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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

seid Ihr geblieben, und ich sehe es Euch doch an, daß Ihr an einer Wiege saßet
und Kinder auf den Armen trüget! Der Allmächtige wird sie wachsen und
gedeihen lassen, und wenn die heilige Jungfrau von ihnen hört, wird sie sie
gleichfalls in ihre Obhut nehmen. Verachtet sie nit, edle Frau, hat sie doch
einen hohen Platz im Himmel und der Herrgott hört auf sie!"

"Wie sollte ich sie verachten!" Heilwig hatte Tränen in den Augen. "Ich
danke dir, so du sür mich beten willst und für meine Kinder! Auch ich will
deiner gedenken, wenn ich vor Gott trete, und --"

Die Tür der kleinen Küche ging auf und die edle Frau von Kolben trat
ein. Sie war recht aufgeregt von dem vornehmen Besuch, der so plötzlich in
das Haus des Bruders gekommen war, und sie übergoß Heilwig mit einem
Schwall von Worten, die diese kaum verstand.

Die Frau von Kolben war natürlich ein wenig verlegen. Sie war sehr
schlecht gekleidet, und diese Frau vor ihr trug ein feines Reitkleid und am Hute
eine große Straußenfeder. Dazu ein Goldkettlein um den Hals, und machte
nicht allein einen vornehmen, sondern auch einen reichen Eindruck.

Und da die Frau von Kolben den Namen der vornehmen Frau erfahren
hatte, so stieg in ihr ein Bedauern auf, das reichlich spät kam, aber das sie
doch nicht unterdrücken konnte.

"Hätte ich gewußt, wie Ihr ausschaut, Frau Heilwig. und wäre ich damals
nit ein wenig hitzig gewesen --," begann sie ohne weiteres; aber Heilwig
richtete sich gerade auf.

"Ich muß nach meinem Gemahl. Herrn Josias von Sehestedt sehen!"
sagte sie, und ging an der edlen Dame vorüber in das kleine Gemach und
von dort in den Garten, den sie nur einmal in ihrem Leben betreten hatte.

Hier standen die Männer und sahen durch das Loch in der Mauer. Denn
noch immer war es da und die versengten Efeuranken verbargen es kaum.
Leise war der Abend gekommen und über den Bergen der Ferne lag der sanfte
Schein der untergehenden Sonne. Vom Walde her kamen die Nebel, aber
goldene Fäden spannen sich darüber.

"Ihr sehet nur wenig von der Welt!" sagte der Herzog sehr gütig zu
Herrn Sebastian, der mit glänzenden Augen in die Sonne blickte.

"Es ist wenig und doch für mich genug gewesen!" erwiderte er mit seiner sanften
Stimme, während Herr Josias neben seine Frau trat und sie bei der Hand faßte.

"Bei meiner Ehre!" der Herzog dehnte die mächtigen Glieder. "Durch
ein Loch in der Mauer darf man nicht immer die Welt betrachten, wer es
immer tut, der verliert zu viel!"

"Was sollte er verlieren?" Herrn Sebastians Gesicht war sehr still ge¬
worden und seine Augen sehr klar.

Niemand antwortete. Herr Josias legte den Arm um Heilwig und durch
das Loch in der Mauer schien die untergehende Sonne.




Die Hexe von Mayen

seid Ihr geblieben, und ich sehe es Euch doch an, daß Ihr an einer Wiege saßet
und Kinder auf den Armen trüget! Der Allmächtige wird sie wachsen und
gedeihen lassen, und wenn die heilige Jungfrau von ihnen hört, wird sie sie
gleichfalls in ihre Obhut nehmen. Verachtet sie nit, edle Frau, hat sie doch
einen hohen Platz im Himmel und der Herrgott hört auf sie!"

„Wie sollte ich sie verachten!" Heilwig hatte Tränen in den Augen. „Ich
danke dir, so du sür mich beten willst und für meine Kinder! Auch ich will
deiner gedenken, wenn ich vor Gott trete, und —"

Die Tür der kleinen Küche ging auf und die edle Frau von Kolben trat
ein. Sie war recht aufgeregt von dem vornehmen Besuch, der so plötzlich in
das Haus des Bruders gekommen war, und sie übergoß Heilwig mit einem
Schwall von Worten, die diese kaum verstand.

Die Frau von Kolben war natürlich ein wenig verlegen. Sie war sehr
schlecht gekleidet, und diese Frau vor ihr trug ein feines Reitkleid und am Hute
eine große Straußenfeder. Dazu ein Goldkettlein um den Hals, und machte
nicht allein einen vornehmen, sondern auch einen reichen Eindruck.

Und da die Frau von Kolben den Namen der vornehmen Frau erfahren
hatte, so stieg in ihr ein Bedauern auf, das reichlich spät kam, aber das sie
doch nicht unterdrücken konnte.

