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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Prolegomena zu aller deutschen Weltpolitik

abhängig ist. daß die westeuropäische Kultur gegen Osten durch die Bajonette
und Kanonen des preußischen Heeres geschützt wird.

So gesehen wird die Unnatürlichkeit der heutigen Mächtegruppierung ver¬
ständlich, von hier aus erklärt sich auch, warum England, das sich der deutsch¬
feindlichen Gruppe angeschlossen hat, in seiner praktischen Politik, oft gezwungen
ist, seine Freunde zu zügeln und sich mit Deutschland zu verständigen.

Und endlich; was hätte Rußland von seiner eigenen Größe zu erwarten?
Nichts wahrscheinlicher als den Keim zu seinem endlichen Zerfall. Ein Volk
von der Art und Geschichte des deutschen läßt sich nicht "verdauen". Es reißt
heilten Besieger mit in den Abgrund, und wäre es auch nur durch die Ideen,
die sein Denken in die zusammengerafften Völker des russischen Staates aus¬
strahlen würde.


6.

Nachdem sich uns hieraus ergeben hat, daß das Deutsche Reich durch die
Lage der Dinge zur Friedfertigkeit gezwungen und daß sein Dasein durch das
Dasein der übrigen Staaten erfordert wird, wiederholen wir die Frage, welchen
Sinn eine von dem Staat "Deutsches Reich" betriebene auswärtige Volks¬
politik haben kann.

Sie kann, das ist nun ganz deutlich geworden, nicht auf die Eroberung
deutsch besiedelter Länder ausgehen. Sie kann auch nicht die Herstellung einer
Wirtschaftseinheit als Ziel setzen. Daß das Reich seine Wirtschaftspolitik
treibt, ist selbstverständlich, daß es dabei Anknüpfung und Hilfe bei den Aus¬
landsdeutschen sucht, gleichfalls. Aber deren Wirtschaftsinteressen sind doch
letzten Endes immer an die desjenigen Staates gebunden, der ihnen eine neue
Heimat gab. Deutsche Volkspolitik kann nur ein geistiges Ziel haben. Mit
anderen Worten: sie muß Kulturpolitik sein.

Und gerade dieser Zweck ist es, den unsere politische öffentliche Meinung
noch am wenigsten erfaßt hat. Es gilt, darauf hinzuarbeiten, ein gemein¬
deutsches Bewußtsein aller über die Welt verstreuten Deutschen zu erwecken.
Dieses Bewußtsein wendet sich aber weder politisch noch wirtschaftlich gegen
irgend einen Staat. Man kann treuer Bürger eines jeden Staates sein und
sich doch der besonderen deutschen Geschichte und der eigentümlichen deutschen
Kultur unablöslich verbunden wissen. Deutsche Sprache, Heimatsitte, Kunst,
Wissenschaft soll überall sein, wo Deutsche wohnen, und diese können doch
außer der "alten Heimat" als dem Mutterland dieser Kultur auch dem zur
"neuen Heimat" gewordenen Staat mit jedem Blutstropfen treu sein.

Dem Deutschen Reich aber erwächst aus dieser Anschauung eine praktische
Pflicht: eine solche Kulturpolitik auch wirklich zu betreiben. Das hieße für die Gebiete
der äußeren Politik: es Hütte überall in der Welt für die Erhaltung und das
Gedeihen dieser Volksdeutschen Kultur einzutreten. Wo ein solches Kulturleben
bedroht ist (Böhmen), hätte es seine Macht geltend zu machen. Es sei wieder-


Prolegomena zu aller deutschen Weltpolitik

abhängig ist. daß die westeuropäische Kultur gegen Osten durch die Bajonette
und Kanonen des preußischen Heeres geschützt wird.

So gesehen wird die Unnatürlichkeit der heutigen Mächtegruppierung ver¬
ständlich, von hier aus erklärt sich auch, warum England, das sich der deutsch¬
feindlichen Gruppe angeschlossen hat, in seiner praktischen Politik, oft gezwungen
ist, seine Freunde zu zügeln und sich mit Deutschland zu verständigen.

Und endlich; was hätte Rußland von seiner eigenen Größe zu erwarten?
Nichts wahrscheinlicher als den Keim zu seinem endlichen Zerfall. Ein Volk
von der Art und Geschichte des deutschen läßt sich nicht „verdauen". Es reißt
heilten Besieger mit in den Abgrund, und wäre es auch nur durch die Ideen,
die sein Denken in die zusammengerafften Völker des russischen Staates aus¬
strahlen würde.


6.

Nachdem sich uns hieraus ergeben hat, daß das Deutsche Reich durch die
Lage der Dinge zur Friedfertigkeit gezwungen und daß sein Dasein durch das
Dasein der übrigen Staaten erfordert wird, wiederholen wir die Frage, welchen
Sinn eine von dem Staat „Deutsches Reich" betriebene auswärtige Volks¬
politik haben kann.

