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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Gin Streifzug in die Volksetyniologie und Oolksmythologie

den "Dreitausendsechshundertneunundsiebzigsten" bezeichnet habe. Der Vertreter
des Urwalds bestritt, daß eine Beleidigung vorliege, und berief sich auf Maximilian
Harden, der sich als Sachverständiger dahin geäußert habe, "solch kitzelnder, nicht
beißender Spott müsse unverwehrt bleiben. Als dabei der Anwalt den Namen
Latsch mehrmals wie "Laatsch" aussprach, trat der Kläger vor ihn mit geballter
Faust und mit den Worten: "Wissen Sie, was ich dagegen in meiner Jugend
gemacht habe? Da machte ich einfach von meinem Faustrecht Gebrauch!" Das
gab zu einer weiteren Beleidigungsklage Anlaß. Dem Gericht gelang aber auch
hier eine vergleichsweise Einigung der Parteien.

Ganz auf dem Boden dieser wirklich vor Gericht verhandelten Prozesse,
welche klarlegen, wie beliebige an sich sehr unschuldige Worte zu Beleidigungen
werden können, steht die mit trefflichem Humor erdichtete "Injurienklage", die
Ernst Langer (neuerdings in fünfter Auflage) als "komische dörfliche Szene in
einem Akt" uuter dem Titel "Das Mohhorn" veröffentlicht hat. Sie darf hier
nicht übergangen werden, weil ihr Gegenstand in engster Beziehung zu der Frage
steht, inwiefern das Wort "Horn" zum Scheltwort werden könne.

In Schlesien, dem Heimatlande dieses "Mohhorn", war es noch während
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts üblich und ist wohl auch jetzt
üblich, daß zum Martinitag die Schulkinder Sammlungen veranstalteten, um
ihrem Lehrer einen großen, an einer Stelle offenen Kuchenring zu stiften, in der
Form, wie er hier abgebildet ist. Er führt seit Alters im Volksmunde den



Namen Mohhorn und ist nichts anderes als ein Festlichen mit einer Mohn¬
einlage. In Breslau hieß vor dreißig Jahren und heißt wohl noch das in
Deutschland allgemein übliche Hörnchengebäck "Mohhörndl" (ausgesprochen
"Mohhärndl"). Jedem heutigen Besucher des Riesengebirgs ist als Gasthaus
des Aupatals (unfern der Schneekoppe) die "Mohhornmühle" bekannt.

Ernst Langer läßt nun einen Bauer vor dem Gerichte einer "Gregurienklage"
halber erscheinen und auf die Frage des Genchtsschreibers, mit welchen Worten
ihn der von ihm angegriffene Bauer beleidigt habe, die Antwort geben, "A soate
Mohhorn verfluchtes! und ich wär' ein Osse meener ganzen Posentnr nach . . .


Gin Streifzug in die Volksetyniologie und Oolksmythologie

den „Dreitausendsechshundertneunundsiebzigsten" bezeichnet habe. Der Vertreter
des Urwalds bestritt, daß eine Beleidigung vorliege, und berief sich auf Maximilian
Harden, der sich als Sachverständiger dahin geäußert habe, „solch kitzelnder, nicht
beißender Spott müsse unverwehrt bleiben. Als dabei der Anwalt den Namen
Latsch mehrmals wie „Laatsch" aussprach, trat der Kläger vor ihn mit geballter
Faust und mit den Worten: „Wissen Sie, was ich dagegen in meiner Jugend
gemacht habe? Da machte ich einfach von meinem Faustrecht Gebrauch!" Das
gab zu einer weiteren Beleidigungsklage Anlaß. Dem Gericht gelang aber auch
hier eine vergleichsweise Einigung der Parteien.

Ganz auf dem Boden dieser wirklich vor Gericht verhandelten Prozesse,
welche klarlegen, wie beliebige an sich sehr unschuldige Worte zu Beleidigungen
werden können, steht die mit trefflichem Humor erdichtete „Injurienklage", die
Ernst Langer (neuerdings in fünfter Auflage) als „komische dörfliche Szene in
einem Akt" uuter dem Titel „Das Mohhorn" veröffentlicht hat. Sie darf hier
nicht übergangen werden, weil ihr Gegenstand in engster Beziehung zu der Frage
steht, inwiefern das Wort „Horn" zum Scheltwort werden könne.

