Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
ZNaßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

entführten und wie Heiligtümer weihevoll
aufstellten. Demgegenüber ist der ganze
griechische Museumsbetrieb barbarisch. Gerade
an ihm wird man gewahr, wie wenig diese
Neugriechen, vor lauter Dünkel, die Nach¬
kommen der Hellenen zu sein und als solche
allein Verständnis für das klassische Zeitalter
zu besitzen, an jenen Kunststätten leisten.
Sind sie doch längst Kulturbarbaren geworden,
während die einstigen "Barbaren" den wahren
Hellenengeist aufgesogen haben.

Was zunächst den heftigsten Unwillen des
Fremdlings erregen muß, ist die Anmaßung,
mit der bei der Etikettierung verfahren wird.
Abgesehen davon, daß zunächst das wissen¬
schaftlich unschätzbare Kleinmaterial einfach in
Kartons zusammengescharrt liegt, tragen auch
die besser behandelten Sachen Aufschriften auf
verkrüllten, schmutzigen Papierzetteln in gänz¬
lich ausgeführter Tinte und in einem mit
unleserlicher Schrift abgefaßten Reugriechisch.
In einer Sprache also, die fast nie einem
Fremden zugänglich sein dürfte. Diese An¬
maßung ist um so befremdlicher, als die Kost¬
barkeiten der griechischen Museen überwiegend
durch die hingebende Arbeit und die Geld¬
opfer der Ausländer dem Erdboden entrissen
wurden I Aber vergeblich wird man an diesen
von Fremden auf griechischem Boden ge¬
schaffenen Kunsttempeln einen dankbaren Hin¬
weis auf diejenigen suchen, welche alle die
Schätze aus dem Schutt der Jahrtausende
wieder ans Licht zogen. Weder ist etwa im
Mykene-Saul zu Athen eine Büste Schlie-
manns, noch in Kandia eine Dcnktafel für
Evans inmitten der von ihm ergrabenen und
bearbeiteten Reliquien der minoischen Kultur
zu finden. Und wie i" einer unfruchtbaren
Wüste sind diese Herrlichkeiten aufgestellt. Der
größte Teil sowohl der andächtigen Besucher
wie auch der ernsten wissenschaftlichen Be¬
arbeiter und Forscher in jenen Sälen sind
Ausländer, die von weither dorthin Pilgerten;
sie stoßen aber überall auf jene rücksichts¬
losen, schmierigen Zettel, mit deren An¬
bringung die griechische Verwaltung ihr Amt
erfüllt zu haben glaubt und doch kaum einem
den Weg zuni Genuß und Verständnis be¬
reitet! Nur in dem ganz mit den Errungen¬
schaften deutscher Tatkraft und deutscher Mil¬
lionen angefüllten Museum zu Olympia fand

[Spaltenumbruch]

ich wenigstens französische Aufschriften; in
Athen gar als einzigen Anschlag in einer
Kultursprache an jeder Ecke ein.....Oö-
fense als wuener sux objetsl" Darauf
beschränkte sich das "Entgegenkommen" gegen¬
über denselben Fremden, deren ernster Wissen¬
schaft, Arbeitsfreude, hingebender Begeisterung
und nicht zuletzt Millionenopfern die bar-
barisierten Epigonen den weitaus größten
Teil der gehobenen Schätze verdanken. Ist
es nicht der richtige Bettlerhochmut, der aus
solcher UnHöflichkeit spricht?

