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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Geschichte

Altgermlmischc Meeresherrschaft. Erst
seit wenigen Jahrzehnten hat das deutsche
Voll politische Seegeltung erobert. Etwa
drei Jahrhunderte, von 1260 bis 1SS0, ver¬
trat der Hansebund die Stelle einer deutschen
Seemacht, aber dann wurde unser Vaterland
von neuem wehrlos zur See, selbst die rühm¬
lichen Versuche des Großen Kurfürsten von
Brandenburg änderten wenig daran. Unter¬
dessen waren andere germanische Staaten
mächtig zur See: Norwegen, Dänemark,
Schweden, England entwickelten sich schon im
Mittelalter zeitweilig zu ansehnlicher Stärke;
später war Holland ein Jahrhundert lang
die erste Seemacht der Welt, bis England
sich zum zweitenmal auf das wogende Ele¬
ment warf und die Herrschaft darauf behielt.

Wasserscheu kann man unseren Vorfahren
nicht vorwerfen, im Gegenteil, die teutonische
Rasse, zu der auch sie gehörten, ist an Nei¬
gung sür die Seeschiffahrt, an kühnem Wage¬
mut, an nautischer Kunst die erste der Welt.
Das wird nur leicht vergessen, weil man die
langen Jahrhunderte hindurch Deutschland
zur See ohnmächtig sieht, während ini Mittel¬
meer und in Westeuropa, sogar in Skan¬
dinavien andere Völker ihre Kriegsflotten ent¬
wickeln.

Die Gesamtheit der hierbei in Frage
kommenden Gesichtspunkte hat Dr. Conrad
Müller in einem sehr hübschen und lesens¬
werten Werke zusammengestellt: Altgcrnm-

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msche Meeresherrschaft (Gotha, Friedrich
Andreas Perthes; 10 M., geb. 11,50 M.).
Der Verfasser, Germanist vom Fach, ist in
den germanischen Quellen auf diesem Gebiet
von Grund aus zu Hause, so daß es ihm ge¬
lingt, ein wahrhaft spannendes Gesamt¬
gemälde zu entrollen, das selbst denen inter¬
essant sein wird, die die frühmittelalterliche
Geschichte Dentschlands selber beherrschen.
Der Schwerpunkt liegt durchaus auf dem
"Altgermanischen", denn mit der Besiedlung
der deutschen Ostseeküsten durch die Deutschen
nimmt die Darstellung ein Ende.


Naturgemäß spielt in der nordischen
Dichtung das Seewesen eine große Rolle, der
Oberdeutsche dagegen stand ihm recht fern.
In den Träumereien über die Entstehung der
Welt lenkt vieles auf das Meer zurück, das
dunkle, geheimnisvolle, rätselhafte, das ein¬
ladende, verlockende und doch so falsche,
übergewaltige. Riesen bewohnen, beherrschen
es, in den Stürmen, den Wolken, dem Regen
verkörpern sich Dämonen, die von den -guten
Göttern bekämpft und nicht immer über¬
wunden werden. Der See nimmt oft die
Seelen und Leichname der Helden auf; man
ladet sie auf Schiffe und übergibt diese der
See, dem Feuer und dem Sturm. Von
einem ganzen vielgestaltigen Völkchen von
Elfen, Nixen und Kleingeistern glaubten die
Menschen umgeben zu sein.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Geschichte

Altgermlmischc Meeresherrschaft. Erst
seit wenigen Jahrzehnten hat das deutsche
Voll politische Seegeltung erobert. Etwa
drei Jahrhunderte, von 1260 bis 1SS0, ver¬
trat der Hansebund die Stelle einer deutschen
Seemacht, aber dann wurde unser Vaterland
von neuem wehrlos zur See, selbst die rühm¬
lichen Versuche des Großen Kurfürsten von
Brandenburg änderten wenig daran. Unter¬
dessen waren andere germanische Staaten
mächtig zur See: Norwegen, Dänemark,
Schweden, England entwickelten sich schon im
Mittelalter zeitweilig zu ansehnlicher Stärke;
später war Holland ein Jahrhundert lang
die erste Seemacht der Welt, bis England
sich zum zweitenmal auf das wogende Ele¬
ment warf und die Herrschaft darauf behielt.

Wasserscheu kann man unseren Vorfahren
nicht vorwerfen, im Gegenteil, die teutonische
Rasse, zu der auch sie gehörten, ist an Nei¬
gung sür die Seeschiffahrt, an kühnem Wage¬
mut, an nautischer Kunst die erste der Welt.
Das wird nur leicht vergessen, weil man die
langen Jahrhunderte hindurch Deutschland
zur See ohnmächtig sieht, während ini Mittel¬
meer und in Westeuropa, sogar in Skan¬
dinavien andere Völker ihre Kriegsflotten ent¬
wickeln.

