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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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schufen und mit ihr wie dem Gotenreich so
auch dem der Vandalen ein Ende machten,
indem sie Heere heranführten.

Nur noch einmal entsteht ein mittelalter¬
liches Germanenreich am Mittelmeer: das
normannische im elften Jahrhundert. Es ist
eine ausgesprochene Gründung des Ritter¬
tums, aber mit unzulänglichen Bolkskräften.
Gegenüber den süditalienischen Volksmassen
waren der normannischen Ritter zu wenige,
unter dem Klima schmolz auch ihre dünne
Oberschicht dahin. Langobarden und Franken
haben nicht einmal Versuche gemacht.

Unterdessen wurzelte das Nordgermanen¬
tum noch immer auf seinem Urboden, und
um die Mitte des fünften Jahrhunderts er¬
weiterte es diesen in einer für die ganze
Weltgeschichte bedeutungsvollen Weise. Bri¬
tannien stand schon hoch in rönnscher Kultur,
jedoch war es ungeschützt durch Heer oder
Flotte. So konnten die Bewohner der fest¬
ländischen Nordseeküsten in kleinen maritimen
Expeditionen herüberkommen und sich fest¬
setzen, immer mehr Landsleute nach sich
ziehend. Die Sachsen von der Weser- und
Elbmündung, die Angeln von Schleswig, die
Juden und Normannen, auch sicherlich die
nicht genannten Friesen, deren Dialekt dem
englischen am ähnlichsten ist, eroberten ohne
viel Blutvergießen England und Südschott¬
land. Es ist Wohl ein feiner Instinkt
der Weltgeschichte, daß sie die Sachsen --
und die wohnten damals vorzugsweise an
der Eid- und Wesermündung -- in die erste
Linie stellt, obgleich zeitweilig die Dänen Eng¬
land erobert hatten. Sächsisch waren die
Königreiche, die die Normannen eroberten.

Imi achten Jahrhundert zeigte sich ger¬
manisches Seereckentum in seiner alleraus-
gesprochensten Gestalt, dem Wikingertum.
Norwegen, Schweden, Dänen -- vom einzelnen
wissen wir nicht viel -- fanden, daß die
weite West- und südeuropäische Kulturwelt
mit ihren Reichtümern ziemlich wehrlos dalag.
Ihr Schiffsbau, ihre Segel- und Steuerkunst
hatte sich soweit ausgebildet, daß sie in kleinen
Geschwadern stark benannter Schiffe auf ferne
Fahrten gehen konnten, um reiche Beute zu
machen. An persönlicher Kraft und Tapfer¬
keit übertrafen sie Wohl alles. Nirgends war
man auf ihren Angriff vorbereitet; ehe sich

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Widerstand hatte bereiten können, waren sie
schon wieder an Bord. Trafen sie doch aus-'
nahmsweise auf überlegene Kräfte, so bauten
sie sich heldenmäßig bis zu ihren Schiffen
durch. Kein Ruhm für ihre Kultur, ihre
Sittlichkeit, aber beispielloses Einsetzen der
ganzen Persönlichkeit.

Das fränkische Reich empfand stark die
Geißel, der es ausgesetzt war, Karl der Große
befahl die Schaffung einer Flotte, um die
Räuber in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen.
Ehe sein Wille erfüllt war, starb er, seine
schwachen Nachfolger führten nicht ans, was
sein staatsmännischer Blick erkannt hatte. So
blieben die Wikinger ein Fluch ganz Europas;
bis hin nach Byzanz ("Rumaburg") gelangten
sie. Selbständige Reiche zu gründen war
nicht ihre Absicht. Vereinzelt setzten sie sich
hier oder dort fest, aber ihre Burgen konnten
von den gesammelten Landkräften der Gegner
leicht bezwungen werden. So ging jede
Pflanzung des Wikingertums wieder zugrunde.

Nur in den armen felsigen Küsten des
nordatlantischen Ozeans sollten einige Grün¬
dungen Wurzel schlagen: in den kleinen Fäer-
Oer, in Island und zeitweilig auch in Grön¬
land, doch verfiel letzteres schon bald wieder
den Eskimos, die vom Klima Wohl härter
L. Fitger erzogen waren.

Aunst

Griechische Museumsvcrwaltung. Steht
man in der zerrissenen Pracht der gewaltigen
AkroPoliSruinen und blickt in das leere
Giebelfeld des ragenden Parthenon empor,
das einem wie das geblendete Auge eines
dahingesunkenen Riesen entgegenstarrt, dann
kann man Byrons Empörung mitempfinden,
mit der er seinem Landsmann Elgin fluchte:
"Was die Goten nicht nahmen, das raubten
die Schotten!"

Die Empörung über die Kunstvandalen
macht jedoch sehr bald anderen Gefühlen
Platz. Mag man die Ausplünderung der
herrlichen Kunststätten anfangs noch so sehr
bedauern, -- nach einigen Besuchen moderner
griechischer Museen beginnt man die Hände
zu segnen, die nachmals, Wohl in einiger
Gier, aber doch vorsorglich die alten Herr¬
lichkeiten nach London, München oder Paris

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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schufen und mit ihr wie dem Gotenreich so
auch dem der Vandalen ein Ende machten,
indem sie Heere heranführten.

