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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Presse Indiens
Dr. n. Hansen von

as fast fünf Millionen Quadratkilometer große Kaiserreich Indien
mit seinen dreihundertundsiwfzehn Millionen Einwohnern weist
nach der neuesten Statistik nur sechshundertfünfundachtzig Tages¬
zeitungen und cintausendneunhundertundzwei periodische Blätter
auf. Im Hinblick auf seine Gebietsausdchmmg und relativ hohe
Bevölkerungsdichtigkeit (achtundfunfzig Menschen auf das Quadratkilometer, in
Deutschland sind es reichlich einhundertundzwanzig auf das Quadratkilometer) ist die
Zahl der periodischen Blätter in Indien allerdings sehr spärlich. Jedoch hat man zu
bedenken, daß nur ein kleiner Teil der einheimischen Bevölkerung der englischen
Sprache mächtig ist, und daß im übrigen kaum 50 Prozent der Bewohner in
der Lage sind, ihre heimische Schriftsprache zu lesen.

Ein Rückblick auf die Entwicklung des indischen Zcitungswesens, der im
ersten Teil dieser Darlegungen geboten werden soll, ist zugleich ein interessantes
und lehrreiches Kapitel in der politischen Geschichte der letzten einhundertfünf¬
undzwanzig Jahre Indiens. Er lehrt aber auch zugleich, wie die Engländer
die Presse als wichtigen politischen Faktor für die Aufrechterhaltung ihrer
Herrschaft in Indien, die bekanntlich von Jahr zu Jahr schwieriger wird, ein¬
schätzen und er zeigt anderseits, daß es eine grundsätzliche Frage ersten Ranges
ist, ob man in Indien die Preßfreiheit im europäischen Sinne fördern kann.

In den Blütezeiten der East-Jndia Company wurde jede neue Gründung
einer Zeitung von den obersten Verwaltungsbehörden mit großem Mißtrauen
betrachtet. Eigenartigerweise waren es fast ausschließlich englische Verleger und
Redakteure, die ursprünglich für eine freie indische Presse gekämpft haben. Sie
waren in der Auffassung der diktatorischen Statthalter Indiens eine schlimme
Bande, und man muß objektiv auch zugeben, daß dieses Urteil in manchen
Fällen nicht ganz ungerechtfertigt war, denn es kamen zum Teil Zeitungen
von einer ganz erstaunlichen Niedrigkeit der Gesinnung und Haltung heraus.
Zur Abwehr gegen diese Auswüchse der Presse wurde eine strenge Zensur ein¬
geführt, und die Deportation nach Europa bildete lange eine oft verhängte
Strafe für mißliebig gewordene Journalisten. Dennoch konnte sich die Presse
wieder verhältnismäßig frei während der beiden letzten Jahrzehnte vor dem
großen indischen Aufstand äußern. Als 1858 die Besitzungen der East-Jndia
Company auf die englische Krone übergingen, setzte eine Zeit fast unbeschränkter




Die Presse Indiens
Dr. n. Hansen von

as fast fünf Millionen Quadratkilometer große Kaiserreich Indien
mit seinen dreihundertundsiwfzehn Millionen Einwohnern weist
nach der neuesten Statistik nur sechshundertfünfundachtzig Tages¬
zeitungen und cintausendneunhundertundzwei periodische Blätter
auf. Im Hinblick auf seine Gebietsausdchmmg und relativ hohe
Bevölkerungsdichtigkeit (achtundfunfzig Menschen auf das Quadratkilometer, in
Deutschland sind es reichlich einhundertundzwanzig auf das Quadratkilometer) ist die
Zahl der periodischen Blätter in Indien allerdings sehr spärlich. Jedoch hat man zu
bedenken, daß nur ein kleiner Teil der einheimischen Bevölkerung der englischen
Sprache mächtig ist, und daß im übrigen kaum 50 Prozent der Bewohner in
der Lage sind, ihre heimische Schriftsprache zu lesen.

Ein Rückblick auf die Entwicklung des indischen Zcitungswesens, der im
ersten Teil dieser Darlegungen geboten werden soll, ist zugleich ein interessantes
und lehrreiches Kapitel in der politischen Geschichte der letzten einhundertfünf¬
undzwanzig Jahre Indiens. Er lehrt aber auch zugleich, wie die Engländer
die Presse als wichtigen politischen Faktor für die Aufrechterhaltung ihrer
Herrschaft in Indien, die bekanntlich von Jahr zu Jahr schwieriger wird, ein¬
schätzen und er zeigt anderseits, daß es eine grundsätzliche Frage ersten Ranges
ist, ob man in Indien die Preßfreiheit im europäischen Sinne fördern kann.

