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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Mozart, (Österreich und wir

durch Frauenliebe und Mädchenkraft und durch Kindesmacht. Und um aller
Liebe willen, die über ihm wachte, mußte es geschehen, daß er als Held vor
den Stärkeren her die Geschichte einer Tierschaunacht nach seinem Namen
nennen ließ.

Er nahm sein Kind auf den Arm, und wie er es betrachtete, schwor er,
daß ihn nichts mehr von Weib und Kind trennen sollte. Er hatte heute nacht
an Rikas Knaben gut gemacht, was er ihm schuldete: er hatte Rika gelassen,
weil der Knabe den Vater haben sollte. Aber kein Kind sollte fortan einen
Vater haben wie Marthas Kind und seines, Wilhelm Driewers, des Kinder-
fteundes.

Draußen kam die Sonne über die Egge und lachte warm in das glück¬
liche kleine Tal zwischen den Bergen. Da schraubte Wilhelm Driewer das
Licht in der Kammer aus, das genugsam durch die Nacht geleuchtet und
gewacht hatte.




Mozart, Osterreich und wir
Fritz Reck-Malleczewen von

aß Mozart für Salzburg ein Mittel zur Hebung des Fremdenverkehrs
geworden ist, wie die angebliche Gemütlichkeit für Wien, das alles
hat mich nicht verstimmt. Ich schlage auch vor Weimarer Schau¬
fenstern grundsätzlich die Augen nieder und bin also mit leidlicher
Gelassenheit durch die Reihen der Vierkrüge, Vasen und Spazier-
stöcke gegangen, die man mit Mozarts Haupt schmückt. Vor Mozarts Geburts¬
haus, dachte ich mir, hört der Galanteriewarenhandel ja wohl auf.

Daß unten in den Gewölben des alten gotischen Hauses Herr Scio ein
Kaffeegeschäft betreibt, daß in den übrigen Geschossen kleines Volk wohnt, lasse
ich mir auch noch gefallen. Ich liebe nicht "Museen", in denen statt der Lebenden die
Philologen eingezogen sind. Daß Herr Scio seinen Kaffeeladen "Zum Mozart"
nennt, war mir schon peinlicher; immerhin: ich freute mich, daß über die uralten
Steintreppen, die, ach, schon von Jahrhunderten zu erzählen wußten, als hier ein
kleiner zierlicher Kerl im bunten Rokokogewand herumlief und leider so wenig
zum Spielen herunter durfte, weil man doch schon mit neun Jahren sechs Violin¬
sonaten komponieren mußte und Konzertsorgen hatte -- daß also über diese uralten
Steinfliesen noch immer Kinderfüße trappeln und jedes Jahr noch armes Volk
seine Kinder zur Taufe oder zu Grabe trägt, wie einst Leopold Mozart seine sechs
Erstgeborenen -- das alles hat mich gefreut.


Mozart, (Österreich und wir

durch Frauenliebe und Mädchenkraft und durch Kindesmacht. Und um aller
Liebe willen, die über ihm wachte, mußte es geschehen, daß er als Held vor
den Stärkeren her die Geschichte einer Tierschaunacht nach seinem Namen
nennen ließ.

Er nahm sein Kind auf den Arm, und wie er es betrachtete, schwor er,
daß ihn nichts mehr von Weib und Kind trennen sollte. Er hatte heute nacht
an Rikas Knaben gut gemacht, was er ihm schuldete: er hatte Rika gelassen,
weil der Knabe den Vater haben sollte. Aber kein Kind sollte fortan einen
Vater haben wie Marthas Kind und seines, Wilhelm Driewers, des Kinder-
fteundes.

Draußen kam die Sonne über die Egge und lachte warm in das glück¬
liche kleine Tal zwischen den Bergen. Da schraubte Wilhelm Driewer das
Licht in der Kammer aus, das genugsam durch die Nacht geleuchtet und
gewacht hatte.




Mozart, Osterreich und wir
Fritz Reck-Malleczewen von

aß Mozart für Salzburg ein Mittel zur Hebung des Fremdenverkehrs
geworden ist, wie die angebliche Gemütlichkeit für Wien, das alles
hat mich nicht verstimmt. Ich schlage auch vor Weimarer Schau¬
fenstern grundsätzlich die Augen nieder und bin also mit leidlicher
Gelassenheit durch die Reihen der Vierkrüge, Vasen und Spazier-
stöcke gegangen, die man mit Mozarts Haupt schmückt. Vor Mozarts Geburts¬
haus, dachte ich mir, hört der Galanteriewarenhandel ja wohl auf.

