Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
prolegomena zu aller deutsche" Weltpolitik

holt: nicht um zu erobern oder wirtschaftliche Vorteile zu erringen, sondern um
den Volksgenossen zu ermöglichen, nach deutscher Sitte und Art zu leben --
nichts mehr, aber auch nichts weniger. Eine solche Politik darf dann freilich
nicht vor dem Begriff der "Einmischung in fremde Staatsangelegenheiten" zu¬
rückschrecken. Das Deutsche Reich, das nicht nur Reichs-, sondern Volkspolitik
treibt, also Kulturpolitik für das ganze deutsche Volk, darf nicht tatenlos zu¬
schauen, wenn etwa in Österreich die Negierung deutsches Volkstum niederhalten
und verdrängen hilft, sondern es muß in der Aufrechnung des gegenseitigen
Verhältnisses gerade diesen Posten geltend machen: Erhaltung des Deutschtums.

Bestimmend ist der Begriff des Volkstums als politischer Begriff bisher
lediglich aus dem Balkan geworden. Die Großmächte kennen in der Politik
nur den Begriff der Staatsangehörigkeit. Aber außer dem Grund der geschicht¬
lichen Gewohnheit gibt es keinen Grund, der verhindern könnte, Volkstums-
interessen ebenso wie wirtschaftliche Interessen in den politischen Verhandlungen
geltend zu machen. Ob man sie freilich einmal als politische anerkennen wird,
kann nur die Zukunft lehren. Die österreichischen Verhältnisse werden wahr¬
scheinlich den Anstoß zu einer Entscheidung geben.

Die Grundlage einer Kulturpolitik kann nur die der Völkerfreiheit sein.
Die Völker erscheinen als Einzelwesen, die, kulturell unbeengt von dem Netz der
Staatenbildung, je nach den innewohnenden Kräften und Fähigkeiten frei ihre
besondere Kultur entwickeln können. Das ist die Forderung Fichtes für sein
eigenes Volk wie für alle Völker. Darin, daß das deutsche Volk sich zum
Träger dieser Idee mache, sah er dessen weltgeschichtlichen Beruf im Kampf
gegen Napoleon. Und sür einen "Völkerfrühling", nicht nur für die Befreiung
ihrer einzelnen Staaten allein zogen vor hundert Jahren die Deutschen in den
Freiheitskrieg.




prolegomena zu aller deutsche» Weltpolitik

holt: nicht um zu erobern oder wirtschaftliche Vorteile zu erringen, sondern um
den Volksgenossen zu ermöglichen, nach deutscher Sitte und Art zu leben —
nichts mehr, aber auch nichts weniger. Eine solche Politik darf dann freilich
nicht vor dem Begriff der „Einmischung in fremde Staatsangelegenheiten" zu¬
rückschrecken. Das Deutsche Reich, das nicht nur Reichs-, sondern Volkspolitik
treibt, also Kulturpolitik für das ganze deutsche Volk, darf nicht tatenlos zu¬
schauen, wenn etwa in Österreich die Negierung deutsches Volkstum niederhalten
und verdrängen hilft, sondern es muß in der Aufrechnung des gegenseitigen
Verhältnisses gerade diesen Posten geltend machen: Erhaltung des Deutschtums.

Bestimmend ist der Begriff des Volkstums als politischer Begriff bisher
lediglich aus dem Balkan geworden. Die Großmächte kennen in der Politik
nur den Begriff der Staatsangehörigkeit. Aber außer dem Grund der geschicht¬
lichen Gewohnheit gibt es keinen Grund, der verhindern könnte, Volkstums-
interessen ebenso wie wirtschaftliche Interessen in den politischen Verhandlungen
geltend zu machen. Ob man sie freilich einmal als politische anerkennen wird,
kann nur die Zukunft lehren. Die österreichischen Verhältnisse werden wahr¬
scheinlich den Anstoß zu einer Entscheidung geben.

