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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Deutschschrist-Bewegung durch die päda¬
gogische und die schriftstellerische Leistung
Kuhlmanns erfahren muß. Glaubt man,
daß eine Jugend sich die deutsche Schrift wird
jemals rauben lassen, die ihre Entwicklung
im Unterricht miterlebt, ihren Formenreichtum
und ihre ornamentale Kraft mit Überraschung
und Freude kennen gelernt, die die deutsche
Schrift als ein Besitztum von so hohem künst¬
lerischem Wert schätzen gelernt hat? Wenn
Kuhlmann für seine Arbeit recht viele Mit¬
arbeiter und Nachfolger findet, so ist nicht zu
befürchten, daß die Erlernung der deutschen
Schrift in der Schule für die Jugend eine
unnütze Mehrbelastung bedeutet, sondern sie
wird stets einen Faktor bilden, der mitwirkt
an der nationalen und künstlerischen Erziehung
d Dr. N?. Warstat er Jugend.

schöne Literatur

Ricarda Huch: Der große Krieg in
Deutschland. Drei Bände. Leipzig, Insel-
Verlag.

Dieses Buch mußte Wohl kommen. Blieben
heute die Hälfte der Dramen, die erscheinen,
bliebe schließlich ein noch höherer Prozentsatz
der Romane eines Jahres ungeschrieben, kein
Mensch empfände die Lücke. Bei diesem Buch
ist es anders. Es rührt an eine alte, noch
lange nicht geheilte und vielleicht nie heilende
Wunde. Ein Deutschland, das inmitten seiner
beginnenden Weltpolitik, inmitten seiner kul¬
turellen Unfertigkeit es schmerzlicher denn je
empfindet, daß es Politisch, biologisch und
kulturell kein einheitlicher Stamm ist, denkt
schmerzlicher als andere Völker an die Schick¬
salsstunde, in der ihm das alles verloren
ging. Und wer heute Augen hat zu sehen,
übersteht nicht, wie sehr manche Begriffsver¬
wirrung unseres politischen und kulturellen
Lebens immer wieder auf den Kampf hin¬
weist, der Deutschland die Bluteinheit kostete.

Das Buch eben dieses Krieges fehlte uns
gerade in unserer Zeit, in der wir seine
Folgen zum ersten Male ganz spüren. Schiller
kann hier nicht genannt werden. Sein Werk
erwuchs nicht aus diesem schmerzlichen Ver¬
missen, weil seine Tage schließlich nicht das
Rassenproblem, das ja erst mit Napoleon die
Psychologie der Geschichte zu lenken beginnt,
kannten. Schiller schrieb eine Geschichte des

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großen Krieges, nicht eine Geschichte des
großen Zusammenbruches. Im übrigen hat
sein Werk eins mit dem der Ricarda Huch
gemein. Beiden gelang es zwischen den
Inseln festen historischen Bodens durch die
Phantasie verbindende Brücken zu schlagen.
Was Schiller damit geschaffen, hat der Histo¬
riker ja längst entschieden. Hier waren andere
Aufgaben zu lösen als wissenschaftliche. Hier
war die Legende, das Epos, der Roman des
Krieges zu schaffen. Ich weiß nicht, wieviel
historisches Material der Dichterin zur Ver¬
fügung gestanden hat, wie reich ihr das Ma¬
terial aus Familien- und Staatsarchiven,
aus Briefen und Chroniken geflossen ist.
Jedenfalls ist die Fülle der Einzelheiten, die
von dem Leben der Großen der Zeit, der
Wallenstein, Tilly, Gustav Adolph, Kepler,
Schütz erzählen, so überwältigend, daß der
Romantikerin gelingt, was in diesen? Zu¬
sammenhang vielleicht nur ihr gelingen
konnte: diese Gestalten, die uns ja heute, der
geschichtlichen Forschung zum Trotz, halb im
Dunkel der Legende verhüllt sind, diese Ge¬
stalten erwachen zu einem Leben, daS schlie߬
lich etwas direkt Gespenstisches, Unheimliches
hat. Denn eben der Romantikerin war es
vorbehalten, die scheinbare Belanglosigkeit in
diesen Leben zu jenem feinen Gewebe zu
verknüpfen, das wir als Fatum geheimnis¬
voll jeden Großen der Geschichte umgeben
sehen. Bei Wallenstein lag das natürlich am
nächsten. Gelungen ist es ihr aber bei allen.
Ist es nun Geschichtsbuch, eine Sagensamm¬
lung, ein Roman des Krieges? Vielleicht ist
es der Roman des Krieges. Und vielleicht
ermißt Deutschlands Öffentlichkeit, die sich
gerade in diesen Monaten durch den ge¬
schwätzigen Kitsch des Bloemschen Gußeisen¬
jahres zu einem neuen Rummel hat verleiten
lassen, vielleicht ermißt man an diesen: Mo¬
numentalbau, was es heißt, der großen
Weltwende eines Volkes das Lied zu singen.

