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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das Wahlproblem
pronoptes von

le erste Entscheidung im Kampfe um das preußische Wahlgesetz
ist gefallen: die Regierungsvorlage ist, wie vorauszusehen war,
vom Abgeordnetenhause durch die am 12. April wiederholte
Lesung mit den zwischen Konservativen und Klerikalen verein¬
barten Abänderungen gegen die Stimmen der gesamten Liberalen
nunmehr definitiv zur Annahme gebracht. Damit ist das Schicksal der Vorlage
vorläufig wohl besiegelt; denn zu befürchten ist, daß auch die Lesungen im
Herrenhause, die bald folgen werden, an dem bestehenden Resultate nichts mehr
ändern werden. Wir sagen ausdrücklich: zu befürchten; denn wir betrachten
die vorgezeichnete Entwicklung nicht als eine glückliche Lösung der Gesamtfrage.
Wir halten es vielmehr für sicher, daß dieses vorläufige Ergebnis nicht das
endgültige bleiben wird; trotz Abgeordneten- und Herrenhaus wird der Kampf
um die preußische Wahlreform weitergehen, wird die Gegensätze der Parteien
weiter verschärfen und sich geradezu zu einer Reichsangelegenheit entwickeln;
denn zu eng sind die Schicksale Preußens mit dem Gesamtreiche verknüpft, als
daß nicht das Interesse der Reichswähler sich dieser innerpreußischen Angelegen¬
heit zuwenden und nicht zuerst in den bevorstehenden Reichstagswahlen die
vorhandene Spannung sich entladen sollte."

Die obigen Sätze sind im April des Jahres 1911 geschrieben, und wenn
auch die ausgesprochene Befürchtung, daß die Reformvorlage Gesetz werden
würde, sich zum Glück nicht bewahrheitet hat. so hat doch der Ausfall der letzten
Reichstagswahl, die uns 110 Sozialdemokraten gebracht hat, die Richtigkeit
unserer Gesamtauffassung vollauf bewiesen. Es besteht in der Tat eine enge
Wechselwirkung zwischen dem preußischen Wahlrecht und der Unzufriedenheit im
Reich, die sich im Jahre 1912 ganz allgemein durch die Wahl jener zahlreichen


Grenzboten II 1914 2S


Das Wahlproblem
pronoptes von

le erste Entscheidung im Kampfe um das preußische Wahlgesetz
ist gefallen: die Regierungsvorlage ist, wie vorauszusehen war,
vom Abgeordnetenhause durch die am 12. April wiederholte
Lesung mit den zwischen Konservativen und Klerikalen verein¬
barten Abänderungen gegen die Stimmen der gesamten Liberalen
nunmehr definitiv zur Annahme gebracht. Damit ist das Schicksal der Vorlage
vorläufig wohl besiegelt; denn zu befürchten ist, daß auch die Lesungen im
Herrenhause, die bald folgen werden, an dem bestehenden Resultate nichts mehr
ändern werden. Wir sagen ausdrücklich: zu befürchten; denn wir betrachten
die vorgezeichnete Entwicklung nicht als eine glückliche Lösung der Gesamtfrage.
Wir halten es vielmehr für sicher, daß dieses vorläufige Ergebnis nicht das
endgültige bleiben wird; trotz Abgeordneten- und Herrenhaus wird der Kampf
um die preußische Wahlreform weitergehen, wird die Gegensätze der Parteien
weiter verschärfen und sich geradezu zu einer Reichsangelegenheit entwickeln;
denn zu eng sind die Schicksale Preußens mit dem Gesamtreiche verknüpft, als
daß nicht das Interesse der Reichswähler sich dieser innerpreußischen Angelegen¬
heit zuwenden und nicht zuerst in den bevorstehenden Reichstagswahlen die
vorhandene Spannung sich entladen sollte."

Die obigen Sätze sind im April des Jahres 1911 geschrieben, und wenn
auch die ausgesprochene Befürchtung, daß die Reformvorlage Gesetz werden
würde, sich zum Glück nicht bewahrheitet hat. so hat doch der Ausfall der letzten
Reichstagswahl, die uns 110 Sozialdemokraten gebracht hat, die Richtigkeit
unserer Gesamtauffassung vollauf bewiesen. Es besteht in der Tat eine enge
Wechselwirkung zwischen dem preußischen Wahlrecht und der Unzufriedenheit im
Reich, die sich im Jahre 1912 ganz allgemein durch die Wahl jener zahlreichen


Grenzboten II 1914 2S
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[0397] [Abbildung] Das Wahlproblem pronoptes von le erste Entscheidung im Kampfe um das preußische Wahlgesetz ist gefallen: die Regierungsvorlage ist, wie vorauszusehen war, vom Abgeordnetenhause durch die am 12. April wiederholte Lesung mit den zwischen Konservativen und Klerikalen verein¬ barten Abänderungen gegen die Stimmen der gesamten Liberalen nunmehr definitiv zur Annahme gebracht. Damit ist das Schicksal der Vorlage vorläufig wohl besiegelt; denn zu befürchten ist, daß auch die Lesungen im Herrenhause, die bald folgen werden, an dem bestehenden Resultate nichts mehr ändern werden. Wir sagen ausdrücklich: zu befürchten; denn wir betrachten die vorgezeichnete Entwicklung nicht als eine glückliche Lösung der Gesamtfrage. Wir halten es vielmehr für sicher, daß dieses vorläufige Ergebnis nicht das endgültige bleiben wird; trotz Abgeordneten- und Herrenhaus wird der Kampf um die preußische Wahlreform weitergehen, wird die Gegensätze der Parteien weiter verschärfen und sich geradezu zu einer Reichsangelegenheit entwickeln; denn zu eng sind die Schicksale Preußens mit dem Gesamtreiche verknüpft, als daß nicht das Interesse der Reichswähler sich dieser innerpreußischen Angelegen¬ heit zuwenden und nicht zuerst in den bevorstehenden Reichstagswahlen die vorhandene Spannung sich entladen sollte." Die obigen Sätze sind im April des Jahres 1911 geschrieben, und wenn auch die ausgesprochene Befürchtung, daß die Reformvorlage Gesetz werden würde, sich zum Glück nicht bewahrheitet hat. so hat doch der Ausfall der letzten Reichstagswahl, die uns 110 Sozialdemokraten gebracht hat, die Richtigkeit unserer Gesamtauffassung vollauf bewiesen. Es besteht in der Tat eine enge Wechselwirkung zwischen dem preußischen Wahlrecht und der Unzufriedenheit im Reich, die sich im Jahre 1912 ganz allgemein durch die Wahl jener zahlreichen Grenzboten II 1914 2S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/397>, abgerufen am 13.11.2024.