In den Blütezeiten der East-Jndia Company wurde jede neue Gründung
einer Zeitung von den obersten Verwaltungsbehörden mit großem Mißtrauen
betrachtet. Eigenartigerweise waren es fast ausschließlich englische Verleger und
Redakteure, die ursprünglich für eine freie indische Presse gekämpft haben. Sie
waren in der Auffassung der diktatorischen Statthalter Indiens eine schlimme
Bande, und man muß objektiv auch zugeben, daß dieses Urteil in manchen
Fällen nicht ganz ungerechtfertigt war, denn es kamen zum Teil Zeitungen
von einer ganz erstaunlichen Niedrigkeit der Gesinnung und Haltung heraus.
Zur Abwehr gegen diese Auswüchse der Presse wurde eine strenge Zensur ein¬
geführt, und die Deportation nach Europa bildete lange eine oft verhängte
Strafe für mißliebig gewordene Journalisten. Dennoch konnte sich die Presse
wieder verhältnismäßig frei während der beiden letzten Jahrzehnte vor dem
großen indischen Aufstand äußern. Als 1858 die Besitzungen der East-Jndia
Company auf die englische Krone übergingen, setzte eine Zeit fast unbeschränkter


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[0466] [Abbildung] Die Presse Indiens Dr. n. Hansen von as fast fünf Millionen Quadratkilometer große Kaiserreich Indien mit seinen dreihundertundsiwfzehn Millionen Einwohnern weist nach der neuesten Statistik nur sechshundertfünfundachtzig Tages¬ zeitungen und cintausendneunhundertundzwei periodische Blätter auf. Im Hinblick auf seine Gebietsausdchmmg und relativ hohe Bevölkerungsdichtigkeit (achtundfunfzig Menschen auf das Quadratkilometer, in Deutschland sind es reichlich einhundertundzwanzig auf das Quadratkilometer) ist die Zahl der periodischen Blätter in Indien allerdings sehr spärlich. Jedoch hat man zu bedenken, daß nur ein kleiner Teil der einheimischen Bevölkerung der englischen Sprache mächtig ist, und daß im übrigen kaum 50 Prozent der Bewohner in der Lage sind, ihre heimische Schriftsprache zu lesen. Ein Rückblick auf die Entwicklung des indischen Zcitungswesens, der im ersten Teil dieser Darlegungen geboten werden soll, ist zugleich ein interessantes und lehrreiches Kapitel in der politischen Geschichte der letzten einhundertfünf¬ undzwanzig Jahre Indiens. Er lehrt aber auch zugleich, wie die Engländer die Presse als wichtigen politischen Faktor für die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft in Indien, die bekanntlich von Jahr zu Jahr schwieriger wird, ein¬ schätzen und er zeigt anderseits, daß es eine grundsätzliche Frage ersten Ranges ist, ob man in Indien die Preßfreiheit im europäischen Sinne fördern kann. In den Blütezeiten der East-Jndia Company wurde jede neue Gründung einer Zeitung von den obersten Verwaltungsbehörden mit großem Mißtrauen betrachtet. Eigenartigerweise waren es fast ausschließlich englische Verleger und Redakteure, die ursprünglich für eine freie indische Presse gekämpft haben. Sie waren in der Auffassung der diktatorischen Statthalter Indiens eine schlimme Bande, und man muß objektiv auch zugeben, daß dieses Urteil in manchen Fällen nicht ganz ungerechtfertigt war, denn es kamen zum Teil Zeitungen von einer ganz erstaunlichen Niedrigkeit der Gesinnung und Haltung heraus. Zur Abwehr gegen diese Auswüchse der Presse wurde eine strenge Zensur ein¬ geführt, und die Deportation nach Europa bildete lange eine oft verhängte Strafe für mißliebig gewordene Journalisten. Dennoch konnte sich die Presse wieder verhältnismäßig frei während der beiden letzten Jahrzehnte vor dem großen indischen Aufstand äußern. Als 1858 die Besitzungen der East-Jndia Company auf die englische Krone übergingen, setzte eine Zeit fast unbeschränkter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/466>, abgerufen am 04.07.2024.