In punoto Höflichkeit und anständigem
Museumsbetrieb könnten die Pseudonachkom-
men der Perikleischen Griechen viel von den
Türken lernen, die sie in ihrer Selbstüber¬
hebung so verachten. Obwohl der Inhalt
der schönen Konitantinopeler Sammlung
meist türkischer Eigentätigkeit entstammt,
finden wir darin nicht nur eine vorzüg¬
liche und würdige Aufstellung, sondern auch
durchweg neben den sauberen türkischen
Etiketten solche in französischer Sprache,
auf glatten, sorgsam aufgezogenen Papptafeln.
Und nicht etwa nur kurze Bezeichnungen,
sondern recht ausführliche Erläuterungen, die
Aufschluß über die kulturgeschichtlicke Bedeu¬
tung der Gegenstände erteilen, oder gar den
Inhalt keilinschriftlicher Briefe, Verträge oder
Wirtschaftsdokumente wiedergeben, was leider
in den meisten westeuropäischen Sammlungen
noch vielfach fehlt.

In bezug auf die Wächter der verschiedenen
Ausgrabungsstätten ist in Griechenland der¬
selbe Mangel an Rücksicht zu verzeichnen.
Überall stößt der Reisende auf stumpfe Bauern¬
tölpel, die kein Sterbenswörtchen einer
Kultursprache reden, obwohl es ein leichtes
wäre, unter den einfachen Griechen Leute zu
finden, die sich in Amerika außer sonstigen,
Kulturschliss ein fließendes Englisch angeeignet
haben. Ich fand zu meiner angenehmen
Überraschung in den entlegenen Orten des
Peloponnes unter Bauern, kleinen Händlern
und sogar Soldaten solche "Engländer".
Aber nur der Phylax in Epidaurus konnte
einige dürftige Brocken Englisch, allen übrigen
Wächtern stolzen Nationalgutes waren nußer
dem neugriechischen nur die -- internationalen
Trinkgeldgebärden geläufig. Nirgends er¬
freute jenes liebevolle Verständnis, mit

[Ende Spaltensatz]
ZNaßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

entführten und wie Heiligtümer weihevoll
aufstellten. Demgegenüber ist der ganze
griechische Museumsbetrieb barbarisch. Gerade
an ihm wird man gewahr, wie wenig diese
Neugriechen, vor lauter Dünkel, die Nach¬
kommen der Hellenen zu sein und als solche
allein Verständnis für das klassische Zeitalter
zu besitzen, an jenen Kunststätten leisten.
Sind sie doch längst Kulturbarbaren geworden,
während die einstigen „Barbaren" den wahren
Hellenengeist aufgesogen haben.

Was zunächst den heftigsten Unwillen des
Fremdlings erregen muß, ist die Anmaßung,
mit der bei der Etikettierung verfahren wird.
Abgesehen davon, daß zunächst das wissen¬
schaftlich unschätzbare Kleinmaterial einfach in
Kartons zusammengescharrt liegt, tragen auch
die besser behandelten Sachen Aufschriften auf
verkrüllten, schmutzigen Papierzetteln in gänz¬
lich ausgeführter Tinte und in einem mit
unleserlicher Schrift abgefaßten Reugriechisch.
In einer Sprache also, die fast nie einem
Fremden zugänglich sein dürfte. Diese An¬
maßung ist um so befremdlicher, als die Kost¬
barkeiten der griechischen Museen überwiegend
durch die hingebende Arbeit und die Geld¬
opfer der Ausländer dem Erdboden entrissen
wurden I Aber vergeblich wird man an diesen
von Fremden auf griechischem Boden ge¬
schaffenen Kunsttempeln einen dankbaren Hin¬
weis auf diejenigen suchen, welche alle die
Schätze aus dem Schutt der Jahrtausende
wieder ans Licht zogen. Weder ist etwa im
Mykene-Saul zu Athen eine Büste Schlie-
manns, noch in Kandia eine Dcnktafel für
Evans inmitten der von ihm ergrabenen und
bearbeiteten Reliquien der minoischen Kultur
zu finden. Und wie i» einer unfruchtbaren
Wüste sind diese Herrlichkeiten aufgestellt. Der
größte Teil sowohl der andächtigen Besucher
wie auch der ernsten wissenschaftlichen Be¬
arbeiter und Forscher in jenen Sälen sind
Ausländer, die von weither dorthin Pilgerten;
sie stoßen aber überall auf jene rücksichts¬
losen, schmierigen Zettel, mit deren An¬
bringung die griechische Verwaltung ihr Amt
erfüllt zu haben glaubt und doch kaum einem
den Weg zuni Genuß und Verständnis be¬
reitet! Nur in dem ganz mit den Errungen¬
schaften deutscher Tatkraft und deutscher Mil¬
lionen angefüllten Museum zu Olympia fand