„Hätte ich gewußt, wie Ihr ausschaut, Frau Heilwig. und wäre ich damals
nit ein wenig hitzig gewesen —," begann sie ohne weiteres; aber Heilwig
richtete sich gerade auf.

„Ich muß nach meinem Gemahl. Herrn Josias von Sehestedt sehen!"
sagte sie, und ging an der edlen Dame vorüber in das kleine Gemach und
von dort in den Garten, den sie nur einmal in ihrem Leben betreten hatte.

Hier standen die Männer und sahen durch das Loch in der Mauer. Denn
noch immer war es da und die versengten Efeuranken verbargen es kaum.
Leise war der Abend gekommen und über den Bergen der Ferne lag der sanfte
Schein der untergehenden Sonne. Vom Walde her kamen die Nebel, aber
goldene Fäden spannen sich darüber.

„Ihr sehet nur wenig von der Welt!" sagte der Herzog sehr gütig zu
Herrn Sebastian, der mit glänzenden Augen in die Sonne blickte.

„Es ist wenig und doch für mich genug gewesen!" erwiderte er mit seiner sanften
Stimme, während Herr Josias neben seine Frau trat und sie bei der Hand faßte.

„Bei meiner Ehre!" der Herzog dehnte die mächtigen Glieder. „Durch
ein Loch in der Mauer darf man nicht immer die Welt betrachten, wer es
immer tut, der verliert zu viel!"

„Was sollte er verlieren?" Herrn Sebastians Gesicht war sehr still ge¬
worden und seine Augen sehr klar.

Niemand antwortete. Herr Josias legte den Arm um Heilwig und durch
das Loch in der Mauer schien die untergehende Sonne.




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[0245] Die Hexe von Mayen seid Ihr geblieben, und ich sehe es Euch doch an, daß Ihr an einer Wiege saßet und Kinder auf den Armen trüget! Der Allmächtige wird sie wachsen und gedeihen lassen, und wenn die heilige Jungfrau von ihnen hört, wird sie sie gleichfalls in ihre Obhut nehmen. Verachtet sie nit, edle Frau, hat sie doch einen hohen Platz im Himmel und der Herrgott hört auf sie!" „Wie sollte ich sie verachten!" Heilwig hatte Tränen in den Augen. „Ich danke dir, so du sür mich beten willst und für meine Kinder! Auch ich will deiner gedenken, wenn ich vor Gott trete, und —" Die Tür der kleinen Küche ging auf und die edle Frau von Kolben trat ein. Sie war recht aufgeregt von dem vornehmen Besuch, der so plötzlich in das Haus des Bruders gekommen war, und sie übergoß Heilwig mit einem Schwall von Worten, die diese kaum verstand. Die Frau von Kolben war natürlich ein wenig verlegen. Sie war sehr schlecht gekleidet, und diese Frau vor ihr trug ein feines Reitkleid und am Hute eine große Straußenfeder. Dazu ein Goldkettlein um den Hals, und machte nicht allein einen vornehmen, sondern auch einen reichen Eindruck. Und da die Frau von Kolben den Namen der vornehmen Frau erfahren hatte, so stieg in ihr ein Bedauern auf, das reichlich spät kam, aber das sie doch nicht unterdrücken konnte. „Hätte ich gewußt, wie Ihr ausschaut, Frau Heilwig. und wäre ich damals nit ein wenig hitzig gewesen —," begann sie ohne weiteres; aber Heilwig richtete sich gerade auf. „Ich muß nach meinem Gemahl. Herrn Josias von Sehestedt sehen!" sagte sie, und ging an der edlen Dame vorüber in das kleine Gemach und von dort in den Garten, den sie nur einmal in ihrem Leben betreten hatte. Hier standen die Männer und sahen durch das Loch in der Mauer. Denn noch immer war es da und die versengten Efeuranken verbargen es kaum. Leise war der Abend gekommen und über den Bergen der Ferne lag der sanfte Schein der untergehenden Sonne. Vom Walde her kamen die Nebel, aber goldene Fäden spannen sich darüber. „Ihr sehet nur wenig von der Welt!" sagte der Herzog sehr gütig zu Herrn Sebastian, der mit glänzenden Augen in die Sonne blickte. „Es ist wenig und doch für mich genug gewesen!" erwiderte er mit seiner sanften Stimme, während Herr Josias neben seine Frau trat und sie bei der Hand faßte. „Bei meiner Ehre!" der Herzog dehnte die mächtigen Glieder. „Durch ein Loch in der Mauer darf man nicht immer die Welt betrachten, wer es immer tut, der verliert zu viel!" „Was sollte er verlieren?" Herrn Sebastians Gesicht war sehr still ge¬ worden und seine Augen sehr klar. Niemand antwortete. Herr Josias legte den Arm um Heilwig und durch das Loch in der Mauer schien die untergehende Sonne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/245>, abgerufen am 04.07.2024.