Nur noch einmal entsteht ein mittelalter¬
liches Germanenreich am Mittelmeer: das
normannische im elften Jahrhundert. Es ist
eine ausgesprochene Gründung des Ritter¬
tums, aber mit unzulänglichen Bolkskräften.
Gegenüber den süditalienischen Volksmassen
waren der normannischen Ritter zu wenige,
unter dem Klima schmolz auch ihre dünne
Oberschicht dahin. Langobarden und Franken
haben nicht einmal Versuche gemacht.

Unterdessen wurzelte das Nordgermanen¬
tum noch immer auf seinem Urboden, und
um die Mitte des fünften Jahrhunderts er¬
weiterte es diesen in einer für die ganze
Weltgeschichte bedeutungsvollen Weise. Bri¬
tannien stand schon hoch in rönnscher Kultur,
jedoch war es ungeschützt durch Heer oder
Flotte. So konnten die Bewohner der fest¬
ländischen Nordseeküsten in kleinen maritimen
Expeditionen herüberkommen und sich fest¬
setzen, immer mehr Landsleute nach sich
ziehend. Die Sachsen von der Weser- und
Elbmündung, die Angeln von Schleswig, die
Juden und Normannen, auch sicherlich die
nicht genannten Friesen, deren Dialekt dem
englischen am ähnlichsten ist, eroberten ohne
viel Blutvergießen England und Südschott¬
land. Es ist Wohl ein feiner Instinkt
der Weltgeschichte, daß sie die Sachsen —
und die wohnten damals vorzugsweise an
der Eid- und Wesermündung — in die erste
Linie stellt, obgleich zeitweilig die Dänen Eng¬
land erobert hatten. Sächsisch waren die
Königreiche, die die Normannen eroberten.

Imi achten Jahrhundert zeigte sich ger¬
manisches Seereckentum in seiner alleraus-
gesprochensten Gestalt, dem Wikingertum.
Norwegen, Schweden, Dänen — vom einzelnen
wissen wir nicht viel — fanden, daß die
weite West- und südeuropäische Kulturwelt
mit ihren Reichtümern ziemlich wehrlos dalag.
Ihr Schiffsbau, ihre Segel- und Steuerkunst
hatte sich soweit ausgebildet, daß sie in kleinen
Geschwadern stark benannter Schiffe auf ferne
Fahrten gehen konnten, um reiche Beute zu
machen. An persönlicher Kraft und Tapfer¬
keit übertrafen sie Wohl alles. Nirgends war
man auf ihren Angriff vorbereitet; ehe sich

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Widerstand hatte bereiten können, waren sie
schon wieder an Bord. Trafen sie doch aus-'
nahmsweise auf überlegene Kräfte, so bauten
sie sich heldenmäßig bis zu ihren Schiffen
durch. Kein Ruhm für ihre Kultur, ihre
Sittlichkeit, aber beispielloses Einsetzen der
ganzen Persönlichkeit.

Das fränkische Reich empfand stark die
Geißel, der es ausgesetzt war, Karl der Große
befahl die Schaffung einer Flotte, um die
Räuber in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen.
Ehe sein Wille erfüllt war, starb er, seine
schwachen Nachfolger führten nicht ans, was
sein staatsmännischer Blick erkannt hatte. So
blieben die Wikinger ein Fluch ganz Europas;
bis hin nach Byzanz („Rumaburg") gelangten
sie. Selbständige Reiche zu gründen war
nicht ihre Absicht. Vereinzelt setzten sie sich
hier oder dort fest, aber ihre Burgen konnten
von den gesammelten Landkräften der Gegner
leicht bezwungen werden. So ging jede
Pflanzung des Wikingertums wieder zugrunde.

Nur in den armen felsigen Küsten des
nordatlantischen Ozeans sollten einige Grün¬
dungen Wurzel schlagen: in den kleinen Fäer-
Oer, in Island und zeitweilig auch in Grön¬
land, doch verfiel letzteres schon bald wieder
den Eskimos, die vom Klima Wohl härter
L. Fitger erzogen waren.

Aunst

Griechische Museumsvcrwaltung. Steht
man in der zerrissenen Pracht der gewaltigen
AkroPoliSruinen und blickt in das leere
Giebelfeld des ragenden Parthenon empor,
das einem wie das geblendete Auge eines
dahingesunkenen Riesen entgegenstarrt, dann
kann man Byrons Empörung mitempfinden,
mit der er seinem Landsmann Elgin fluchte:
„Was die Goten nicht nahmen, das raubten
die Schotten!"

Die Empörung über die Kunstvandalen
macht jedoch sehr bald anderen Gefühlen
Platz. Mag man die Ausplünderung der
herrlichen Kunststätten anfangs noch so sehr
bedauern, — nach einigen Besuchen moderner
griechischer Museen beginnt man die Hände
zu segnen, die nachmals, Wohl in einiger
Gier, aber doch vorsorglich die alten Herr¬
lichkeiten nach London, München oder Paris

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/248>, abgerufen am 04.07.2024.