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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Es mag in diesen schönen Worten die Lösung ausgesprochen sein, warum
das Volk der Gegenwart im Grunde genommen dem geltenden Recht fremd
gegenübersteht. Unser modernes Gesetz ist ihm vielfach ein Buch mit sieben
Siegeln. In seiner Kompliziertheit, verursacht durch die äußerst verwickelt
gewordenen Verkehrsverhältnisse, ist es ihm schwer begreifbar. Das Volk
ist nicht mehr verwachsen mit seinem Recht, als einem heiligen, von den Urvätern
überkommenen Stammgut. Die vorgeschrittene Kultur hat hier, wie auf so
vielen anderen Gebieten, einen ehernen Riegel vorgeschoben. Nüchtern schaut
die kahle Welt darein. Kein in tausend Formen üppig wuchernder Wald, nur
wohlgesetzte, wohldurchdachte lange Paragraphenreihen! Wer aber noch Freude
hat am Volkstümlichen, wird voll auf seine Rechnung kommen, wenn er im
alten Recht des Volkes schürft, und ein Verweilen bei seiner Rechtssnmbolik
uicht scheut.




Die Hexe von Mayen
Roman
Lharlotte Niese von
(Dreizehnte Fortsetzung)

Einige Tage später hielt ein großer Reisewagen vor dem Hof der Fran
von Bremer, und diese stand davor und hielt Heilwigs Hand fest in der ihren.

"Es ist mir hart, daß Ihr reisen müßt. Jungfrau!" sagte sie herzlich.
"Ich bin zufrieden gewesen, Euch in meinem Hause zu haben, und ich werde
oft an Euch denken und für Euch beten. Aber es ist besser, daß auch Ihr
wieder in Eure eigene Heimat kommt, für vieles besser," setzte sie hinzu, als
hätte sie eine Antwort gehört. "Es ist manches hart hier im Land, besser,
daß Ihr es nicht kennen lernt. Mein Junker ist zornig, daß Ihr reist, er
meint, Ihr hättet bei uns bleiben und seine Hausfrau werden sollen. Aber er
muß eine katholische haben, und wird es später einsehen, daß dies besser ist.
Die jungen Leute denken nicht an alles Leid, das kommen kann, da müssen die
Alten manchmal ein vernünftig Wörtlein reden!"

Dies war die einzige Anspielung, die Frau von Bremer machte und die
Heilwig zeigte, daß auch sie unterrichtet war von der großen Liebe, die in
zwei Herzen erblüht war und die in der Blüte sterben mußte.

Heilwig antwortete kein Wort darauf. Ihre Augen schwammen in Tränen,
und sie küßte die Hand der gütigen Frau, aber dann versuchte sie zu lächeln


Die Hexe von Mayen

Es mag in diesen schönen Worten die Lösung ausgesprochen sein, warum
das Volk der Gegenwart im Grunde genommen dem geltenden Recht fremd
gegenübersteht. Unser modernes Gesetz ist ihm vielfach ein Buch mit sieben
Siegeln. In seiner Kompliziertheit, verursacht durch die äußerst verwickelt
gewordenen Verkehrsverhältnisse, ist es ihm schwer begreifbar. Das Volk
ist nicht mehr verwachsen mit seinem Recht, als einem heiligen, von den Urvätern
überkommenen Stammgut. Die vorgeschrittene Kultur hat hier, wie auf so
vielen anderen Gebieten, einen ehernen Riegel vorgeschoben. Nüchtern schaut
die kahle Welt darein. Kein in tausend Formen üppig wuchernder Wald, nur
wohlgesetzte, wohldurchdachte lange Paragraphenreihen! Wer aber noch Freude
hat am Volkstümlichen, wird voll auf seine Rechnung kommen, wenn er im
alten Recht des Volkes schürft, und ein Verweilen bei seiner Rechtssnmbolik
uicht scheut.




Die Hexe von Mayen
Roman
Lharlotte Niese von
(Dreizehnte Fortsetzung)

Einige Tage später hielt ein großer Reisewagen vor dem Hof der Fran
von Bremer, und diese stand davor und hielt Heilwigs Hand fest in der ihren.