Es bleibt eine Einschränkung: der dritte
Band, der erst vor wenigen Monaten den
beiden ersten gefolgt ist, hat mich ein wenig
enttäuscht. Zugegeben: die großen Figuren
verschwinden mit Wallensteins Tod vom Brett.
Und was bleibt, ist Kleinvolk, das nicht mehr
zu rechtem Leben zu erwecken ist, wie es vor
dreihundert Jahren selbst nicht die Kraft besaß,
jene großen Probleme zu lösen, die Gustav

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Deutschschrist-Bewegung durch die päda¬
gogische und die schriftstellerische Leistung
Kuhlmanns erfahren muß. Glaubt man,
daß eine Jugend sich die deutsche Schrift wird
jemals rauben lassen, die ihre Entwicklung
im Unterricht miterlebt, ihren Formenreichtum
und ihre ornamentale Kraft mit Überraschung
und Freude kennen gelernt, die die deutsche
Schrift als ein Besitztum von so hohem künst¬
lerischem Wert schätzen gelernt hat? Wenn
Kuhlmann für seine Arbeit recht viele Mit¬
arbeiter und Nachfolger findet, so ist nicht zu
befürchten, daß die Erlernung der deutschen
Schrift in der Schule für die Jugend eine
unnütze Mehrbelastung bedeutet, sondern sie
wird stets einen Faktor bilden, der mitwirkt
an der nationalen und künstlerischen Erziehung
d Dr. N?. Warstat er Jugend.

schöne Literatur

Ricarda Huch: Der große Krieg in
Deutschland. Drei Bände. Leipzig, Insel-
Verlag.

Dieses Buch mußte Wohl kommen. Blieben
heute die Hälfte der Dramen, die erscheinen,
bliebe schließlich ein noch höherer Prozentsatz
der Romane eines Jahres ungeschrieben, kein
Mensch empfände die Lücke. Bei diesem Buch
ist es anders. Es rührt an eine alte, noch
lange nicht geheilte und vielleicht nie heilende
Wunde. Ein Deutschland, das inmitten seiner
beginnenden Weltpolitik, inmitten seiner kul¬
turellen Unfertigkeit es schmerzlicher denn je
empfindet, daß es Politisch, biologisch und
kulturell kein einheitlicher Stamm ist, denkt
schmerzlicher als andere Völker an die Schick¬
salsstunde, in der ihm das alles verloren
ging. Und wer heute Augen hat zu sehen,
übersteht nicht, wie sehr manche Begriffsver¬
wirrung unseres politischen und kulturellen
Lebens immer wieder auf den Kampf hin¬
weist, der Deutschland die Bluteinheit kostete.

