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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Rechtssymbolik

des Schutzes, genommen, auch wird das Schwert, der Pfeil über sie gehalten.
Der Freie, welcher mündig geworden, läßt Bart und Haar lang wachsen. Folge¬
recht begibt sich ein Freier durch Übergabe seines abgeschnittenen Haares in die
Knechtschaft eines anderen. Ein Symbol des verwirkten Haarschnittes war
wiederum die Schere. Am Geringeren wurde der Schnitt vollzogen, der Höhere
mußte sie eine Zeitlang tragen: er kam mit dem bloßen Sinnbild davon.

Im Verlöbnisvertrag spielt der Schuh eine symbolische Rolle. Der Schuh
ist Sinnbild des Getretenen, Unterwürfigen. Es ist hart, in diesem Zusammen¬
hang das sagen zu müssen. Aber die Braut galt eben früher, wenn sie den
Schuh augelegt hatte, den ihr der Bräutigam brachte, als seiner Gewalt unter¬
worfen. Der Schuh mußte an den rechten Fuß angezogen werden. Zog ihn
die Braut an den linken, so war sie später die Herrscherin im Haus, und manche
Braut war eifrig bedacht, den zukünftigen Ehegemahl also zu 'übertölpeln, wie
eine Ansbacher Urkunde berichtet, was bei dem starken Pokulieren, zu dem das
Hochzeitsfest natürlich den Anlaß gab, wohl nicht allzu schwer gehalten haben
mag. Die Redewendung, "unter dem Pantoffel stehen", hängt sicher mit dieser
alten Sitte zusammen.

Das Betonen, daß der Mann Gewalt über das Leben der Frau habe,
führt nach altem friesischen Recht dazu, daß der Braut im Hochzeitszuge ein
Schwert vorangetragen wurde. Ein seltsamer Brauch des Hessenlandes sei hier
erwähnt. Die Eheverkündigung von der Kanzel herab ist altchristliche Sitte.
Wenn nun dort eine Person Einspruch tun zu können glaubte, so mußte sie
ihre Mütze abnehmen und in die Kirche werfen.

In derselben etwas drastischen Form legte man anch dort, wie ein Weistum
uns erzählt, Einspruch gegen das Urteil eines Gerichts ein: "Wer vor Gericht
spricht, das ihm nit recht gewährt, der soll nit von der stelle gehen, He soll
einen Hut in das gerichte werfen und die denke."

Es kann für den ersten Augenblick vielleicht befremden, daß sich symbolische
Bräuche in früherer Zeit noch lange erhalten konnten, auch wenn das Ver¬
ständnis ihrer ursprünglichen Bedeutung längst erloschen war. Aber eben darum
war den Menschen alter Zeiten der Brauch wert und heilig. Denn von ihnen
galt noch, um mit Jakob Grimm zu reden, dessen umfassenden Kenntnissen alter
Rechtssammlungen, der Weistümer, wir die Zusammenstellung der altdeutschen
Rechtssymbole in seinem berühmten Buch "Deutsche Rechtsaltertümer" verdanken,
der Satz: "Was ein Volk aus eigenen Mitteln schöpfen soll, wird seinesgleichen,
was es mit Händen antasten darf, ist entweiht. In unnahbarer Ferne muß
dem Volk der Anfang der Gesetze liegen, etwas wunderbares muß es sein, das
durch den Glauben ihm übermittelt wird, ein angeborenes Erbgut, das seit
undenklichen Jahren die Eltern mit sich getragen und fortgepflanzt haben, das
das Volk behält und wiederum den Nachkommen hinterläßt. Nur die Ge¬
rechtigkeit behagt dem Volk, die es mit der Milch eingesogen und bei sich unter
einem Dach wohnen gesehen hat."


Rechtssymbolik

des Schutzes, genommen, auch wird das Schwert, der Pfeil über sie gehalten.
Der Freie, welcher mündig geworden, läßt Bart und Haar lang wachsen. Folge¬
recht begibt sich ein Freier durch Übergabe seines abgeschnittenen Haares in die
Knechtschaft eines anderen. Ein Symbol des verwirkten Haarschnittes war
wiederum die Schere. Am Geringeren wurde der Schnitt vollzogen, der Höhere
mußte sie eine Zeitlang tragen: er kam mit dem bloßen Sinnbild davon.

Im Verlöbnisvertrag spielt der Schuh eine symbolische Rolle. Der Schuh
ist Sinnbild des Getretenen, Unterwürfigen. Es ist hart, in diesem Zusammen¬
hang das sagen zu müssen. Aber die Braut galt eben früher, wenn sie den
Schuh augelegt hatte, den ihr der Bräutigam brachte, als seiner Gewalt unter¬
worfen. Der Schuh mußte an den rechten Fuß angezogen werden. Zog ihn
die Braut an den linken, so war sie später die Herrscherin im Haus, und manche
Braut war eifrig bedacht, den zukünftigen Ehegemahl also zu 'übertölpeln, wie
eine Ansbacher Urkunde berichtet, was bei dem starken Pokulieren, zu dem das
Hochzeitsfest natürlich den Anlaß gab, wohl nicht allzu schwer gehalten haben
mag. Die Redewendung, „unter dem Pantoffel stehen", hängt sicher mit dieser
alten Sitte zusammen.

Das Betonen, daß der Mann Gewalt über das Leben der Frau habe,
führt nach altem friesischen Recht dazu, daß der Braut im Hochzeitszuge ein
Schwert vorangetragen wurde. Ein seltsamer Brauch des Hessenlandes sei hier
erwähnt. Die Eheverkündigung von der Kanzel herab ist altchristliche Sitte.
Wenn nun dort eine Person Einspruch tun zu können glaubte, so mußte sie
ihre Mütze abnehmen und in die Kirche werfen.

In derselben etwas drastischen Form legte man anch dort, wie ein Weistum
uns erzählt, Einspruch gegen das Urteil eines Gerichts ein: „Wer vor Gericht
spricht, das ihm nit recht gewährt, der soll nit von der stelle gehen, He soll
einen Hut in das gerichte werfen und die denke."

Es kann für den ersten Augenblick vielleicht befremden, daß sich symbolische
Bräuche in früherer Zeit noch lange erhalten konnten, auch wenn das Ver¬
ständnis ihrer ursprünglichen Bedeutung längst erloschen war. Aber eben darum
war den Menschen alter Zeiten der Brauch wert und heilig. Denn von ihnen
galt noch, um mit Jakob Grimm zu reden, dessen umfassenden Kenntnissen alter
Rechtssammlungen, der Weistümer, wir die Zusammenstellung der altdeutschen
Rechtssymbole in seinem berühmten Buch „Deutsche Rechtsaltertümer" verdanken,
der Satz: „Was ein Volk aus eigenen Mitteln schöpfen soll, wird seinesgleichen,
was es mit Händen antasten darf, ist entweiht. In unnahbarer Ferne muß
dem Volk der Anfang der Gesetze liegen, etwas wunderbares muß es sein, das
durch den Glauben ihm übermittelt wird, ein angeborenes Erbgut, das seit
undenklichen Jahren die Eltern mit sich getragen und fortgepflanzt haben, das
das Volk behält und wiederum den Nachkommen hinterläßt. Nur die Ge¬
rechtigkeit behagt dem Volk, die es mit der Milch eingesogen und bei sich unter
einem Dach wohnen gesehen hat."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/37>, abgerufen am 27.06.2024.