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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen
Roman
Lharlotte Niese von
(Erste Fortsetzung)

Herr Michael saß in einem mit Kaninchenfell gefütterten Rock und hatte
die Füße auf ein Becken mit glühenden Kohlen gestellt. Denn in den Stein¬
häusern war es noch kalt und der Pfarrer hatte das Zipperlein. Er erhob
sich ein wenig bei Sebastians Eintritt und schob ihm einen Stuhl hin.

"Ihr seid ein früher Gast, Herr von Wiltberg!" sagte er ein ganz klein
wenig spöttisch, und der junge Mann wurde rot. Dann schüttelte er den Kopf,
als wollte er einen unangenehmen Gedanken abschütteln und sprach drauf los.

"Ehrwürdiger, ich höre, daß gestern eine Hexe eingebracht ist und ich wollte
meine Dienste anbieten, sie auf den Tod vorzubereiten!"

"Wißt Ihr so genau, daß sie eine Hexe ist?" Der Pfarrer kniff sein
linkes Auge zusammen, was ein Zeichen war, daß er sich zu ärgern begann.

"Sie wird eine Hexe sein!" rief Sebastian. "In dieser bösen Zeit sprechen
alle Anzeichen dafür, daß Beelzebub sein Wesen treibt, und daß er kein Mittel
unversucht läßt, die Gläubigen zu ärgern und sie auf schlechte Wege zu leiten!"

"Sagt das dem König Ludwig, der an der Mosel brennen und morden
läßt! Gestern hab ich Nachricht erhalten, daß mein Vaterhaus in Winningen
von den Feinden angesteckt und ausgeplündert ist! Mein Bruder und seine
Frau sind geflüchtet und haben weder zu beißen, noch zu brechen!"

Der Pfarrer sprach niedergeschlagen und Sebastian sah ein, daß er ihn
trösten mußte.

"Man darf sein Herz nicht an die Güter dieser Welt hängen" begann er,
worauf ihn der ältere Mann ungeduldig unterbrach.

"Schon gut, Herr von Wiltberg! Ich hoffe, daß meine armen Verwandten
zu mir kommen werden und ich ihnen von meiner Armut abgeben darf --
davon aber wolltet Ihr doch nicht mit mir reden, sondern von dem Mädchen,
das der Esel Jupp gestern einbrachte. Als hätten wir nicht genug mit uns
selbst zu tun und müssen uns noch um andere bekümmern! Jeden Tag kann
der Franzose vor den Toren sein; wir müssen daran denken, uns entweder zu




Die Hexe von Mayen
Roman
Lharlotte Niese von
(Erste Fortsetzung)

Herr Michael saß in einem mit Kaninchenfell gefütterten Rock und hatte
die Füße auf ein Becken mit glühenden Kohlen gestellt. Denn in den Stein¬
häusern war es noch kalt und der Pfarrer hatte das Zipperlein. Er erhob
sich ein wenig bei Sebastians Eintritt und schob ihm einen Stuhl hin.

„Ihr seid ein früher Gast, Herr von Wiltberg!" sagte er ein ganz klein
wenig spöttisch, und der junge Mann wurde rot. Dann schüttelte er den Kopf,
als wollte er einen unangenehmen Gedanken abschütteln und sprach drauf los.

„Ehrwürdiger, ich höre, daß gestern eine Hexe eingebracht ist und ich wollte
meine Dienste anbieten, sie auf den Tod vorzubereiten!"

„Wißt Ihr so genau, daß sie eine Hexe ist?" Der Pfarrer kniff sein
linkes Auge zusammen, was ein Zeichen war, daß er sich zu ärgern begann.

„Sie wird eine Hexe sein!" rief Sebastian. „In dieser bösen Zeit sprechen
alle Anzeichen dafür, daß Beelzebub sein Wesen treibt, und daß er kein Mittel
unversucht läßt, die Gläubigen zu ärgern und sie auf schlechte Wege zu leiten!"

„Sagt das dem König Ludwig, der an der Mosel brennen und morden
läßt! Gestern hab ich Nachricht erhalten, daß mein Vaterhaus in Winningen
von den Feinden angesteckt und ausgeplündert ist! Mein Bruder und seine
Frau sind geflüchtet und haben weder zu beißen, noch zu brechen!"

Der Pfarrer sprach niedergeschlagen und Sebastian sah ein, daß er ihn
trösten mußte.

„Man darf sein Herz nicht an die Güter dieser Welt hängen" begann er,
worauf ihn der ältere Mann ungeduldig unterbrach.

„Schon gut, Herr von Wiltberg! Ich hoffe, daß meine armen Verwandten
zu mir kommen werden und ich ihnen von meiner Armut abgeben darf —
davon aber wolltet Ihr doch nicht mit mir reden, sondern von dem Mädchen,
das der Esel Jupp gestern einbrachte. Als hätten wir nicht genug mit uns
selbst zu tun und müssen uns noch um andere bekümmern! Jeden Tag kann
der Franzose vor den Toren sein; wir müssen daran denken, uns entweder zu


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[0082] [Abbildung] Die Hexe von Mayen Roman Lharlotte Niese von (Erste Fortsetzung) Herr Michael saß in einem mit Kaninchenfell gefütterten Rock und hatte die Füße auf ein Becken mit glühenden Kohlen gestellt. Denn in den Stein¬ häusern war es noch kalt und der Pfarrer hatte das Zipperlein. Er erhob sich ein wenig bei Sebastians Eintritt und schob ihm einen Stuhl hin. „Ihr seid ein früher Gast, Herr von Wiltberg!" sagte er ein ganz klein wenig spöttisch, und der junge Mann wurde rot. Dann schüttelte er den Kopf, als wollte er einen unangenehmen Gedanken abschütteln und sprach drauf los. „Ehrwürdiger, ich höre, daß gestern eine Hexe eingebracht ist und ich wollte meine Dienste anbieten, sie auf den Tod vorzubereiten!" „Wißt Ihr so genau, daß sie eine Hexe ist?" Der Pfarrer kniff sein linkes Auge zusammen, was ein Zeichen war, daß er sich zu ärgern begann. „Sie wird eine Hexe sein!" rief Sebastian. „In dieser bösen Zeit sprechen alle Anzeichen dafür, daß Beelzebub sein Wesen treibt, und daß er kein Mittel unversucht läßt, die Gläubigen zu ärgern und sie auf schlechte Wege zu leiten!" „Sagt das dem König Ludwig, der an der Mosel brennen und morden läßt! Gestern hab ich Nachricht erhalten, daß mein Vaterhaus in Winningen von den Feinden angesteckt und ausgeplündert ist! Mein Bruder und seine Frau sind geflüchtet und haben weder zu beißen, noch zu brechen!" Der Pfarrer sprach niedergeschlagen und Sebastian sah ein, daß er ihn trösten mußte. „Man darf sein Herz nicht an die Güter dieser Welt hängen" begann er, worauf ihn der ältere Mann ungeduldig unterbrach. „Schon gut, Herr von Wiltberg! Ich hoffe, daß meine armen Verwandten zu mir kommen werden und ich ihnen von meiner Armut abgeben darf — davon aber wolltet Ihr doch nicht mit mir reden, sondern von dem Mädchen, das der Esel Jupp gestern einbrachte. Als hätten wir nicht genug mit uns selbst zu tun und müssen uns noch um andere bekümmern! Jeden Tag kann der Franzose vor den Toren sein; wir müssen daran denken, uns entweder zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/82>, abgerufen am 28.12.2024.