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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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reinen Rützlichkeitsstcmdpunkt wünschenswert
wäre, zumal die deutsche Jugend durch die
Erlernung zweier Schriften im Gegensatz zu
der Jugend anderer Nationalitäten unnütz
belastet werde. Ferner wurde gelegentlich
die Behauptung aufgestellt und sogar mit
Gutachten belegt, daß die deutsche Schrift
weniger leicht lesbar als die lateinische,
also hygienisch nicht einwandfrei sei.

Gegen diesen letzten Einwand wendet sich
der "Schriftbund deutscher Hochschullehrer",
und ihm hat sich der "Schriftbund deutscher
Oberlehrer" gleichstrebend an die Seite ge¬
stellt (Geschäftsstelle Mona, Arnoldstr. 5II),
in einer Erklärung, in der er auf die expe-
rimentalpsychologischen und physiologischen
Untersuchungen von Dr. Alex Schackwitz hin¬
weist, die ergeben haben, daß die deutsche
Schrift infolge ihrer charakteristischen Einzel¬
buchstaben und ihrer ausgeprägten, "bild¬
haften" Wortbilder leichter lesbar und
augenschonender ist als die Lateinschrift. Eine
gewöhnliche Buchzeile wird in deutscher Schrift
durchschnittlich mit fünf Augenbewegungen, in
Lateinschrift mit sieben Augenbewegungen be¬
wältigt. Vom augenhygienischen Standpunkt
ist daher die Fraktur vorzuziehen, was na¬
mentlich für den Druck der Schul- und Jugend¬
bücher zu beachten ist.

Auch jenen utilitaristischen Einwand, der
in der deutschen Schrift ein Hindernis für
eine Verbreitung des Deutschtums in der
Welt sieht, widerlegt der Schriftbund durch
Äußerungen maßgebender Auslandsdeutscher,
die aus der Verwendung der deutschen Schri.se
eine Verstärkung der Stoßkraft deutscher
Literatur im Auslands erwachsen sehen, zu¬
mal die Fraktur von fremden Nationen nicht
nur sehr Wohl gekannt und verstanden, sondern
sogar selbst verwendet wird, im wesentlichen
da, wo es sich um die Hervorhebung einzelner
Druckteile, z. B. von Zeitungsköpfcn, handelt.

Es bleibt noch der dritte Einwand von
der unnützen Belastung der Jugend durch das
Erlernen eines zweiten Schriftsystems. Diese
Belastung erscheint nicht als allzu erheblich,
wenn es gelingt, sie durch die Ausbildung des
Formensinns, der ornamentalen Anschauungs¬
fähigkeit an der Hand unserer deutschen
Schrift Pädagogisch fruchtbar zu machen.

Diesem Ziele strebt ein Werk zu, das in
seiner Art vorbildlich genannt werden kann:

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mit vielen, zum
Teil farbigen Schülerarbeiten. (Verlag von
Dürr in Leipzig.) Der Verfasser steht zunächst
auch auf dem Standpunkt, daß die Fraktur
die "deutschere" Schrift sei, und beruft sich
auf Goethes Ausspruch: "Die deutsche Schrift
ist in ihreni Schmucke den gotischen Bauten
vergleichbar, die den Blick zur Höhe ziehen
und uns mit Staunen und Bewunderung er¬
füllen. Gotischer Stil der Baukunst und die
Gestalt unserer Buchstaben sind als gleiche
Offenbarung deutschen Gemütes zu achten."
Aber als Pädagoge bemüht er sich, die
Jugend den Werdegang unserer deutschen
Schrift miterleben zu lassen. Er läßt jeden
Schüler mit seiner eigenen Schrift den Weg
von der Antiqua über die Unziale zur
gotischen Schrift und Fraktur durchmachen,
indem er ihm auch jeweilig diejenigen Schreib¬
gerätschaften (Griffel bzw. Stift, Quellstift,
Feder) in die Hand gibt, durch deren Eigen¬
art die Form der Schrift mit bestimmt
wird.

