Großmachtstellung. Aber in der Folge haben
die verschiedenen Ziele, die man an der un¬
teren Donau und anderseits am Rhein und
Po verfolgte, mitunter Lähmungen hervor¬
gerufen. Denn es war schwierig, beiden
Sphären gerecht zu werden. Metternichs
Versäumnisse in der Orientpolitik, sein Mangel
an zugreifender Energie, sein Zurückweichen
vor Rußland sind gewiß nicht bloß der Aus¬
druck ideologischer Befangenheit und seines
Legitimitätsdogmas, das ihn: nicht erlaubte,
aufständische Balkanvölker zu unterstützen;
diese vielgetadelten Fehler seines Systems
gehen zu einem guten Teil auf eben jene
eigenartige Doppelstellung des Habsburgischen
Staates zurück, der Bismarck und Cavour
ein Ende bereitet haben. Das aus Deutsch¬
land und Italien verdrängte Reich Franz
Josefs mußte im Osten und Südosten Ersatz
für das Verlorene suchen. Das Orientproblem
gewann jetzt das überwiegende Gewicht.
Beust hat zwar noch ein Paar Jahre lang
dem Entschwundenen nachgejagt, sich in einer
unfruchtbaren Revanchepolitik verbraucht und
den verheißungsvoller Weg nach Osten nicht
eingeschlagen. Die Gründung des Deutschen
Reiches hat aber die eingetretene europäische
Verschiebung besiegelt. Nach dem Sturze
Beusts hat Andrassy die Konsequenzen aus
der Lage der Donaumonarchie gezogen, er
hat die Basis für die moderne Orientpolitik
Österreich-Ungarns geschaffen.
Sosnosky entwirft zunächst eine Skizze der
Entwicklung vom Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts ab. Er konnte sich dabei auf
wertvolle Vorarbeiten, so die von Adolf
Beer, Carl von Sax und Friedjung, stützen.
Während der Autor hier die im wesentlichen
bekannten Tatsachen aufreibt, schildert er in
dem folgenden Kapitel über den Aufstand der
Bocchesen (1869) eine Episode, deren Einzel¬
heiten bis heute weniger bekannt sind. E-
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