Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.Sie Hexe von Mayen jener für den Verstandesmenschen unserer Tage charakteristischen moralischen In einer solchen Zeit ist es, wie gesagt, doppelt erfreulich, in dem Ent¬ Wenn dieser oder ein ähnlicher Entwurf erst Gesetzeskraft haben wird, Die Hexe von Mayen Roman Charlotte Nies" von (Fünfzehnte Fortsetzung) In der folgenden Nacht schlief Heilwig nicht. Ihr Kindlein atmete ruhiger Nun saß der einstige Stadtschreiber in ihrem Turm und wartete des Wenn Herr Josias hier gewesen wäre, würde sie mit ihm geredet haben; Doch als sie sich gerade ausgestreckt hatte, um noch etwas zu schlafen, Sie Hexe von Mayen jener für den Verstandesmenschen unserer Tage charakteristischen moralischen In einer solchen Zeit ist es, wie gesagt, doppelt erfreulich, in dem Ent¬ Wenn dieser oder ein ähnlicher Entwurf erst Gesetzeskraft haben wird, Die Hexe von Mayen Roman Charlotte Nies« von (Fünfzehnte Fortsetzung) In der folgenden Nacht schlief Heilwig nicht. Ihr Kindlein atmete ruhiger Nun saß der einstige Stadtschreiber in ihrem Turm und wartete des Wenn Herr Josias hier gewesen wäre, würde sie mit ihm geredet haben; Doch als sie sich gerade ausgestreckt hatte, um noch etwas zu schlafen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328240"/> <fw type="header" place="top"> Sie Hexe von Mayen</fw><lb/> <p xml:id="ID_607" prev="#ID_606"> jener für den Verstandesmenschen unserer Tage charakteristischen moralischen<lb/> Knochenerweichung zu spüren, die, sich trotz allem im sicheren Schutze des Staates<lb/> geborgen wissend, ein allzu großes Verständnis für moralische Verirrungen zeigt;<lb/> die den Selbsterhaltungstrieb wohl kennt, wie nur je eine Zeit, sich aber, unauf¬<lb/> richtig gegen sich selber, scheut die Konsequenzen zu ziehen, wo sie das ästhetische<lb/> Gefühl verletzen könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_608"> In einer solchen Zeit ist es, wie gesagt, doppelt erfreulich, in dem Ent¬<lb/> wurf zum neuen Strafgesetzbuch den Schutz der Allgemeinheit wieder auf den<lb/> Platz einrücken zu sehen, der ihm gebührt, hier sogar, ohne daß die Ansprüche<lb/> der Humanität sich zurückgesetzt fühlen könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_609"> Wenn dieser oder ein ähnlicher Entwurf erst Gesetzeskraft haben wird,<lb/> dann wird auch dem ärztlichen Sachverständigen seine schwere Aufgabe erleichtert<lb/> werden. Er wird dann mit freierem Herzen als der ehrliche Anwalt seines<lb/> Delinquenten auftreten können, da er weiß, das heilige Recht der Allgemeinheit<lb/> kann von seinem Votum nicht gefährdet werden, das steht unter dem starken<lb/> Schutze des Staates.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die Hexe von Mayen<lb/> Roman<lb/><note type="byline"> Charlotte Nies«</note> von<lb/> (Fünfzehnte Fortsetzung) </head><lb/> <p xml:id="ID_610"> In der folgenden Nacht schlief Heilwig nicht. Ihr Kindlein atmete ruhiger<lb/> als seit lange; sie aber war unstät, ging von einem Zimmer ins andere und<lb/> dachte an die Zeit, da sie im Turm saß und man sie eine Hexe nannte.</p><lb/> <p xml:id="ID_611"> Nun saß der einstige Stadtschreiber in ihrem Turm und wartete des<lb/> Gerichtes.</p><lb/> <p xml:id="ID_612"> Wenn Herr Josias hier gewesen wäre, würde sie mit ihm geredet haben;<lb/> er aber war fort, wie jetzt so manches Mal. Vielleicht war es auch besser, daß<lb/> sie allein handelte. Hundert Goldtaler hatte sie nicht; aber sie wollte sich den<lb/> Mann noch einmal vorführen lassen und mit ihm reden.</p><lb/> <p xml:id="ID_613" next="#ID_614"> Doch als sie sich gerade ausgestreckt hatte, um noch etwas zu schlafen,<lb/> schrien Hörner auf dem Hof und das Jungvieh im Stall brüllte. Die große<lb/> Scheuer, mit Brotkorn und Stroh gefüllt, stand in Flammen, und die schlaf¬<lb/> trunkenen Knechte versuchten die Kälber und Schweine aus ihren Ställen zu<lb/> ziehen. Wasser gab es nicht allzuviel; was brannte, mußte schon ausbrennen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
Sie Hexe von Mayen
jener für den Verstandesmenschen unserer Tage charakteristischen moralischen
Knochenerweichung zu spüren, die, sich trotz allem im sicheren Schutze des Staates
geborgen wissend, ein allzu großes Verständnis für moralische Verirrungen zeigt;
die den Selbsterhaltungstrieb wohl kennt, wie nur je eine Zeit, sich aber, unauf¬
richtig gegen sich selber, scheut die Konsequenzen zu ziehen, wo sie das ästhetische
Gefühl verletzen könnten.
In einer solchen Zeit ist es, wie gesagt, doppelt erfreulich, in dem Ent¬
wurf zum neuen Strafgesetzbuch den Schutz der Allgemeinheit wieder auf den
Platz einrücken zu sehen, der ihm gebührt, hier sogar, ohne daß die Ansprüche
der Humanität sich zurückgesetzt fühlen könnten.
Wenn dieser oder ein ähnlicher Entwurf erst Gesetzeskraft haben wird,
dann wird auch dem ärztlichen Sachverständigen seine schwere Aufgabe erleichtert
werden. Er wird dann mit freierem Herzen als der ehrliche Anwalt seines
Delinquenten auftreten können, da er weiß, das heilige Recht der Allgemeinheit
kann von seinem Votum nicht gefährdet werden, das steht unter dem starken
Schutze des Staates.
Die Hexe von Mayen
Roman
Charlotte Nies« von
(Fünfzehnte Fortsetzung)
In der folgenden Nacht schlief Heilwig nicht. Ihr Kindlein atmete ruhiger
als seit lange; sie aber war unstät, ging von einem Zimmer ins andere und
dachte an die Zeit, da sie im Turm saß und man sie eine Hexe nannte.
Nun saß der einstige Stadtschreiber in ihrem Turm und wartete des
Gerichtes.
Wenn Herr Josias hier gewesen wäre, würde sie mit ihm geredet haben;
er aber war fort, wie jetzt so manches Mal. Vielleicht war es auch besser, daß
sie allein handelte. Hundert Goldtaler hatte sie nicht; aber sie wollte sich den
Mann noch einmal vorführen lassen und mit ihm reden.
Doch als sie sich gerade ausgestreckt hatte, um noch etwas zu schlafen,
schrien Hörner auf dem Hof und das Jungvieh im Stall brüllte. Die große
Scheuer, mit Brotkorn und Stroh gefüllt, stand in Flammen, und die schlaf¬
trunkenen Knechte versuchten die Kälber und Schweine aus ihren Ställen zu
ziehen. Wasser gab es nicht allzuviel; was brannte, mußte schon ausbrennen,
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