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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Lin Streifzug in die Volksetymologie "ut Volksmythologie

Ich sollte ein Mohhorn sein? Ich weeß goar nee amal, woas e Mohhorn
iss . . . Mei Schwoger soate. doas müßte a groß ausländisch Thier sein. . .,
woas Mob fräße . . . ein Hinger-Indian, ... es gibt mer jedesmal an'n Stich
in's Herze, wenn ich va doas Wurt gedenke." Der Kläger läßt sich damit ab¬
fertigen, daß nichts in der Sache zu machen sei, wenn er keine Zeugen habe.

Schwerlich hat der Autor dieser Erdichtung geahnt, wieviel Wahrheit sie
in sich schloß zur Förderung unserer Sprachstudie. Der Schwank belehrt uns,
daß die Sprache, um der Zunge möglichst bequem zu werden, in der Tat noch
heute nicht bloß am Ende kurzer Wörter, sondern auch in der Mitte zusammen¬
gesetzter Wörter den Buchstaben n abschleift. Wie der Schlesier laut des von
Langer bezeugten dortigen Dialekts Mob statt Mohn sagt, so hat er auch ohne
Anstand sein heute noch fortlebendes Mohhorn gebildet. Zwar erwähnt Langer
nichts von demi Mohhorn als Festkuchen, auch nichts von der Mohhornmühle,
die jetzt ihre Mühlenqualität ebenso abgelegt hat, wie das ihr unverständlich
gewordene Doppel-h zwischen ihrer ersten und zweiten Silbe, auch ist den von
Langer vorgeführten Personen ein "Mohhorn" ebensowenig bekannt, wie manch
anderen Schlesiern. Aber doch legt der Dichter davon Zeugnis ab, daß >das
als rätselhaft hingestellte Wort im Landvolke Schlesiens fortlebt, daß es ferner
mit einem Doppel-h sich schreibt, und daß im dortigen Volksmunde "Mohn"
sein Schluß-n abschleift. Mohhorn ist also dasselbe wie das hochdeutsche
Mohnhorn. Statt des Mohhorn kennt man jetzt in Schlesien zu Martini das
Martinshorn als Festkuchen, für das allerdings die Beigabe des Modus nicht
mehr wesentlich, aber immerhin doch gebräuchlich ist. Steht nun fejt, daß die
katholische Kirche das altgermanische Herbstopfer auf Mcirtini übertrug*), so
wandelte sich das Mohhorn in das Martinshorn um. erhielt sich aber, wie
jetzt aus Schlesien bezeugt wird, eigentlich nur als Scheltwort.


6.

Ähnlich erging es einem anderen Gebäck außerhalb Schlesiens, dem "Horn¬
affen".

Die von K. P. Lepsius 1813 "lächerlich" genannte, aber unerklärt gelassene
und die später im Grimmschen Wörterbuch als "dunkel" hingestellte Bezeichnung
des in manchen Orten Deutschlands noch heute üblichen Neujahrs- oder Fast¬
nachtsgebäcks des "Hornaffen" gab auf eine ihm vorgelegte Frage dem Ver¬
fasser dieser Abhandlung Anlaß, ohnlängst an anderer Stelle**) auszuführen,
daß der eigentümliche Name nichts anderes bedeute, als ein nach altem Brauche
zum Hormuigsfeste des Januar oder Februar einges'ihrtes Gebäck in Gestalt
zweier mit ihrer Basis zusammengefügter, mit ihren Spitzen sich gegenüber¬
stehender Hörner. Zum Nachweis wurde namentlich hervorgehoben, daß das
Wort aper in: Niederdeutschen sowohl offen als offen bedeute, daß das hoch-




*) Siehe Brockhaus, Konversationslexikon unter Martin von Tours.
Im Berliner Tag ^ vom 11. Juli 1912,
Lin Streifzug in die Volksetymologie »ut Volksmythologie

Ich sollte ein Mohhorn sein? Ich weeß goar nee amal, woas e Mohhorn
iss . . . Mei Schwoger soate. doas müßte a groß ausländisch Thier sein. . .,
woas Mob fräße . . . ein Hinger-Indian, ... es gibt mer jedesmal an'n Stich
in's Herze, wenn ich va doas Wurt gedenke." Der Kläger läßt sich damit ab¬
fertigen, daß nichts in der Sache zu machen sei, wenn er keine Zeugen habe.

Schwerlich hat der Autor dieser Erdichtung geahnt, wieviel Wahrheit sie
in sich schloß zur Förderung unserer Sprachstudie. Der Schwank belehrt uns,
daß die Sprache, um der Zunge möglichst bequem zu werden, in der Tat noch
heute nicht bloß am Ende kurzer Wörter, sondern auch in der Mitte zusammen¬
gesetzter Wörter den Buchstaben n abschleift. Wie der Schlesier laut des von
Langer bezeugten dortigen Dialekts Mob statt Mohn sagt, so hat er auch ohne
Anstand sein heute noch fortlebendes Mohhorn gebildet. Zwar erwähnt Langer
nichts von demi Mohhorn als Festkuchen, auch nichts von der Mohhornmühle,
die jetzt ihre Mühlenqualität ebenso abgelegt hat, wie das ihr unverständlich
gewordene Doppel-h zwischen ihrer ersten und zweiten Silbe, auch ist den von
Langer vorgeführten Personen ein „Mohhorn" ebensowenig bekannt, wie manch
anderen Schlesiern. Aber doch legt der Dichter davon Zeugnis ab, daß >das
als rätselhaft hingestellte Wort im Landvolke Schlesiens fortlebt, daß es ferner
mit einem Doppel-h sich schreibt, und daß im dortigen Volksmunde „Mohn"
sein Schluß-n abschleift. Mohhorn ist also dasselbe wie das hochdeutsche
Mohnhorn. Statt des Mohhorn kennt man jetzt in Schlesien zu Martini das
Martinshorn als Festkuchen, für das allerdings die Beigabe des Modus nicht
mehr wesentlich, aber immerhin doch gebräuchlich ist. Steht nun fejt, daß die
katholische Kirche das altgermanische Herbstopfer auf Mcirtini übertrug*), so
wandelte sich das Mohhorn in das Martinshorn um. erhielt sich aber, wie
jetzt aus Schlesien bezeugt wird, eigentlich nur als Scheltwort.


