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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Modernes Hellenentum

Nach wenigen Augenblicken war Sebastian allein. Er stand noch vor dem
Mauerloch und der Mond schien in sein blasses Geficht. Wie schnell war sie an
der schwanken Brücke hinabgeglitten, dann stand sie an der anderen Seite; noch
einmal winkte sie und es klang wie ein Dankeswort zu ihm herüber. Die
Eulen schrien, vom Turm klangen einige Schläge und er wußte, daß die Mitter¬
nachtsstunde bald vorüber sein würde.

Langsam ging er ins Haus, verbarg mit zitternden Händen das Bündel
und kniete in seinem Betstuhl nieder. Über ihm hing der heilige Sebastian
und lächelte bei all seinen Schmerzen. Waren sie so schlimm gewesen als die,
die ein sündiger Mensch setzt empfand? Sebastian legte den Kopf in die Hände
und weinte.

(Fortsetzung folgt)




Modernes Hellenentum
v Losta de Londoyanni on

den auf der Akropolis stehen die edlen Reste des Parthenon und
überragen weithin sichtbar die Stadt Athen und ihre Umgebung.
Aber es ist leider nicht nur das materielle Athen, das sie be¬
herrschen.

Naht ein Schiff dem griechischen Gestade, so fliegen alle
Blicke den Denkmälern einer entschwundenen Herrlichkeit zu. In der Stadt
selbst schweift der Fremde zwischen Trümmerhaufen umher, um sich aus ihnen
mit Hilfe von Eingepauktem, Gehörten, Gelesenen und eigener Phantasie eine
alte Welt aus Marmor und Tunika aufzubauen. Nichts kümmert ihn, was
er sonst sieht: die ihm begegnenden Menschen, die von ihm durchwanderten
Straßen find ihm angesichts der alten Kunstschätze nur ein notwendiges Übel,
eine unterhaltsame Kuriosität. Weh dir, mein armes Griechenland! Wirst du
immer nichts sein als Parthenon und Akropolis?

Dies aber ist das wirkliche Athen. In einem Caföhaus -- Athen ist
übervoll von ihnen -- sitzt breit der griechische Philister, der Kleinbürger. Im
Dunste von türkischem Kaffee und Zigarettenrauch baut er sich auf seine höchst
eigenen Berechnungen und Theorien ein neues Wunderreich des Schlaraffen¬
lebens auf. Der vornehme Grieche aber will gar kein Grieche sein. Er ver¬
bringt den Nachmittag in irgendeiner pokerspielenden Damengesellschaft mit


Modernes Hellenentum

Nach wenigen Augenblicken war Sebastian allein. Er stand noch vor dem
Mauerloch und der Mond schien in sein blasses Geficht. Wie schnell war sie an
der schwanken Brücke hinabgeglitten, dann stand sie an der anderen Seite; noch
einmal winkte sie und es klang wie ein Dankeswort zu ihm herüber. Die
Eulen schrien, vom Turm klangen einige Schläge und er wußte, daß die Mitter¬
nachtsstunde bald vorüber sein würde.

Langsam ging er ins Haus, verbarg mit zitternden Händen das Bündel
und kniete in seinem Betstuhl nieder. Über ihm hing der heilige Sebastian
und lächelte bei all seinen Schmerzen. Waren sie so schlimm gewesen als die,
die ein sündiger Mensch setzt empfand? Sebastian legte den Kopf in die Hände
und weinte.

(Fortsetzung folgt)




Modernes Hellenentum
v Losta de Londoyanni on

den auf der Akropolis stehen die edlen Reste des Parthenon und
überragen weithin sichtbar die Stadt Athen und ihre Umgebung.
Aber es ist leider nicht nur das materielle Athen, das sie be¬
herrschen.

Naht ein Schiff dem griechischen Gestade, so fliegen alle
Blicke den Denkmälern einer entschwundenen Herrlichkeit zu. In der Stadt
selbst schweift der Fremde zwischen Trümmerhaufen umher, um sich aus ihnen
mit Hilfe von Eingepauktem, Gehörten, Gelesenen und eigener Phantasie eine
alte Welt aus Marmor und Tunika aufzubauen. Nichts kümmert ihn, was
er sonst sieht: die ihm begegnenden Menschen, die von ihm durchwanderten
Straßen find ihm angesichts der alten Kunstschätze nur ein notwendiges Übel,
eine unterhaltsame Kuriosität. Weh dir, mein armes Griechenland! Wirst du
immer nichts sein als Parthenon und Akropolis?

Dies aber ist das wirkliche Athen. In einem Caföhaus — Athen ist
übervoll von ihnen — sitzt breit der griechische Philister, der Kleinbürger. Im
Dunste von türkischem Kaffee und Zigarettenrauch baut er sich auf seine höchst
eigenen Berechnungen und Theorien ein neues Wunderreich des Schlaraffen¬
lebens auf. Der vornehme Grieche aber will gar kein Grieche sein. Er ver¬
bringt den Nachmittag in irgendeiner pokerspielenden Damengesellschaft mit


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[0292] Modernes Hellenentum Nach wenigen Augenblicken war Sebastian allein. Er stand noch vor dem Mauerloch und der Mond schien in sein blasses Geficht. Wie schnell war sie an der schwanken Brücke hinabgeglitten, dann stand sie an der anderen Seite; noch einmal winkte sie und es klang wie ein Dankeswort zu ihm herüber. Die Eulen schrien, vom Turm klangen einige Schläge und er wußte, daß die Mitter¬ nachtsstunde bald vorüber sein würde. Langsam ging er ins Haus, verbarg mit zitternden Händen das Bündel und kniete in seinem Betstuhl nieder. Über ihm hing der heilige Sebastian und lächelte bei all seinen Schmerzen. Waren sie so schlimm gewesen als die, die ein sündiger Mensch setzt empfand? Sebastian legte den Kopf in die Hände und weinte. (Fortsetzung folgt) Modernes Hellenentum v Losta de Londoyanni on den auf der Akropolis stehen die edlen Reste des Parthenon und überragen weithin sichtbar die Stadt Athen und ihre Umgebung. Aber es ist leider nicht nur das materielle Athen, das sie be¬ herrschen. Naht ein Schiff dem griechischen Gestade, so fliegen alle Blicke den Denkmälern einer entschwundenen Herrlichkeit zu. In der Stadt selbst schweift der Fremde zwischen Trümmerhaufen umher, um sich aus ihnen mit Hilfe von Eingepauktem, Gehörten, Gelesenen und eigener Phantasie eine alte Welt aus Marmor und Tunika aufzubauen. Nichts kümmert ihn, was er sonst sieht: die ihm begegnenden Menschen, die von ihm durchwanderten Straßen find ihm angesichts der alten Kunstschätze nur ein notwendiges Übel, eine unterhaltsame Kuriosität. Weh dir, mein armes Griechenland! Wirst du immer nichts sein als Parthenon und Akropolis? Dies aber ist das wirkliche Athen. In einem Caföhaus — Athen ist übervoll von ihnen — sitzt breit der griechische Philister, der Kleinbürger. Im Dunste von türkischem Kaffee und Zigarettenrauch baut er sich auf seine höchst eigenen Berechnungen und Theorien ein neues Wunderreich des Schlaraffen¬ lebens auf. Der vornehme Grieche aber will gar kein Grieche sein. Er ver¬ bringt den Nachmittag in irgendeiner pokerspielenden Damengesellschaft mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/292>, abgerufen am 28.12.2024.