Das Buch eben dieses Krieges fehlte uns
gerade in unserer Zeit, in der wir seine
Folgen zum ersten Male ganz spüren. Schiller
kann hier nicht genannt werden. Sein Werk
erwuchs nicht aus diesem schmerzlichen Ver¬
missen, weil seine Tage schließlich nicht das
Rassenproblem, das ja erst mit Napoleon die
Psychologie der Geschichte zu lenken beginnt,
kannten. Schiller schrieb eine Geschichte des

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großen Krieges, nicht eine Geschichte des
großen Zusammenbruches. Im übrigen hat
sein Werk eins mit dem der Ricarda Huch
gemein. Beiden gelang es zwischen den
Inseln festen historischen Bodens durch die
Phantasie verbindende Brücken zu schlagen.
Was Schiller damit geschaffen, hat der Histo¬
riker ja längst entschieden. Hier waren andere
Aufgaben zu lösen als wissenschaftliche. Hier
war die Legende, das Epos, der Roman des
Krieges zu schaffen. Ich weiß nicht, wieviel
historisches Material der Dichterin zur Ver¬
fügung gestanden hat, wie reich ihr das Ma¬
terial aus Familien- und Staatsarchiven,
aus Briefen und Chroniken geflossen ist.
Jedenfalls ist die Fülle der Einzelheiten, die
von dem Leben der Großen der Zeit, der
Wallenstein, Tilly, Gustav Adolph, Kepler,
Schütz erzählen, so überwältigend, daß der
Romantikerin gelingt, was in diesen? Zu¬
sammenhang vielleicht nur ihr gelingen
konnte: diese Gestalten, die uns ja heute, der
geschichtlichen Forschung zum Trotz, halb im
Dunkel der Legende verhüllt sind, diese Ge¬
stalten erwachen zu einem Leben, daS schlie߬
lich etwas direkt Gespenstisches, Unheimliches
hat. Denn eben der Romantikerin war es
vorbehalten, die scheinbare Belanglosigkeit in
diesen Leben zu jenem feinen Gewebe zu
verknüpfen, das wir als Fatum geheimnis¬
voll jeden Großen der Geschichte umgeben
sehen. Bei Wallenstein lag das natürlich am
nächsten. Gelungen ist es ihr aber bei allen.
Ist es nun Geschichtsbuch, eine Sagensamm¬
lung, ein Roman des Krieges? Vielleicht ist
es der Roman des Krieges. Und vielleicht
ermißt Deutschlands Öffentlichkeit, die sich
gerade in diesen Monaten durch den ge¬
schwätzigen Kitsch des Bloemschen Gußeisen¬
jahres zu einem neuen Rummel hat verleiten
lassen, vielleicht ermißt man an diesen: Mo¬
numentalbau, was es heißt, der großen
Weltwende eines Volkes das Lied zu singen.

Es bleibt eine Einschränkung: der dritte
Band, der erst vor wenigen Monaten den
beiden ersten gefolgt ist, hat mich ein wenig
enttäuscht. Zugegeben: die großen Figuren
verschwinden mit Wallensteins Tod vom Brett.
Und was bleibt, ist Kleinvolk, das nicht mehr
zu rechtem Leben zu erwecken ist, wie es vor
dreihundert Jahren selbst nicht die Kraft besaß,
jene großen Probleme zu lösen, die Gustav