6.

Ähnlich erging es einem anderen Gebäck außerhalb Schlesiens, dem „Horn¬
affen".

Die von K. P. Lepsius 1813 „lächerlich" genannte, aber unerklärt gelassene
und die später im Grimmschen Wörterbuch als „dunkel" hingestellte Bezeichnung
des in manchen Orten Deutschlands noch heute üblichen Neujahrs- oder Fast¬
nachtsgebäcks des „Hornaffen" gab auf eine ihm vorgelegte Frage dem Ver¬
fasser dieser Abhandlung Anlaß, ohnlängst an anderer Stelle**) auszuführen,
daß der eigentümliche Name nichts anderes bedeute, als ein nach altem Brauche
zum Hormuigsfeste des Januar oder Februar einges'ihrtes Gebäck in Gestalt
zweier mit ihrer Basis zusammengefügter, mit ihren Spitzen sich gegenüber¬
stehender Hörner. Zum Nachweis wurde namentlich hervorgehoben, daß das
Wort aper in: Niederdeutschen sowohl offen als offen bedeute, daß das hoch-




*) Siehe Brockhaus, Konversationslexikon unter Martin von Tours.
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[0068] Lin Streifzug in die Volksetymologie »ut Volksmythologie Ich sollte ein Mohhorn sein? Ich weeß goar nee amal, woas e Mohhorn iss . . . Mei Schwoger soate. doas müßte a groß ausländisch Thier sein. . ., woas Mob fräße . . . ein Hinger-Indian, ... es gibt mer jedesmal an'n Stich in's Herze, wenn ich va doas Wurt gedenke." Der Kläger läßt sich damit ab¬ fertigen, daß nichts in der Sache zu machen sei, wenn er keine Zeugen habe. Schwerlich hat der Autor dieser Erdichtung geahnt, wieviel Wahrheit sie in sich schloß zur Förderung unserer Sprachstudie. Der Schwank belehrt uns, daß die Sprache, um der Zunge möglichst bequem zu werden, in der Tat noch heute nicht bloß am Ende kurzer Wörter, sondern auch in der Mitte zusammen¬ gesetzter Wörter den Buchstaben n abschleift. Wie der Schlesier laut des von Langer bezeugten dortigen Dialekts Mob statt Mohn sagt, so hat er auch ohne Anstand sein heute noch fortlebendes Mohhorn gebildet. Zwar erwähnt Langer nichts von demi Mohhorn als Festkuchen, auch nichts von der Mohhornmühle, die jetzt ihre Mühlenqualität ebenso abgelegt hat, wie das ihr unverständlich gewordene Doppel-h zwischen ihrer ersten und zweiten Silbe, auch ist den von Langer vorgeführten Personen ein „Mohhorn" ebensowenig bekannt, wie manch anderen Schlesiern. Aber doch legt der Dichter davon Zeugnis ab, daß >das als rätselhaft hingestellte Wort im Landvolke Schlesiens fortlebt, daß es ferner mit einem Doppel-h sich schreibt, und daß im dortigen Volksmunde „Mohn" sein Schluß-n abschleift. Mohhorn ist also dasselbe wie das hochdeutsche Mohnhorn. Statt des Mohhorn kennt man jetzt in Schlesien zu Martini das Martinshorn als Festkuchen, für das allerdings die Beigabe des Modus nicht mehr wesentlich, aber immerhin doch gebräuchlich ist. Steht nun fejt, daß die katholische Kirche das altgermanische Herbstopfer auf Mcirtini übertrug*), so wandelte sich das Mohhorn in das Martinshorn um. erhielt sich aber, wie jetzt aus Schlesien bezeugt wird, eigentlich nur als Scheltwort. 6. Ähnlich erging es einem anderen Gebäck außerhalb Schlesiens, dem „Horn¬ affen". Die von K. P. Lepsius 1813 „lächerlich" genannte, aber unerklärt gelassene und die später im Grimmschen Wörterbuch als „dunkel" hingestellte Bezeichnung des in manchen Orten Deutschlands noch heute üblichen Neujahrs- oder Fast¬ nachtsgebäcks des „Hornaffen" gab auf eine ihm vorgelegte Frage dem Ver¬ fasser dieser Abhandlung Anlaß, ohnlängst an anderer Stelle**) auszuführen, daß der eigentümliche Name nichts anderes bedeute, als ein nach altem Brauche zum Hormuigsfeste des Januar oder Februar einges'ihrtes Gebäck in Gestalt zweier mit ihrer Basis zusammengefügter, mit ihren Spitzen sich gegenüber¬ stehender Hörner. Zum Nachweis wurde namentlich hervorgehoben, daß das Wort aper in: Niederdeutschen sowohl offen als offen bedeute, daß das hoch- *) Siehe Brockhaus, Konversationslexikon unter Martin von Tours. Im Berliner Tag ^ vom 11. Juli 1912,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/68>, abgerufen am 28.12.2024.