[Spaltenumbruch]

ich wenigstens französische Aufschriften; in
Athen gar als einzigen Anschlag in einer
Kultursprache an jeder Ecke ein.....Oö-
fense als wuener sux objetsl" Darauf
beschränkte sich das „Entgegenkommen" gegen¬
über denselben Fremden, deren ernster Wissen¬
schaft, Arbeitsfreude, hingebender Begeisterung
und nicht zuletzt Millionenopfern die bar-
barisierten Epigonen den weitaus größten
Teil der gehobenen Schätze verdanken. Ist
es nicht der richtige Bettlerhochmut, der aus
solcher UnHöflichkeit spricht?

In punoto Höflichkeit und anständigem
Museumsbetrieb könnten die Pseudonachkom-
men der Perikleischen Griechen viel von den
Türken lernen, die sie in ihrer Selbstüber¬
hebung so verachten. Obwohl der Inhalt
der schönen Konitantinopeler Sammlung
meist türkischer Eigentätigkeit entstammt,
finden wir darin nicht nur eine vorzüg¬
liche und würdige Aufstellung, sondern auch
durchweg neben den sauberen türkischen
Etiketten solche in französischer Sprache,
auf glatten, sorgsam aufgezogenen Papptafeln.
Und nicht etwa nur kurze Bezeichnungen,
sondern recht ausführliche Erläuterungen, die
Aufschluß über die kulturgeschichtlicke Bedeu¬
tung der Gegenstände erteilen, oder gar den
Inhalt keilinschriftlicher Briefe, Verträge oder
Wirtschaftsdokumente wiedergeben, was leider
in den meisten westeuropäischen Sammlungen
noch vielfach fehlt.

In bezug auf die Wächter der verschiedenen
Ausgrabungsstätten ist in Griechenland der¬
selbe Mangel an Rücksicht zu verzeichnen.
Überall stößt der Reisende auf stumpfe Bauern¬
tölpel, die kein Sterbenswörtchen einer
Kultursprache reden, obwohl es ein leichtes
wäre, unter den einfachen Griechen Leute zu
finden, die sich in Amerika außer sonstigen,
Kulturschliss ein fließendes Englisch angeeignet
haben. Ich fand zu meiner angenehmen
Überraschung in den entlegenen Orten des
Peloponnes unter Bauern, kleinen Händlern
und sogar Soldaten solche „Engländer".
Aber nur der Phylax in Epidaurus konnte
einige dürftige Brocken Englisch, allen übrigen
Wächtern stolzen Nationalgutes waren nußer
dem neugriechischen nur die — internationalen
Trinkgeldgebärden geläufig. Nirgends er¬
freute jenes liebevolle Verständnis, mit

