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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Lduard (Lngels "Volks - Goethe"
Dr. Karl Freye von

ielleicht hat es hie und da Verwunderung erregt, daß der neue
"Volks-Goethe" des Verlages Hesse u. Becker, herausgegeben von
Eduard Engel, vor kurzem an dieser Stelle nur mit Vorbehalt
empfohlen ist. Eine genauere Begründung dieser Zurückhaltung
wird um so eher am Platze sein, als zahlreiche rühmende An¬
zeigen von anderer Seite vorliegen. So hat Adolf Matthias im "Tag" Engels
Goeihe - Auswahl "alles in allem eine rechte, echte Gabe fürs Volk" genannt;
Engel sei der richtige Mann, der für das Volk zu wirken wisse, weil er ihm in
seinem Empfinden nahe geblieben sei. Dem unumwundenen Lob des bekannten
Pädagogen möchte man nun vielleicht gern zustimmen, denn in der Tat ist die
Auswahl sehr geschickt angelegt und vom Verlage so preiswert und hübsch wie
nur möglich dargeboten -- wenn nur Engels biographische Einleitung nicht
wäre. Matthias kann diesen Lebensabriß, der so, wie er ist, ein Verbrechen
am deutschen Volk genannt werden muß, unmöglich genau gelesen haben.

Es kann niemandem verwehrt werden, ein Spezialwerk über Friederike
Brion zu schreiben und deren gesamte Lebensführung zu prüfen. Das hat in
einem scheußlichen Buche Johannes Froitzheim getan ("Friederike von Sesenheim
nach geschichtlichen Quellen", Gotha 1893). Schon er "stellt fest", daß sogenannte
intime Beziehungen zwischen dem jungen Goethe und Friederike bestanden Hütten,
und weist außerdem -- seiner Meinung nach mit Sicherheit -- einen unehe¬
lichen Sohn Friederikens aus einer späteren Liebschaft nach, der den poetischen
Namen Jean Laurent Blumenhold geführt habe und Pastetenbäcker gewesen sei.

Diese vermeintlichen Beweisführungen, die im einzelnen mit scheinbar akten¬
müßiger Genauigkeit geführt und doch nur aus Klatsch und ganz allgemeinen
ungünstigen Berichten hergeleitet werden, sind heute schon vergessen. Engel
kümmert sich nun nicht um Friederikens späteres Leben; aber auch er wendet
alles auf, um Goethes Neigung zu Friederike von dem falschen Rufe zu befreien,
es habe sich da um eine harmlose "Studentenliebelei" gehandelt. Daß vielmehr
"die größte Tragödie in Goethes Jungmannsleben" (ein wundervoller AusdruckI),




Lduard (Lngels „Volks - Goethe"
Dr. Karl Freye von

ielleicht hat es hie und da Verwunderung erregt, daß der neue
„Volks-Goethe" des Verlages Hesse u. Becker, herausgegeben von
Eduard Engel, vor kurzem an dieser Stelle nur mit Vorbehalt
empfohlen ist. Eine genauere Begründung dieser Zurückhaltung
wird um so eher am Platze sein, als zahlreiche rühmende An¬
zeigen von anderer Seite vorliegen. So hat Adolf Matthias im „Tag" Engels
Goeihe - Auswahl „alles in allem eine rechte, echte Gabe fürs Volk" genannt;
Engel sei der richtige Mann, der für das Volk zu wirken wisse, weil er ihm in
seinem Empfinden nahe geblieben sei. Dem unumwundenen Lob des bekannten
Pädagogen möchte man nun vielleicht gern zustimmen, denn in der Tat ist die
Auswahl sehr geschickt angelegt und vom Verlage so preiswert und hübsch wie
nur möglich dargeboten — wenn nur Engels biographische Einleitung nicht
wäre. Matthias kann diesen Lebensabriß, der so, wie er ist, ein Verbrechen
am deutschen Volk genannt werden muß, unmöglich genau gelesen haben.