Sie kann, das ist nun ganz deutlich geworden, nicht auf die Eroberung
deutsch besiedelter Länder ausgehen. Sie kann auch nicht die Herstellung einer
Wirtschaftseinheit als Ziel setzen. Daß das Reich seine Wirtschaftspolitik
treibt, ist selbstverständlich, daß es dabei Anknüpfung und Hilfe bei den Aus¬
landsdeutschen sucht, gleichfalls. Aber deren Wirtschaftsinteressen sind doch
letzten Endes immer an die desjenigen Staates gebunden, der ihnen eine neue
Heimat gab. Deutsche Volkspolitik kann nur ein geistiges Ziel haben. Mit
anderen Worten: sie muß Kulturpolitik sein.

Und gerade dieser Zweck ist es, den unsere politische öffentliche Meinung
noch am wenigsten erfaßt hat. Es gilt, darauf hinzuarbeiten, ein gemein¬
deutsches Bewußtsein aller über die Welt verstreuten Deutschen zu erwecken.
Dieses Bewußtsein wendet sich aber weder politisch noch wirtschaftlich gegen
irgend einen Staat. Man kann treuer Bürger eines jeden Staates sein und
sich doch der besonderen deutschen Geschichte und der eigentümlichen deutschen
Kultur unablöslich verbunden wissen. Deutsche Sprache, Heimatsitte, Kunst,
Wissenschaft soll überall sein, wo Deutsche wohnen, und diese können doch
außer der „alten Heimat" als dem Mutterland dieser Kultur auch dem zur
„neuen Heimat" gewordenen Staat mit jedem Blutstropfen treu sein.

Dem Deutschen Reich aber erwächst aus dieser Anschauung eine praktische
Pflicht: eine solche Kulturpolitik auch wirklich zu betreiben. Das hieße für die Gebiete
der äußeren Politik: es Hütte überall in der Welt für die Erhaltung und das
Gedeihen dieser Volksdeutschen Kultur einzutreten. Wo ein solches Kulturleben
bedroht ist (Böhmen), hätte es seine Macht geltend zu machen. Es sei wieder-


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[0116] Prolegomena zu aller deutschen Weltpolitik abhängig ist. daß die westeuropäische Kultur gegen Osten durch die Bajonette und Kanonen des preußischen Heeres geschützt wird. So gesehen wird die Unnatürlichkeit der heutigen Mächtegruppierung ver¬ ständlich, von hier aus erklärt sich auch, warum England, das sich der deutsch¬ feindlichen Gruppe angeschlossen hat, in seiner praktischen Politik, oft gezwungen ist, seine Freunde zu zügeln und sich mit Deutschland zu verständigen. Und endlich; was hätte Rußland von seiner eigenen Größe zu erwarten? Nichts wahrscheinlicher als den Keim zu seinem endlichen Zerfall. Ein Volk von der Art und Geschichte des deutschen läßt sich nicht „verdauen". Es reißt heilten Besieger mit in den Abgrund, und wäre es auch nur durch die Ideen, die sein Denken in die zusammengerafften Völker des russischen Staates aus¬ strahlen würde. 6. Nachdem sich uns hieraus ergeben hat, daß das Deutsche Reich durch die Lage der Dinge zur Friedfertigkeit gezwungen und daß sein Dasein durch das Dasein der übrigen Staaten erfordert wird, wiederholen wir die Frage, welchen Sinn eine von dem Staat „Deutsches Reich" betriebene auswärtige Volks¬ politik haben kann. Sie kann, das ist nun ganz deutlich geworden, nicht auf die Eroberung deutsch besiedelter Länder ausgehen. Sie kann auch nicht die Herstellung einer Wirtschaftseinheit als Ziel setzen. Daß das Reich seine Wirtschaftspolitik treibt, ist selbstverständlich, daß es dabei Anknüpfung und Hilfe bei den Aus¬ landsdeutschen sucht, gleichfalls. Aber deren Wirtschaftsinteressen sind doch letzten Endes immer an die desjenigen Staates gebunden, der ihnen eine neue Heimat gab. Deutsche Volkspolitik kann nur ein geistiges Ziel haben. Mit anderen Worten: sie muß Kulturpolitik sein. Und gerade dieser Zweck ist es, den unsere politische öffentliche Meinung noch am wenigsten erfaßt hat. Es gilt, darauf hinzuarbeiten, ein gemein¬ deutsches Bewußtsein aller über die Welt verstreuten Deutschen zu erwecken. Dieses Bewußtsein wendet sich aber weder politisch noch wirtschaftlich gegen irgend einen Staat. Man kann treuer Bürger eines jeden Staates sein und sich doch der besonderen deutschen Geschichte und der eigentümlichen deutschen Kultur unablöslich verbunden wissen. Deutsche Sprache, Heimatsitte, Kunst, Wissenschaft soll überall sein, wo Deutsche wohnen, und diese können doch außer der „alten Heimat" als dem Mutterland dieser Kultur auch dem zur „neuen Heimat" gewordenen Staat mit jedem Blutstropfen treu sein. Dem Deutschen Reich aber erwächst aus dieser Anschauung eine praktische Pflicht: eine solche Kulturpolitik auch wirklich zu betreiben. Das hieße für die Gebiete der äußeren Politik: es Hütte überall in der Welt für die Erhaltung und das Gedeihen dieser Volksdeutschen Kultur einzutreten. Wo ein solches Kulturleben bedroht ist (Böhmen), hätte es seine Macht geltend zu machen. Es sei wieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/116>, abgerufen am 13.11.2024.