"Die Kunst der Feder. Dekorative Schrift
und Fedcrorunmcnt in der Schule", von
Professor Fritz Kuhlnmn",

Auf diesem Wege erhält natürlich der
Schüler tiefe Einblicke in die Geschichte, das
Wesen und die Gesetze der Schrift im all¬
gemeinen und der deutschen Schrift im be¬
sonderen. Ein wesentlicher schriftpädagogischer
Gewinn besteht dabei darin, daß der Schüler
auf diese Art ganz von selber dazu gelangt,
aus seiner gewöhnlichen Verkehrs- und
Duktusschrift sich eine persönliche dekorative
Schrift zu entwickeln. Damit wird er zu
einer ideell und praktisch nicht gering einzu¬
schätzenden künstlerischen Leistung geführt.
Kuhlmann vervollständigt dann die Unter¬
weisung in der "Kunst der Feder" noch
dadurch, daß er die Schüler die ornamentalen
Gesetze für die Anordnung der Schrift auf
der Fläche, in der Zeile und auf der Seite
finden läßt und sie dann weiterführt zum
Federornament. Darauf wollen wir in diesem
Zusammenhange nur hinweisen, ebenso wie
auf die Tatsache, daß das Buch selbst, in
Kochscher Fraktur gedruckt, ein vortreff¬
liches Beispiel für dekorative Schriftanord¬
nung und geschmackvolle Ausstattung ist.

Das, worauf es uns in diesem Zusammen¬
hange ankommt und was wir freudig an¬
erkennen wollen, ist die Förderung, die die

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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reinen Rützlichkeitsstcmdpunkt wünschenswert
wäre, zumal die deutsche Jugend durch die
Erlernung zweier Schriften im Gegensatz zu
der Jugend anderer Nationalitäten unnütz
belastet werde. Ferner wurde gelegentlich
die Behauptung aufgestellt und sogar mit
Gutachten belegt, daß die deutsche Schrift
weniger leicht lesbar als die lateinische,
also hygienisch nicht einwandfrei sei.

Gegen diesen letzten Einwand wendet sich
der „Schriftbund deutscher Hochschullehrer",
und ihm hat sich der „Schriftbund deutscher
Oberlehrer" gleichstrebend an die Seite ge¬
stellt (Geschäftsstelle Mona, Arnoldstr. 5II),
in einer Erklärung, in der er auf die expe-
rimentalpsychologischen und physiologischen
Untersuchungen von Dr. Alex Schackwitz hin¬
weist, die ergeben haben, daß die deutsche
Schrift infolge ihrer charakteristischen Einzel¬
buchstaben und ihrer ausgeprägten, „bild¬
haften" Wortbilder leichter lesbar und
augenschonender ist als die Lateinschrift. Eine
gewöhnliche Buchzeile wird in deutscher Schrift
durchschnittlich mit fünf Augenbewegungen, in
Lateinschrift mit sieben Augenbewegungen be¬
wältigt. Vom augenhygienischen Standpunkt
ist daher die Fraktur vorzuziehen, was na¬
mentlich für den Druck der Schul- und Jugend¬
bücher zu beachten ist.

Auch jenen utilitaristischen Einwand, der
in der deutschen Schrift ein Hindernis für
eine Verbreitung des Deutschtums in der
Welt sieht, widerlegt der Schriftbund durch
Äußerungen maßgebender Auslandsdeutscher,
die aus der Verwendung der deutschen Schri.se
eine Verstärkung der Stoßkraft deutscher
Literatur im Auslands erwachsen sehen, zu¬
mal die Fraktur von fremden Nationen nicht
nur sehr Wohl gekannt und verstanden, sondern
sogar selbst verwendet wird, im wesentlichen
da, wo es sich um die Hervorhebung einzelner
Druckteile, z. B. von Zeitungsköpfcn, handelt.

Es bleibt noch der dritte Einwand von
der unnützen Belastung der Jugend durch das
Erlernen eines zweiten Schriftsystems. Diese
Belastung erscheint nicht als allzu erheblich,
wenn es gelingt, sie durch die Ausbildung des
Formensinns, der ornamentalen Anschauungs¬
fähigkeit an der Hand unserer deutschen
Schrift Pädagogisch fruchtbar zu machen.