Es kann niemandem verwehrt werden, ein Spezialwerk über Friederike
Brion zu schreiben und deren gesamte Lebensführung zu prüfen. Das hat in
einem scheußlichen Buche Johannes Froitzheim getan („Friederike von Sesenheim
nach geschichtlichen Quellen", Gotha 1893). Schon er „stellt fest", daß sogenannte
intime Beziehungen zwischen dem jungen Goethe und Friederike bestanden Hütten,
und weist außerdem — seiner Meinung nach mit Sicherheit — einen unehe¬
lichen Sohn Friederikens aus einer späteren Liebschaft nach, der den poetischen
Namen Jean Laurent Blumenhold geführt habe und Pastetenbäcker gewesen sei.

Diese vermeintlichen Beweisführungen, die im einzelnen mit scheinbar akten¬
müßiger Genauigkeit geführt und doch nur aus Klatsch und ganz allgemeinen
ungünstigen Berichten hergeleitet werden, sind heute schon vergessen. Engel
kümmert sich nun nicht um Friederikens späteres Leben; aber auch er wendet
alles auf, um Goethes Neigung zu Friederike von dem falschen Rufe zu befreien,
es habe sich da um eine harmlose „Studentenliebelei" gehandelt. Daß vielmehr
„die größte Tragödie in Goethes Jungmannsleben" (ein wundervoller AusdruckI),


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[0098] [Abbildung] Lduard (Lngels „Volks - Goethe" Dr. Karl Freye von ielleicht hat es hie und da Verwunderung erregt, daß der neue „Volks-Goethe" des Verlages Hesse u. Becker, herausgegeben von Eduard Engel, vor kurzem an dieser Stelle nur mit Vorbehalt empfohlen ist. Eine genauere Begründung dieser Zurückhaltung wird um so eher am Platze sein, als zahlreiche rühmende An¬ zeigen von anderer Seite vorliegen. So hat Adolf Matthias im „Tag" Engels Goeihe - Auswahl „alles in allem eine rechte, echte Gabe fürs Volk" genannt; Engel sei der richtige Mann, der für das Volk zu wirken wisse, weil er ihm in seinem Empfinden nahe geblieben sei. Dem unumwundenen Lob des bekannten Pädagogen möchte man nun vielleicht gern zustimmen, denn in der Tat ist die Auswahl sehr geschickt angelegt und vom Verlage so preiswert und hübsch wie nur möglich dargeboten — wenn nur Engels biographische Einleitung nicht wäre. Matthias kann diesen Lebensabriß, der so, wie er ist, ein Verbrechen am deutschen Volk genannt werden muß, unmöglich genau gelesen haben. Es kann niemandem verwehrt werden, ein Spezialwerk über Friederike Brion zu schreiben und deren gesamte Lebensführung zu prüfen. Das hat in einem scheußlichen Buche Johannes Froitzheim getan („Friederike von Sesenheim nach geschichtlichen Quellen", Gotha 1893). Schon er „stellt fest", daß sogenannte intime Beziehungen zwischen dem jungen Goethe und Friederike bestanden Hütten, und weist außerdem — seiner Meinung nach mit Sicherheit — einen unehe¬ lichen Sohn Friederikens aus einer späteren Liebschaft nach, der den poetischen Namen Jean Laurent Blumenhold geführt habe und Pastetenbäcker gewesen sei. Diese vermeintlichen Beweisführungen, die im einzelnen mit scheinbar akten¬ müßiger Genauigkeit geführt und doch nur aus Klatsch und ganz allgemeinen ungünstigen Berichten hergeleitet werden, sind heute schon vergessen. Engel kümmert sich nun nicht um Friederikens späteres Leben; aber auch er wendet alles auf, um Goethes Neigung zu Friederike von dem falschen Rufe zu befreien, es habe sich da um eine harmlose „Studentenliebelei" gehandelt. Daß vielmehr „die größte Tragödie in Goethes Jungmannsleben" (ein wundervoller AusdruckI),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/98>, abgerufen am 28.12.2024.