In Schlesien, dem Heimatlande dieses „Mohhorn", war es noch während
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts üblich und ist wohl auch jetzt
üblich, daß zum Martinitag die Schulkinder Sammlungen veranstalteten, um
ihrem Lehrer einen großen, an einer Stelle offenen Kuchenring zu stiften, in der
Form, wie er hier abgebildet ist. Er führt seit Alters im Volksmunde den



Namen Mohhorn und ist nichts anderes als ein Festlichen mit einer Mohn¬
einlage. In Breslau hieß vor dreißig Jahren und heißt wohl noch das in
Deutschland allgemein übliche Hörnchengebäck „Mohhörndl" (ausgesprochen
„Mohhärndl"). Jedem heutigen Besucher des Riesengebirgs ist als Gasthaus
des Aupatals (unfern der Schneekoppe) die „Mohhornmühle" bekannt.

Ernst Langer läßt nun einen Bauer vor dem Gerichte einer „Gregurienklage"
halber erscheinen und auf die Frage des Genchtsschreibers, mit welchen Worten
ihn der von ihm angegriffene Bauer beleidigt habe, die Antwort geben, „A soate
Mohhorn verfluchtes! und ich wär' ein Osse meener ganzen Posentnr nach . . .


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[0067] Gin Streifzug in die Volksetyniologie und Oolksmythologie den „Dreitausendsechshundertneunundsiebzigsten" bezeichnet habe. Der Vertreter des Urwalds bestritt, daß eine Beleidigung vorliege, und berief sich auf Maximilian Harden, der sich als Sachverständiger dahin geäußert habe, „solch kitzelnder, nicht beißender Spott müsse unverwehrt bleiben. Als dabei der Anwalt den Namen Latsch mehrmals wie „Laatsch" aussprach, trat der Kläger vor ihn mit geballter Faust und mit den Worten: „Wissen Sie, was ich dagegen in meiner Jugend gemacht habe? Da machte ich einfach von meinem Faustrecht Gebrauch!" Das gab zu einer weiteren Beleidigungsklage Anlaß. Dem Gericht gelang aber auch hier eine vergleichsweise Einigung der Parteien. Ganz auf dem Boden dieser wirklich vor Gericht verhandelten Prozesse, welche klarlegen, wie beliebige an sich sehr unschuldige Worte zu Beleidigungen werden können, steht die mit trefflichem Humor erdichtete „Injurienklage", die Ernst Langer (neuerdings in fünfter Auflage) als „komische dörfliche Szene in einem Akt" uuter dem Titel „Das Mohhorn" veröffentlicht hat. Sie darf hier nicht übergangen werden, weil ihr Gegenstand in engster Beziehung zu der Frage steht, inwiefern das Wort „Horn" zum Scheltwort werden könne. In Schlesien, dem Heimatlande dieses „Mohhorn", war es noch während der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts üblich und ist wohl auch jetzt üblich, daß zum Martinitag die Schulkinder Sammlungen veranstalteten, um ihrem Lehrer einen großen, an einer Stelle offenen Kuchenring zu stiften, in der Form, wie er hier abgebildet ist. Er führt seit Alters im Volksmunde den [Abbildung] Namen Mohhorn und ist nichts anderes als ein Festlichen mit einer Mohn¬ einlage. In Breslau hieß vor dreißig Jahren und heißt wohl noch das in Deutschland allgemein übliche Hörnchengebäck „Mohhörndl" (ausgesprochen „Mohhärndl"). Jedem heutigen Besucher des Riesengebirgs ist als Gasthaus des Aupatals (unfern der Schneekoppe) die „Mohhornmühle" bekannt. Ernst Langer läßt nun einen Bauer vor dem Gerichte einer „Gregurienklage" halber erscheinen und auf die Frage des Genchtsschreibers, mit welchen Worten ihn der von ihm angegriffene Bauer beleidigt habe, die Antwort geben, „A soate Mohhorn verfluchtes! und ich wär' ein Osse meener ganzen Posentnr nach . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/67>, abgerufen am 29.12.2024.