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[0107] 95 Deutschschrist-Bewegung durch die päda¬ gogische und die schriftstellerische Leistung Kuhlmanns erfahren muß. Glaubt man, daß eine Jugend sich die deutsche Schrift wird jemals rauben lassen, die ihre Entwicklung im Unterricht miterlebt, ihren Formenreichtum und ihre ornamentale Kraft mit Überraschung und Freude kennen gelernt, die die deutsche Schrift als ein Besitztum von so hohem künst¬ lerischem Wert schätzen gelernt hat? Wenn Kuhlmann für seine Arbeit recht viele Mit¬ arbeiter und Nachfolger findet, so ist nicht zu befürchten, daß die Erlernung der deutschen Schrift in der Schule für die Jugend eine unnütze Mehrbelastung bedeutet, sondern sie wird stets einen Faktor bilden, der mitwirkt an der nationalen und künstlerischen Erziehung d Dr. N?. Warstat er Jugend. schöne Literatur Ricarda Huch: Der große Krieg in Deutschland. Drei Bände. Leipzig, Insel- Verlag. Dieses Buch mußte Wohl kommen. Blieben heute die Hälfte der Dramen, die erscheinen, bliebe schließlich ein noch höherer Prozentsatz der Romane eines Jahres ungeschrieben, kein Mensch empfände die Lücke. Bei diesem Buch ist es anders. Es rührt an eine alte, noch lange nicht geheilte und vielleicht nie heilende Wunde. Ein Deutschland, das inmitten seiner beginnenden Weltpolitik, inmitten seiner kul¬ turellen Unfertigkeit es schmerzlicher denn je empfindet, daß es Politisch, biologisch und kulturell kein einheitlicher Stamm ist, denkt schmerzlicher als andere Völker an die Schick¬ salsstunde, in der ihm das alles verloren ging. Und wer heute Augen hat zu sehen, übersteht nicht, wie sehr manche Begriffsver¬ wirrung unseres politischen und kulturellen Lebens immer wieder auf den Kampf hin¬ weist, der Deutschland die Bluteinheit kostete. Das Buch eben dieses Krieges fehlte uns gerade in unserer Zeit, in der wir seine Folgen zum ersten Male ganz spüren. Schiller kann hier nicht genannt werden. Sein Werk erwuchs nicht aus diesem schmerzlichen Ver¬ missen, weil seine Tage schließlich nicht das Rassenproblem, das ja erst mit Napoleon die Psychologie der Geschichte zu lenken beginnt, kannten. Schiller schrieb eine Geschichte des großen Krieges, nicht eine Geschichte des großen Zusammenbruches. Im übrigen hat sein Werk eins mit dem der Ricarda Huch gemein. Beiden gelang es zwischen den Inseln festen historischen Bodens durch die Phantasie verbindende Brücken zu schlagen. Was Schiller damit geschaffen, hat der Histo¬ riker ja längst entschieden. Hier waren andere Aufgaben zu lösen als wissenschaftliche. Hier war die Legende, das Epos, der Roman des Krieges zu schaffen. Ich weiß nicht, wieviel historisches Material der Dichterin zur Ver¬ fügung gestanden hat, wie reich ihr das Ma¬ terial aus Familien- und Staatsarchiven, aus Briefen und Chroniken geflossen ist. Jedenfalls ist die Fülle der Einzelheiten, die von dem Leben der Großen der Zeit, der Wallenstein, Tilly, Gustav Adolph, Kepler, Schütz erzählen, so überwältigend, daß der Romantikerin gelingt, was in diesen? Zu¬ sammenhang vielleicht nur ihr gelingen konnte: diese Gestalten, die uns ja heute, der geschichtlichen Forschung zum Trotz, halb im Dunkel der Legende verhüllt sind, diese Ge¬ stalten erwachen zu einem Leben, daS schlie߬ lich etwas direkt Gespenstisches, Unheimliches hat. Denn eben der Romantikerin war es vorbehalten, die scheinbare Belanglosigkeit in diesen Leben zu jenem feinen Gewebe zu verknüpfen, das wir als Fatum geheimnis¬ voll jeden Großen der Geschichte umgeben sehen. Bei Wallenstein lag das natürlich am nächsten. Gelungen ist es ihr aber bei allen. Ist es nun Geschichtsbuch, eine Sagensamm¬ lung, ein Roman des Krieges? Vielleicht ist es der Roman des Krieges. Und vielleicht ermißt Deutschlands Öffentlichkeit, die sich gerade in diesen Monaten durch den ge¬ schwätzigen Kitsch des Bloemschen Gußeisen¬ jahres zu einem neuen Rummel hat verleiten lassen, vielleicht ermißt man an diesen: Mo¬ numentalbau, was es heißt, der großen Weltwende eines Volkes das Lied zu singen. Es bleibt eine Einschränkung: der dritte Band, der erst vor wenigen Monaten den beiden ersten gefolgt ist, hat mich ein wenig enttäuscht. Zugegeben: die großen Figuren verschwinden mit Wallensteins Tod vom Brett. Und was bleibt, ist Kleinvolk, das nicht mehr zu rechtem Leben zu erwecken ist, wie es vor dreihundert Jahren selbst nicht die Kraft besaß, jene großen Probleme zu lösen, die Gustav

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/107>, abgerufen am 13.11.2024.