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328349"/>
            <fw type="header" place="top"> ZNaßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_1107" prev="#ID_1106"> entführten und wie Heiligtümer weihevoll<lb/>
aufstellten. Demgegenüber ist der ganze<lb/>
griechische Museumsbetrieb barbarisch. Gerade<lb/>
an ihm wird man gewahr, wie wenig diese<lb/>
Neugriechen, vor lauter Dünkel, die Nach¬<lb/>
kommen der Hellenen zu sein und als solche<lb/>
allein Verständnis für das klassische Zeitalter<lb/>
zu besitzen, an jenen Kunststätten leisten.<lb/>
Sind sie doch längst Kulturbarbaren geworden,<lb/>
während die einstigen &#x201E;Barbaren" den wahren<lb/>
Hellenengeist aufgesogen haben.</p>
            <p xml:id="ID_1108" next="#ID_1109"> Was zunächst den heftigsten Unwillen des<lb/>
Fremdlings erregen muß, ist die Anmaßung,<lb/>
mit der bei der Etikettierung verfahren wird.<lb/>
Abgesehen davon, daß zunächst das wissen¬<lb/>
schaftlich unschätzbare Kleinmaterial einfach in<lb/>
Kartons zusammengescharrt liegt, tragen auch<lb/>
die besser behandelten Sachen Aufschriften auf<lb/>
verkrüllten, schmutzigen Papierzetteln in gänz¬<lb/>
lich ausgeführter Tinte und in einem mit<lb/>
unleserlicher Schrift abgefaßten Reugriechisch.<lb/>
In einer Sprache also, die fast nie einem<lb/>
Fremden zugänglich sein dürfte. Diese An¬<lb/>
maßung ist um so befremdlicher, als die Kost¬<lb/>
barkeiten der griechischen Museen überwiegend<lb/>
durch die hingebende Arbeit und die Geld¬<lb/>
opfer der Ausländer dem Erdboden entrissen<lb/>
wurden I Aber vergeblich wird man an diesen<lb/>
von Fremden auf griechischem Boden ge¬<lb/>
schaffenen Kunsttempeln einen dankbaren Hin¬<lb/>
weis auf diejenigen suchen, welche alle die<lb/>
Schätze aus dem Schutt der Jahrtausende<lb/>
wieder ans Licht zogen. Weder ist etwa im<lb/>
Mykene-Saul zu Athen eine Büste Schlie-<lb/>
manns, noch in Kandia eine Dcnktafel für<lb/>
Evans inmitten der von ihm ergrabenen und<lb/>
bearbeiteten Reliquien der minoischen Kultur<lb/>
zu finden. Und wie i» einer unfruchtbaren<lb/>
Wüste sind diese Herrlichkeiten aufgestellt. Der<lb/>
größte Teil sowohl der andächtigen Besucher<lb/>
wie auch der ernsten wissenschaftlichen Be¬<lb/>
arbeiter und Forscher in jenen Sälen sind<lb/>
Ausländer, die von weither dorthin Pilgerten;<lb/>
sie stoßen aber überall auf jene rücksichts¬<lb/>
losen, schmierigen Zettel, mit deren An¬<lb/>
bringung die griechische Verwaltung ihr Amt<lb/>
erfüllt zu haben glaubt und doch kaum einem<lb/>
den Weg zuni Genuß und Verständnis be¬<lb/>
reitet! Nur in dem ganz mit den Errungen¬<lb/>
schaften deutscher Tatkraft und deutscher Mil¬<lb/>
lionen angefüllten Museum zu Olympia fand</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1109" prev="#ID_1108"> ich wenigstens französische Aufschriften; in<lb/>
Athen gar als einzigen Anschlag in einer<lb/>
Kultursprache an jeder Ecke ein.....Oö-<lb/>
fense als wuener sux objetsl" Darauf<lb/>
beschränkte sich das &#x201E;Entgegenkommen" gegen¬<lb/>
über denselben Fremden, deren ernster Wissen¬<lb/>
schaft, Arbeitsfreude, hingebender Begeisterung<lb/>
und nicht zuletzt Millionenopfern die bar-<lb/>
barisierten Epigonen den weitaus größten<lb/>
Teil der gehobenen Schätze verdanken. Ist<lb/>