Die Grundlage einer Kulturpolitik kann nur die der Völkerfreiheit sein.
Die Völker erscheinen als Einzelwesen, die, kulturell unbeengt von dem Netz der
Staatenbildung, je nach den innewohnenden Kräften und Fähigkeiten frei ihre
besondere Kultur entwickeln können. Das ist die Forderung Fichtes für sein
eigenes Volk wie für alle Völker. Darin, daß das deutsche Volk sich zum
Träger dieser Idee mache, sah er dessen weltgeschichtlichen Beruf im Kampf
gegen Napoleon. Und sür einen „Völkerfrühling", nicht nur für die Befreiung
ihrer einzelnen Staaten allein zogen vor hundert Jahren die Deutschen in den
Freiheitskrieg.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328217"/>
            <fw type="header" place="top"> prolegomena zu aller deutsche» Weltpolitik</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_502" prev="#ID_501"> holt: nicht um zu erobern oder wirtschaftliche Vorteile zu erringen, sondern um<lb/>
den Volksgenossen zu ermöglichen, nach deutscher Sitte und Art zu leben &#x2014;<lb/>
nichts mehr, aber auch nichts weniger. Eine solche Politik darf dann freilich<lb/>
nicht vor dem Begriff der &#x201E;Einmischung in fremde Staatsangelegenheiten" zu¬<lb/>
rückschrecken. Das Deutsche Reich, das nicht nur Reichs-, sondern Volkspolitik<lb/>
treibt, also Kulturpolitik für das ganze deutsche Volk, darf nicht tatenlos zu¬<lb/>
schauen, wenn etwa in Österreich die Negierung deutsches Volkstum niederhalten<lb/>
und verdrängen hilft, sondern es muß in der Aufrechnung des gegenseitigen<lb/>
Verhältnisses gerade diesen Posten geltend machen: Erhaltung des Deutschtums.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_503"> Bestimmend ist der Begriff des Volkstums als politischer Begriff bisher<lb/>
lediglich aus dem Balkan geworden. Die Großmächte kennen in der Politik<lb/>
nur den Begriff der Staatsangehörigkeit. Aber außer dem Grund der geschicht¬<lb/>
lichen Gewohnheit gibt es keinen Grund, der verhindern könnte, Volkstums-<lb/>
interessen ebenso wie wirtschaftliche Interessen in den politischen Verhandlungen<lb/>
geltend zu machen. Ob man sie freilich einmal als politische anerkennen wird,<lb/>
kann nur die Zukunft lehren. Die österreichischen Verhältnisse werden wahr¬<lb/>
scheinlich den Anstoß zu einer Entscheidung geben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_504"> Die Grundlage einer Kulturpolitik kann nur die der Völkerfreiheit sein.<lb/>
Die Völker erscheinen als Einzelwesen, die, kulturell unbeengt von dem Netz der<lb/>
Staatenbildung, je nach den innewohnenden Kräften und Fähigkeiten frei ihre<lb/>
besondere Kultur entwickeln können. Das ist die Forderung Fichtes für sein<lb/>
eigenes Volk wie für alle Völker. Darin, daß das deutsche Volk sich zum<lb/>
Träger dieser Idee mache, sah er dessen weltgeschichtlichen Beruf im Kampf<lb/>
gegen Napoleon. Und sür einen &#x201E;Völkerfrühling", nicht nur für die Befreiung<lb/>
ihrer einzelnen Staaten allein zogen vor hundert Jahren die Deutschen in den<lb/>
Freiheitskrieg.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] prolegomena zu aller deutsche» Weltpolitik holt: nicht um zu erobern oder wirtschaftliche Vorteile zu erringen, sondern um den Volksgenossen zu ermöglichen, nach deutscher Sitte und Art zu leben — nichts mehr, aber auch nichts weniger. Eine solche Politik darf dann freilich nicht vor dem Begriff der „Einmischung in fremde Staatsangelegenheiten" zu¬ rückschrecken. Das Deutsche Reich, das nicht nur Reichs-, sondern Volkspolitik treibt, also Kulturpolitik für das ganze deutsche Volk, darf nicht tatenlos zu¬ schauen, wenn etwa in Österreich die Negierung deutsches Volkstum niederhalten und verdrängen hilft, sondern es muß in der Aufrechnung des gegenseitigen Verhältnisses gerade diesen Posten geltend machen: Erhaltung des Deutschtums. Bestimmend ist der Begriff des Volkstums als politischer Begriff bisher lediglich aus dem Balkan geworden. Die Großmächte kennen in der Politik nur den Begriff der Staatsangehörigkeit. Aber außer dem Grund der geschicht¬ lichen Gewohnheit gibt es keinen Grund, der verhindern könnte, Volkstums- interessen ebenso wie wirtschaftliche Interessen in den politischen Verhandlungen geltend zu machen. Ob man sie freilich einmal als politische anerkennen wird, kann nur die Zukunft lehren. Die österreichischen Verhältnisse werden wahr¬ scheinlich den Anstoß zu einer Entscheidung geben. Die Grundlage einer Kulturpolitik kann nur die der Völkerfreiheit sein. Die Völker erscheinen als Einzelwesen, die, kulturell unbeengt von dem Netz der Staatenbildung, je nach den innewohnenden Kräften und Fähigkeiten frei ihre besondere Kultur entwickeln können. Das ist die Forderung Fichtes für sein eigenes Volk wie für alle Völker. Darin, daß das deutsche Volk sich zum Träger dieser Idee mache, sah er dessen weltgeschichtlichen Beruf im Kampf gegen Napoleon. Und sür einen „Völkerfrühling", nicht nur für die Befreiung ihrer einzelnen Staaten allein zogen vor hundert Jahren die Deutschen in den Freiheitskrieg.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/117>, abgerufen am 22.06.2024.