Daß unten in den Gewölben des alten gotischen Hauses Herr Scio ein
Kaffeegeschäft betreibt, daß in den übrigen Geschossen kleines Volk wohnt, lasse
ich mir auch noch gefallen. Ich liebe nicht „Museen", in denen statt der Lebenden die
Philologen eingezogen sind. Daß Herr Scio seinen Kaffeeladen „Zum Mozart"
nennt, war mir schon peinlicher; immerhin: ich freute mich, daß über die uralten
Steintreppen, die, ach, schon von Jahrhunderten zu erzählen wußten, als hier ein
kleiner zierlicher Kerl im bunten Rokokogewand herumlief und leider so wenig
zum Spielen herunter durfte, weil man doch schon mit neun Jahren sechs Violin¬
sonaten komponieren mußte und Konzertsorgen hatte — daß also über diese uralten
Steinfliesen noch immer Kinderfüße trappeln und jedes Jahr noch armes Volk
seine Kinder zur Taufe oder zu Grabe trägt, wie einst Leopold Mozart seine sechs
Erstgeborenen — das alles hat mich gefreut.


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[0526] Mozart, (Österreich und wir durch Frauenliebe und Mädchenkraft und durch Kindesmacht. Und um aller Liebe willen, die über ihm wachte, mußte es geschehen, daß er als Held vor den Stärkeren her die Geschichte einer Tierschaunacht nach seinem Namen nennen ließ. Er nahm sein Kind auf den Arm, und wie er es betrachtete, schwor er, daß ihn nichts mehr von Weib und Kind trennen sollte. Er hatte heute nacht an Rikas Knaben gut gemacht, was er ihm schuldete: er hatte Rika gelassen, weil der Knabe den Vater haben sollte. Aber kein Kind sollte fortan einen Vater haben wie Marthas Kind und seines, Wilhelm Driewers, des Kinder- fteundes. Draußen kam die Sonne über die Egge und lachte warm in das glück¬ liche kleine Tal zwischen den Bergen. Da schraubte Wilhelm Driewer das Licht in der Kammer aus, das genugsam durch die Nacht geleuchtet und gewacht hatte. Mozart, Osterreich und wir Fritz Reck-Malleczewen von aß Mozart für Salzburg ein Mittel zur Hebung des Fremdenverkehrs geworden ist, wie die angebliche Gemütlichkeit für Wien, das alles hat mich nicht verstimmt. Ich schlage auch vor Weimarer Schau¬ fenstern grundsätzlich die Augen nieder und bin also mit leidlicher Gelassenheit durch die Reihen der Vierkrüge, Vasen und Spazier- stöcke gegangen, die man mit Mozarts Haupt schmückt. Vor Mozarts Geburts¬ haus, dachte ich mir, hört der Galanteriewarenhandel ja wohl auf. Daß unten in den Gewölben des alten gotischen Hauses Herr Scio ein Kaffeegeschäft betreibt, daß in den übrigen Geschossen kleines Volk wohnt, lasse ich mir auch noch gefallen. Ich liebe nicht „Museen", in denen statt der Lebenden die Philologen eingezogen sind. Daß Herr Scio seinen Kaffeeladen „Zum Mozart" nennt, war mir schon peinlicher; immerhin: ich freute mich, daß über die uralten Steintreppen, die, ach, schon von Jahrhunderten zu erzählen wußten, als hier ein kleiner zierlicher Kerl im bunten Rokokogewand herumlief und leider so wenig zum Spielen herunter durfte, weil man doch schon mit neun Jahren sechs Violin¬ sonaten komponieren mußte und Konzertsorgen hatte — daß also über diese uralten Steinfliesen noch immer Kinderfüße trappeln und jedes Jahr noch armes Volk seine Kinder zur Taufe oder zu Grabe trägt, wie einst Leopold Mozart seine sechs Erstgeborenen — das alles hat mich gefreut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/526>, abgerufen am 13.11.2024.