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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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prolcgomena zu aller deutschen Mellpolitik

eine politische Schwächung Deutschlands der Einfluß des Zaren bei uns ma߬
gebend würde -- was wären die Folgen sür Westeuropa?

Frankreich ist heute in allen größeren Angelegenheiten der Weltpolitik von
Rußland abhängig. Es horcht oft genug, ehe es handelt, auf die Meinungen
der russischen Regierung, und wird es einmal durch den Zwang der Dinge in
Gegensatz zu ihr gebracht, so muß es den Ausgleich dieses Gegensatzes unter
Opfern erstreben: es opfert dem Haß gegen Deutschland seine weltpolitische
Bewegungsfreiheit. Die tönenden Worte der französischen Staatsmänner und
Schriftsteller über die "Erfolge" ihrer Politik nimmt man gelassen lächelnd als
Notwendigkeiten des französischen Gemütsbedürfnisses hin. Man denke sich die
französische Diplomatie aus der Politik nach 1870 weg, die Grundzüge unseres
europäischen Staatensystems würden in ihrem Wesen überraschend wenig davon
berührt. Aber Frankreich ist ein freiwilliger Vasall. Nach einer Niederwerfung
des Deutschen Reiches jedoch würde es zur Abhängigkeit von Rußland ge¬
zwungen. Jedem Staatengebilde wird durch seine Entstehung und Geschichte
ein bestimmter Weg vorgeschrieben, dem russischen Staat der Weg endloser,
sinnloser Eroberung. Denn er ist ja nicht der Staatskörper eines bestimmten
Volkes, auch nicht die Verkörperung einer Idee, sondern lediglich eine Macht¬
anhäufung des Zarentums. Welch einen anderen Sinn hat die russische Politik
durch die Jahrhunderte hindurch als allein den der Eroberung? Man hat ihr
teils einen religiösen Sinn, die Ausbreitung der orthodoxen Kirche, teils einen
völkischen, den Panslawismus, unterlegen wollen -- beides ohne zureichenden
Grund. Das auf die Gewaltherrschaft gestellte russische Reich drängt wie einst
andere asiatische Staatengebilde, gezwungen durch seine natürliche Art, zu fort¬
gesetzter, zweckloser Ausdehnung. Rauschte dieses Imperium über Deutschland
und Skandinavien hinweg, so würde es alsbald an Frankreich stoßen, um
endlich zugleich an den Küsten der Nordsee und an den Ufern des Indus auf
das britische Weltreich zu stoßen. Damit wäre Großbritannien vor seine
Daseinsfrage gestellt. Es stände nun einem Rußland gegenüber, das die ge¬
waltigen Hilfsquellen des westeuropäischen Festlandes für seine Zwecke aus-
nutzen könnte. Dann könnte sich die Herrschaft über Asien entscheiden. Der
napoleonische Versuch, Europa von Westen nach Osten aufzurollen, um England
niederzuringen, scheiterte. Die Lawine, die von Osten käme, könnte wohl leichter
den Kanal überspringen.

Daraus folgt, daß das Dasein der westeuropäischen Staaten ganz
unmittelbar vom Bestand des Deutschen Reiches abhängig ist. Und damit ist
das Urteil über jede grundsätzliche Gegnerschaft gegen Deutschland in England
und Frankreich gesprochen. Mögen viele Franzosen ihren Nationalhaß lieb¬
gewonnen haben, mögen viele Engländer über den wirtschaftlichen Wettbewerb
Deutschlands verstimmt sein -- eine nicht nur durch den nächsten Augenblick
und durch geringwertige Einzelvorteile bestimmte Staatskunst beider Länder darf
nicht aus dem Auge verlieren, daß die eigene Stärke von der deutschen Stärke


prolcgomena zu aller deutschen Mellpolitik

eine politische Schwächung Deutschlands der Einfluß des Zaren bei uns ma߬
gebend würde — was wären die Folgen sür Westeuropa?

Frankreich ist heute in allen größeren Angelegenheiten der Weltpolitik von
Rußland abhängig. Es horcht oft genug, ehe es handelt, auf die Meinungen
der russischen Regierung, und wird es einmal durch den Zwang der Dinge in
Gegensatz zu ihr gebracht, so muß es den Ausgleich dieses Gegensatzes unter
Opfern erstreben: es opfert dem Haß gegen Deutschland seine weltpolitische
Bewegungsfreiheit. Die tönenden Worte der französischen Staatsmänner und
Schriftsteller über die „Erfolge" ihrer Politik nimmt man gelassen lächelnd als
Notwendigkeiten des französischen Gemütsbedürfnisses hin. Man denke sich die
französische Diplomatie aus der Politik nach 1870 weg, die Grundzüge unseres
europäischen Staatensystems würden in ihrem Wesen überraschend wenig davon
berührt. Aber Frankreich ist ein freiwilliger Vasall. Nach einer Niederwerfung
des Deutschen Reiches jedoch würde es zur Abhängigkeit von Rußland ge¬
zwungen. Jedem Staatengebilde wird durch seine Entstehung und Geschichte
ein bestimmter Weg vorgeschrieben, dem russischen Staat der Weg endloser,
sinnloser Eroberung. Denn er ist ja nicht der Staatskörper eines bestimmten
Volkes, auch nicht die Verkörperung einer Idee, sondern lediglich eine Macht¬
anhäufung des Zarentums. Welch einen anderen Sinn hat die russische Politik
durch die Jahrhunderte hindurch als allein den der Eroberung? Man hat ihr
teils einen religiösen Sinn, die Ausbreitung der orthodoxen Kirche, teils einen
völkischen, den Panslawismus, unterlegen wollen — beides ohne zureichenden
Grund. Das auf die Gewaltherrschaft gestellte russische Reich drängt wie einst
andere asiatische Staatengebilde, gezwungen durch seine natürliche Art, zu fort¬
gesetzter, zweckloser Ausdehnung. Rauschte dieses Imperium über Deutschland
und Skandinavien hinweg, so würde es alsbald an Frankreich stoßen, um
endlich zugleich an den Küsten der Nordsee und an den Ufern des Indus auf
das britische Weltreich zu stoßen. Damit wäre Großbritannien vor seine
Daseinsfrage gestellt. Es stände nun einem Rußland gegenüber, das die ge¬
waltigen Hilfsquellen des westeuropäischen Festlandes für seine Zwecke aus-
nutzen könnte. Dann könnte sich die Herrschaft über Asien entscheiden. Der
napoleonische Versuch, Europa von Westen nach Osten aufzurollen, um England
niederzuringen, scheiterte. Die Lawine, die von Osten käme, könnte wohl leichter
den Kanal überspringen.

Daraus folgt, daß das Dasein der westeuropäischen Staaten ganz
unmittelbar vom Bestand des Deutschen Reiches abhängig ist. Und damit ist
das Urteil über jede grundsätzliche Gegnerschaft gegen Deutschland in England
und Frankreich gesprochen. Mögen viele Franzosen ihren Nationalhaß lieb¬
gewonnen haben, mögen viele Engländer über den wirtschaftlichen Wettbewerb
Deutschlands verstimmt sein — eine nicht nur durch den nächsten Augenblick
und durch geringwertige Einzelvorteile bestimmte Staatskunst beider Länder darf
nicht aus dem Auge verlieren, daß die eigene Stärke von der deutschen Stärke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/115>, abgerufen am 25.07.2024.