Diesem Ziele strebt ein Werk zu, das in
seiner Art vorbildlich genannt werden kann:

[Spaltenumbruch]

mit vielen, zum
Teil farbigen Schülerarbeiten. (Verlag von
Dürr in Leipzig.) Der Verfasser steht zunächst
auch auf dem Standpunkt, daß die Fraktur
die „deutschere" Schrift sei, und beruft sich
auf Goethes Ausspruch: „Die deutsche Schrift
ist in ihreni Schmucke den gotischen Bauten
vergleichbar, die den Blick zur Höhe ziehen
und uns mit Staunen und Bewunderung er¬
füllen. Gotischer Stil der Baukunst und die
Gestalt unserer Buchstaben sind als gleiche
Offenbarung deutschen Gemütes zu achten."
Aber als Pädagoge bemüht er sich, die
Jugend den Werdegang unserer deutschen
Schrift miterleben zu lassen. Er läßt jeden
Schüler mit seiner eigenen Schrift den Weg
von der Antiqua über die Unziale zur
gotischen Schrift und Fraktur durchmachen,
indem er ihm auch jeweilig diejenigen Schreib¬
gerätschaften (Griffel bzw. Stift, Quellstift,
Feder) in die Hand gibt, durch deren Eigen¬
art die Form der Schrift mit bestimmt
wird.

„Die Kunst der Feder. Dekorative Schrift
und Fedcrorunmcnt in der Schule", von
Professor Fritz Kuhlnmn»,

Auf diesem Wege erhält natürlich der
Schüler tiefe Einblicke in die Geschichte, das
Wesen und die Gesetze der Schrift im all¬
gemeinen und der deutschen Schrift im be¬
sonderen. Ein wesentlicher schriftpädagogischer
Gewinn besteht dabei darin, daß der Schüler
auf diese Art ganz von selber dazu gelangt,
aus seiner gewöhnlichen Verkehrs- und
Duktusschrift sich eine persönliche dekorative
Schrift zu entwickeln. Damit wird er zu
einer ideell und praktisch nicht gering einzu¬
schätzenden künstlerischen Leistung geführt.
Kuhlmann vervollständigt dann die Unter¬
weisung in der „Kunst der Feder" noch
dadurch, daß er die Schüler die ornamentalen
Gesetze für die Anordnung der Schrift auf
der Fläche, in der Zeile und auf der Seite
finden läßt und sie dann weiterführt zum
Federornament. Darauf wollen wir in diesem
Zusammenhange nur hinweisen, ebenso wie
auf die Tatsache, daß das Buch selbst, in
Kochscher Fraktur gedruckt, ein vortreff¬
liches Beispiel für dekorative Schriftanord¬
nung und geschmackvolle Ausstattung ist.