es nicht der richtige Bettlerhochmut, der aus<lb/>
solcher UnHöflichkeit spricht?</p>
            <p xml:id="ID_1110"> In punoto Höflichkeit und anständigem<lb/>
Museumsbetrieb könnten die Pseudonachkom-<lb/>
men der Perikleischen Griechen viel von den<lb/>
Türken lernen, die sie in ihrer Selbstüber¬<lb/>
hebung so verachten. Obwohl der Inhalt<lb/>
der schönen Konitantinopeler Sammlung<lb/>
meist türkischer Eigentätigkeit entstammt,<lb/>
finden wir darin nicht nur eine vorzüg¬<lb/>
liche und würdige Aufstellung, sondern auch<lb/>
durchweg neben den sauberen türkischen<lb/>
Etiketten solche in französischer Sprache,<lb/>
auf glatten, sorgsam aufgezogenen Papptafeln.<lb/>
Und nicht etwa nur kurze Bezeichnungen,<lb/>
sondern recht ausführliche Erläuterungen, die<lb/>
Aufschluß über die kulturgeschichtlicke Bedeu¬<lb/>
tung der Gegenstände erteilen, oder gar den<lb/>
Inhalt keilinschriftlicher Briefe, Verträge oder<lb/>
Wirtschaftsdokumente wiedergeben, was leider<lb/>
in den meisten westeuropäischen Sammlungen<lb/>
noch vielfach fehlt.</p>
            <p xml:id="ID_1111" next="#ID_1112"> In bezug auf die Wächter der verschiedenen<lb/>
Ausgrabungsstätten ist in Griechenland der¬<lb/>
selbe Mangel an Rücksicht zu verzeichnen.<lb/>
Überall stößt der Reisende auf stumpfe Bauern¬<lb/>
tölpel, die kein Sterbenswörtchen einer<lb/>
Kultursprache reden, obwohl es ein leichtes<lb/>
wäre, unter den einfachen Griechen Leute zu<lb/>
finden, die sich in Amerika außer sonstigen,<lb/>
Kulturschliss ein fließendes Englisch angeeignet<lb/>
haben. Ich fand zu meiner angenehmen<lb/>
Überraschung in den entlegenen Orten des<lb/>
Peloponnes unter Bauern, kleinen Händlern<lb/>
und sogar Soldaten solche &#x201E;Engländer".<lb/>
Aber nur der Phylax in Epidaurus konnte<lb/>
einige dürftige Brocken Englisch, allen übrigen<lb/>
Wächtern stolzen Nationalgutes waren nußer<lb/>
dem neugriechischen nur die &#x2014; internationalen<lb/>
Trinkgeldgebärden geläufig. Nirgends er¬<lb/>
freute jenes  liebevolle Verständnis, mit</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] ZNaßgebliches und Unmaßgebliches entführten und wie Heiligtümer weihevoll aufstellten. Demgegenüber ist der ganze griechische Museumsbetrieb barbarisch. Gerade an ihm wird man gewahr, wie wenig diese Neugriechen, vor lauter Dünkel, die Nach¬ kommen der Hellenen zu sein und als solche allein Verständnis für das klassische Zeitalter zu besitzen, an jenen Kunststätten leisten. Sind sie doch längst Kulturbarbaren geworden, während die einstigen „Barbaren" den wahren Hellenengeist aufgesogen haben. Was zunächst den heftigsten Unwillen des Fremdlings erregen muß, ist die Anmaßung, mit der bei der Etikettierung verfahren wird. Abgesehen davon, daß zunächst das wissen¬ schaftlich unschätzbare Kleinmaterial einfach in Kartons zusammengescharrt liegt, tragen auch die besser behandelten Sachen Aufschriften auf verkrüllten, schmutzigen Papierzetteln in gänz¬ lich ausgeführter Tinte und in einem mit unleserlicher Schrift abgefaßten Reugriechisch. In einer Sprache also, die fast nie einem Fremden zugänglich sein dürfte. Diese An¬ maßung ist um so befremdlicher, als die Kost¬ barkeiten der griechischen Museen überwiegend durch die hingebende Arbeit und die Geld¬ opfer der Ausländer dem Erdboden entrissen