Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel Rückwärts oder vorwärts? Aus dem Elsaß wird uns geschrieben: Nochmals Zabern! Nun, die Manchem, der hier eine neue Heimat sucht, mag die Pflicht schwer fallen, Wir leben hier in einem Lande mit vorwiegend demokratischer Ein¬ Reichsspiegel Rückwärts oder vorwärts? Aus dem Elsaß wird uns geschrieben: Nochmals Zabern! Nun, die Manchem, der hier eine neue Heimat sucht, mag die Pflicht schwer fallen, Wir leben hier in einem Lande mit vorwiegend demokratischer Ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328044"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_327465/figures/grenzboten_341899_327465_328044_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel</head><lb/> <div n="2"> <head> Rückwärts oder vorwärts?</head><lb/> <p xml:id="ID_2691"> Aus dem Elsaß wird uns geschrieben: Nochmals Zabern! Nun, die<lb/> folgenden Erörterungen gelten jenen sonst genugsam verhandelten Vorgängen nur<lb/> insofern, als sie sich besonders geeignet zeigen, vorhandene Schäden aufzudecken<lb/> und für die Zukunft heilsame Lehren zu bieten. Das ist das Gute an dieser<lb/> leidigen Geschichte, daß sie zu ernster Selbstbesinnung mahnt, den Krieger wie<lb/> den Beamten und Bürger, altdeutsche wie alteingesessene Bevölkerung. In<lb/> diesem Sinne wird man sich ihrer gewiß noch oftmals zu erinnern haben,<lb/> und so rechtfertigen sich auch diese Zeilen eines Eingewanderten, den eine mehr<lb/> als dreißigjährige Wirksamkeit im Elsaß mit Land und Leuten vertraut ge¬<lb/> macht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_2692"> Manchem, der hier eine neue Heimat sucht, mag die Pflicht schwer fallen,<lb/> sich einzuleben, und um so schwerer, je mehr sich Denk- und Lebensweise seiner<lb/> Landsleute von der hiesigen unterscheiden; er muß sich aber wenigstens be¬<lb/> mühen, Verständnis zu gewinnen und gewisse Schroffheiten, die jede Landschaft<lb/> ausbildet, abzutun. Anderseits soll man dem Fremdling, der sich redlich sein<lb/> Heimatrecht zu erwerben strebt, auch die Erde nicht mißgönnen und seinen<lb/> guten Daseinsformen die Berechtigung absprechen. Wir sollen nicht nur Duldung<lb/> gegeneinander üben, wir können auch viel voneinander lernen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2693" next="#ID_2694"> Wir leben hier in einem Lande mit vorwiegend demokratischer Ein¬<lb/> wohnerschaft. Das bezieht sich nicht sowohl auf das vielfach noch recht unklar<lb/> umherfahrende politische Urteil, als vielmehr auf langgehegte, wohlbcwährte<lb/> gesellschaftliche Anschauung, die in Beruf und Verkehr die Stunde einander<lb/> nähert und alle Kreise der Bevölkerung mit dem gleichmäßigen Gefühl engerer<lb/> Zusammengehörigkeit erfüllt, mit dem trotz mannigfacher landschaftlich bedingter<lb/> Eigentümlichkeiten doch entschieden ausgeprägten Bewußtsein eines gemeinsamen,<lb/> in alter Vergangenheit wurzelnden Volkstums, dessen deutscher Kern durch allen<lb/> Überstrich französischer Bildung und Sprache immer wieder hervorscheint. Sie<lb/> begünstigt auch das heilsame Aufsteigen strebsamer Elemente aus den gesunden</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0578]
[Abbildung]
Reichsspiegel
Rückwärts oder vorwärts?
Aus dem Elsaß wird uns geschrieben: Nochmals Zabern! Nun, die
folgenden Erörterungen gelten jenen sonst genugsam verhandelten Vorgängen nur
insofern, als sie sich besonders geeignet zeigen, vorhandene Schäden aufzudecken
und für die Zukunft heilsame Lehren zu bieten. Das ist das Gute an dieser
leidigen Geschichte, daß sie zu ernster Selbstbesinnung mahnt, den Krieger wie
den Beamten und Bürger, altdeutsche wie alteingesessene Bevölkerung. In
diesem Sinne wird man sich ihrer gewiß noch oftmals zu erinnern haben,
und so rechtfertigen sich auch diese Zeilen eines Eingewanderten, den eine mehr
als dreißigjährige Wirksamkeit im Elsaß mit Land und Leuten vertraut ge¬
macht hat.
Manchem, der hier eine neue Heimat sucht, mag die Pflicht schwer fallen,
sich einzuleben, und um so schwerer, je mehr sich Denk- und Lebensweise seiner
Landsleute von der hiesigen unterscheiden; er muß sich aber wenigstens be¬
mühen, Verständnis zu gewinnen und gewisse Schroffheiten, die jede Landschaft
ausbildet, abzutun. Anderseits soll man dem Fremdling, der sich redlich sein
Heimatrecht zu erwerben strebt, auch die Erde nicht mißgönnen und seinen
guten Daseinsformen die Berechtigung absprechen. Wir sollen nicht nur Duldung
gegeneinander üben, wir können auch viel voneinander lernen.
Wir leben hier in einem Lande mit vorwiegend demokratischer Ein¬
wohnerschaft. Das bezieht sich nicht sowohl auf das vielfach noch recht unklar
umherfahrende politische Urteil, als vielmehr auf langgehegte, wohlbcwährte
gesellschaftliche Anschauung, die in Beruf und Verkehr die Stunde einander
nähert und alle Kreise der Bevölkerung mit dem gleichmäßigen Gefühl engerer
Zusammengehörigkeit erfüllt, mit dem trotz mannigfacher landschaftlich bedingter
Eigentümlichkeiten doch entschieden ausgeprägten Bewußtsein eines gemeinsamen,
in alter Vergangenheit wurzelnden Volkstums, dessen deutscher Kern durch allen
Überstrich französischer Bildung und Sprache immer wieder hervorscheint. Sie
begünstigt auch das heilsame Aufsteigen strebsamer Elemente aus den gesunden
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