Das, worauf es uns in diesem Zusammen¬
hange ankommt und was wir freudig an¬
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[0106] Maßgebliches und Unmaßgebliches reinen Rützlichkeitsstcmdpunkt wünschenswert wäre, zumal die deutsche Jugend durch die Erlernung zweier Schriften im Gegensatz zu der Jugend anderer Nationalitäten unnütz belastet werde. Ferner wurde gelegentlich die Behauptung aufgestellt und sogar mit Gutachten belegt, daß die deutsche Schrift weniger leicht lesbar als die lateinische, also hygienisch nicht einwandfrei sei. Gegen diesen letzten Einwand wendet sich der „Schriftbund deutscher Hochschullehrer", und ihm hat sich der „Schriftbund deutscher Oberlehrer" gleichstrebend an die Seite ge¬ stellt (Geschäftsstelle Mona, Arnoldstr. 5II), in einer Erklärung, in der er auf die expe- rimentalpsychologischen und physiologischen Untersuchungen von Dr. Alex Schackwitz hin¬ weist, die ergeben haben, daß die deutsche Schrift infolge ihrer charakteristischen Einzel¬ buchstaben und ihrer ausgeprägten, „bild¬ haften" Wortbilder leichter lesbar und augenschonender ist als die Lateinschrift. Eine gewöhnliche Buchzeile wird in deutscher Schrift durchschnittlich mit fünf Augenbewegungen, in Lateinschrift mit sieben Augenbewegungen be¬ wältigt. Vom augenhygienischen Standpunkt ist daher die Fraktur vorzuziehen, was na¬ mentlich für den Druck der Schul- und Jugend¬ bücher zu beachten ist. Auch jenen utilitaristischen Einwand, der in der deutschen Schrift ein Hindernis für eine Verbreitung des Deutschtums in der Welt sieht, widerlegt der Schriftbund durch Äußerungen maßgebender Auslandsdeutscher, die aus der Verwendung der deutschen Schri.se eine Verstärkung der Stoßkraft deutscher Literatur im Auslands erwachsen sehen, zu¬ mal die Fraktur von fremden Nationen nicht nur sehr Wohl gekannt und verstanden, sondern sogar selbst verwendet wird, im wesentlichen da, wo es sich um die Hervorhebung einzelner Druckteile, z. B. von Zeitungsköpfcn, handelt. Es bleibt noch der dritte Einwand von der unnützen Belastung der Jugend durch das Erlernen eines zweiten Schriftsystems. Diese Belastung erscheint nicht als allzu erheblich, wenn es gelingt, sie durch die Ausbildung des Formensinns, der ornamentalen Anschauungs¬ fähigkeit an der Hand unserer deutschen Schrift Pädagogisch fruchtbar zu machen. Diesem Ziele strebt ein Werk zu, das in seiner Art vorbildlich genannt werden kann: mit vielen, zum Teil farbigen Schülerarbeiten. (Verlag von Dürr in Leipzig.) Der Verfasser steht zunächst auch auf dem Standpunkt, daß die Fraktur die „deutschere" Schrift sei, und beruft sich auf Goethes Ausspruch: „Die deutsche Schrift ist in ihreni Schmucke den gotischen Bauten vergleichbar, die den Blick zur Höhe ziehen und uns mit Staunen und Bewunderung er¬ füllen. Gotischer Stil der Baukunst und die Gestalt unserer Buchstaben sind als gleiche Offenbarung deutschen Gemütes zu achten." Aber als Pädagoge bemüht er sich, die Jugend den Werdegang unserer deutschen Schrift miterleben zu lassen. Er läßt jeden Schüler mit seiner eigenen Schrift den Weg von der Antiqua über die Unziale zur gotischen Schrift und Fraktur durchmachen, indem er ihm auch jeweilig diejenigen Schreib¬ gerätschaften (Griffel bzw. Stift, Quellstift, Feder) in die Hand gibt, durch deren Eigen¬ art die Form der Schrift mit bestimmt wird. „Die Kunst der Feder. Dekorative Schrift und Fedcrorunmcnt in der Schule", von Professor Fritz Kuhlnmn», Auf diesem Wege erhält natürlich der Schüler tiefe Einblicke in die Geschichte, das Wesen und die Gesetze der Schrift im all¬ gemeinen und der deutschen Schrift im be¬ sonderen. Ein wesentlicher schriftpädagogischer Gewinn besteht dabei darin, daß der Schüler auf diese Art ganz von selber dazu gelangt, aus seiner gewöhnlichen Verkehrs- und Duktusschrift sich eine persönliche dekorative Schrift zu entwickeln. Damit wird er zu einer ideell und praktisch nicht gering einzu¬ schätzenden künstlerischen Leistung geführt. Kuhlmann vervollständigt dann die Unter¬ weisung in der „Kunst der Feder" noch dadurch, daß er die Schüler die ornamentalen Gesetze für die Anordnung der Schrift auf der Fläche, in der Zeile und auf der Seite finden läßt und sie dann weiterführt zum Federornament. Darauf wollen wir in diesem Zusammenhange nur hinweisen, ebenso wie auf die Tatsache, daß das Buch selbst, in Kochscher Fraktur gedruckt, ein vortreff¬ liches Beispiel für dekorative Schriftanord¬ nung und geschmackvolle Ausstattung ist. Das, worauf es uns in diesem Zusammen¬ hange ankommt und was wir freudig an¬ erkennen wollen, ist die Förderung, die die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/106>, abgerufen am 04.07.2024.