wurden I Aber vergeblich wird man an diesen von Fremden auf griechischem Boden ge¬ schaffenen Kunsttempeln einen dankbaren Hin¬ weis auf diejenigen suchen, welche alle die Schätze aus dem Schutt der Jahrtausende wieder ans Licht zogen. Weder ist etwa im Mykene-Saul zu Athen eine Büste Schlie- manns, noch in Kandia eine Dcnktafel für Evans inmitten der von ihm ergrabenen und bearbeiteten Reliquien der minoischen Kultur zu finden. Und wie i» einer unfruchtbaren Wüste sind diese Herrlichkeiten aufgestellt. Der größte Teil sowohl der andächtigen Besucher wie auch der ernsten wissenschaftlichen Be¬ arbeiter und Forscher in jenen Sälen sind Ausländer, die von weither dorthin Pilgerten; sie stoßen aber überall auf jene rücksichts¬ losen, schmierigen Zettel, mit deren An¬ bringung die griechische Verwaltung ihr Amt erfüllt zu haben glaubt und doch kaum einem den Weg zuni Genuß und Verständnis be¬ reitet! Nur in dem ganz mit den Errungen¬ schaften deutscher Tatkraft und deutscher Mil¬ lionen angefüllten Museum zu Olympia fand ich wenigstens französische Aufschriften; in Athen gar als einzigen Anschlag in einer Kultursprache an jeder Ecke ein.....Oö- fense als wuener sux objetsl" Darauf beschränkte sich das „Entgegenkommen" gegen¬ über denselben Fremden, deren ernster Wissen¬ schaft, Arbeitsfreude, hingebender Begeisterung und nicht zuletzt Millionenopfern die bar- barisierten Epigonen den weitaus größten Teil der gehobenen Schätze verdanken. Ist es nicht der richtige Bettlerhochmut, der aus solcher UnHöflichkeit spricht? In punoto Höflichkeit und anständigem Museumsbetrieb könnten die Pseudonachkom- men der Perikleischen Griechen viel von den Türken lernen, die sie in ihrer Selbstüber¬ hebung so verachten. Obwohl der Inhalt der schönen Konitantinopeler Sammlung meist türkischer Eigentätigkeit entstammt, finden wir darin nicht nur eine vorzüg¬ liche und würdige Aufstellung, sondern auch durchweg neben den sauberen türkischen Etiketten solche in französischer Sprache, auf glatten, sorgsam aufgezogenen Papptafeln. Und nicht etwa nur kurze Bezeichnungen, sondern recht ausführliche Erläuterungen, die Aufschluß über die kulturgeschichtlicke Bedeu¬ tung der Gegenstände erteilen, oder gar den Inhalt keilinschriftlicher Briefe, Verträge oder Wirtschaftsdokumente wiedergeben, was leider in den meisten westeuropäischen Sammlungen noch vielfach fehlt. In bezug auf die Wächter der verschiedenen Ausgrabungsstätten ist in Griechenland der¬ selbe Mangel an Rücksicht zu verzeichnen. Überall stößt der Reisende auf stumpfe Bauern¬ tölpel, die kein Sterbenswörtchen einer Kultursprache reden, obwohl es ein leichtes wäre, unter den einfachen Griechen Leute zu finden, die sich in Amerika außer sonstigen, Kulturschliss ein fließendes Englisch angeeignet haben. Ich fand zu meiner angenehmen Überraschung in den entlegenen Orten des Peloponnes unter Bauern, kleinen Händlern und sogar Soldaten solche „Engländer". Aber nur der Phylax in Epidaurus konnte einige dürftige Brocken Englisch, allen übrigen Wächtern stolzen Nationalgutes waren nußer dem neugriechischen nur die — internationalen Trinkgeldgebärden geläufig. Nirgends er¬ freute jenes liebevolle Verständnis, mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/249>, abgerufen am 04.07.2024.