Die Gesamtheit der hierbei in Frage
kommenden Gesichtspunkte hat Dr. Conrad
Müller in einem sehr hübschen und lesens¬
werten Werke zusammengestellt: Altgcrnm-

[Spaltenumbruch]

msche Meeresherrschaft (Gotha, Friedrich
Andreas Perthes; 10 M., geb. 11,50 M.).
Der Verfasser, Germanist vom Fach, ist in
den germanischen Quellen auf diesem Gebiet
von Grund aus zu Hause, so daß es ihm ge¬
lingt, ein wahrhaft spannendes Gesamt¬
gemälde zu entrollen, das selbst denen inter¬
essant sein wird, die die frühmittelalterliche
Geschichte Dentschlands selber beherrschen.
Der Schwerpunkt liegt durchaus auf dem
„Altgermanischen", denn mit der Besiedlung
der deutschen Ostseeküsten durch die Deutschen
nimmt die Darstellung ein Ende.


Naturgemäß spielt in der nordischen
Dichtung das Seewesen eine große Rolle, der
Oberdeutsche dagegen stand ihm recht fern.
In den Träumereien über die Entstehung der
Welt lenkt vieles auf das Meer zurück, das
dunkle, geheimnisvolle, rätselhafte, das ein¬
ladende, verlockende und doch so falsche,
übergewaltige. Riesen bewohnen, beherrschen
es, in den Stürmen, den Wolken, dem Regen
verkörpern sich Dämonen, die von den -guten
Göttern bekämpft und nicht immer über¬
wunden werden. Der See nimmt oft die
Seelen und Leichname der Helden auf; man
ladet sie auf Schiffe und übergibt diese der
See, dem Feuer und dem Sturm. Von
einem ganzen vielgestaltigen Völkchen von
Elfen, Nixen und Kleingeistern glaubten die
Menschen umgeben zu sein.

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[0246] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Geschichte Altgermlmischc Meeresherrschaft. Erst seit wenigen Jahrzehnten hat das deutsche Voll politische Seegeltung erobert. Etwa drei Jahrhunderte, von 1260 bis 1SS0, ver¬ trat der Hansebund die Stelle einer deutschen Seemacht, aber dann wurde unser Vaterland von neuem wehrlos zur See, selbst die rühm¬ lichen Versuche des Großen Kurfürsten von Brandenburg änderten wenig daran. Unter¬ dessen waren andere germanische Staaten mächtig zur See: Norwegen, Dänemark, Schweden, England entwickelten sich schon im Mittelalter zeitweilig zu ansehnlicher Stärke; später war Holland ein Jahrhundert lang die erste Seemacht der Welt, bis England sich zum zweitenmal auf das wogende Ele¬ ment warf und die Herrschaft darauf behielt. Wasserscheu kann man unseren Vorfahren nicht vorwerfen, im Gegenteil, die teutonische Rasse, zu der auch sie gehörten, ist an Nei¬ gung sür die Seeschiffahrt, an kühnem Wage¬ mut, an nautischer Kunst die erste der Welt. Das wird nur leicht vergessen, weil man die langen Jahrhunderte hindurch Deutschland zur See ohnmächtig sieht, während ini Mittel¬ meer und in Westeuropa, sogar in Skan¬ dinavien andere Völker ihre Kriegsflotten ent¬ wickeln. Die Gesamtheit der hierbei in Frage kommenden Gesichtspunkte hat Dr. Conrad Müller in einem sehr hübschen und lesens¬ werten Werke zusammengestellt: Altgcrnm- msche Meeresherrschaft (Gotha, Friedrich Andreas Perthes; 10 M., geb. 11,50 M.). Der Verfasser, Germanist vom Fach, ist in den germanischen Quellen auf diesem Gebiet von Grund aus zu Hause, so daß es ihm ge¬ lingt, ein wahrhaft spannendes Gesamt¬ gemälde zu entrollen, das selbst denen inter¬ essant sein wird, die die frühmittelalterliche Geschichte Dentschlands selber beherrschen. Der Schwerpunkt liegt durchaus auf dem „Altgermanischen", denn mit der Besiedlung der deutschen Ostseeküsten durch die Deutschen nimmt die Darstellung ein Ende. Naturgemäß spielt in der nordischen Dichtung das Seewesen eine große Rolle, der Oberdeutsche dagegen stand ihm recht fern. In den Träumereien über die Entstehung der Welt lenkt vieles auf das Meer zurück, das dunkle, geheimnisvolle, rätselhafte, das ein¬ ladende, verlockende und doch so falsche, übergewaltige. Riesen bewohnen, beherrschen es, in den Stürmen, den Wolken, dem Regen verkörpern sich Dämonen, die von den -guten Göttern bekämpft und nicht immer über¬ wunden werden. Der See nimmt oft die Seelen und Leichname der Helden auf; man ladet sie auf Schiffe und übergibt diese der See, dem Feuer und dem Sturm. Von einem ganzen vielgestaltigen Völkchen von Elfen, Nixen und Kleingeistern glaubten die Menschen umgeben zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/246>, abgerufen am 13.11.2024.