„Es ist mir hart, daß Ihr reisen müßt. Jungfrau!" sagte sie herzlich.
„Ich bin zufrieden gewesen, Euch in meinem Hause zu haben, und ich werde
oft an Euch denken und für Euch beten. Aber es ist besser, daß auch Ihr
wieder in Eure eigene Heimat kommt, für vieles besser," setzte sie hinzu, als
hätte sie eine Antwort gehört. „Es ist manches hart hier im Land, besser,
daß Ihr es nicht kennen lernt. Mein Junker ist zornig, daß Ihr reist, er
meint, Ihr hättet bei uns bleiben und seine Hausfrau werden sollen. Aber er
muß eine katholische haben, und wird es später einsehen, daß dies besser ist.
Die jungen Leute denken nicht an alles Leid, das kommen kann, da müssen die
Alten manchmal ein vernünftig Wörtlein reden!"

Dies war die einzige Anspielung, die Frau von Bremer machte und die
Heilwig zeigte, daß auch sie unterrichtet war von der großen Liebe, die in
zwei Herzen erblüht war und die in der Blüte sterben mußte.

Heilwig antwortete kein Wort darauf. Ihre Augen schwammen in Tränen,
und sie küßte die Hand der gütigen Frau, aber dann versuchte sie zu lächeln


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[0038] Die Hexe von Mayen Es mag in diesen schönen Worten die Lösung ausgesprochen sein, warum das Volk der Gegenwart im Grunde genommen dem geltenden Recht fremd gegenübersteht. Unser modernes Gesetz ist ihm vielfach ein Buch mit sieben Siegeln. In seiner Kompliziertheit, verursacht durch die äußerst verwickelt gewordenen Verkehrsverhältnisse, ist es ihm schwer begreifbar. Das Volk ist nicht mehr verwachsen mit seinem Recht, als einem heiligen, von den Urvätern überkommenen Stammgut. Die vorgeschrittene Kultur hat hier, wie auf so vielen anderen Gebieten, einen ehernen Riegel vorgeschoben. Nüchtern schaut die kahle Welt darein. Kein in tausend Formen üppig wuchernder Wald, nur wohlgesetzte, wohldurchdachte lange Paragraphenreihen! Wer aber noch Freude hat am Volkstümlichen, wird voll auf seine Rechnung kommen, wenn er im alten Recht des Volkes schürft, und ein Verweilen bei seiner Rechtssnmbolik uicht scheut. Die Hexe von Mayen Roman Lharlotte Niese von (Dreizehnte Fortsetzung) Einige Tage später hielt ein großer Reisewagen vor dem Hof der Fran von Bremer, und diese stand davor und hielt Heilwigs Hand fest in der ihren. „Es ist mir hart, daß Ihr reisen müßt. Jungfrau!" sagte sie herzlich. „Ich bin zufrieden gewesen, Euch in meinem Hause zu haben, und ich werde oft an Euch denken und für Euch beten. Aber es ist besser, daß auch Ihr wieder in Eure eigene Heimat kommt, für vieles besser," setzte sie hinzu, als hätte sie eine Antwort gehört. „Es ist manches hart hier im Land, besser, daß Ihr es nicht kennen lernt. Mein Junker ist zornig, daß Ihr reist, er meint, Ihr hättet bei uns bleiben und seine Hausfrau werden sollen. Aber er muß eine katholische haben, und wird es später einsehen, daß dies besser ist. Die jungen Leute denken nicht an alles Leid, das kommen kann, da müssen die Alten manchmal ein vernünftig Wörtlein reden!" Dies war die einzige Anspielung, die Frau von Bremer machte und die Heilwig zeigte, daß auch sie unterrichtet war von der großen Liebe, die in zwei Herzen erblüht war und die in der Blüte sterben mußte. Heilwig antwortete kein Wort darauf. Ihre Augen schwammen in Tränen, und sie küßte die Hand der gütigen Frau, aber dann versuchte sie zu lächeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/38>, abgerufen am 13.11.2024.