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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Wien zur Vermählung seines Sohnes reiste,
die Veröffentlichung über den RückVersiche¬
rungsvertrag mit Rußland am 24. Oktober
1896. Es ist aber nicht notwendig, den
Inhalt des Buches noch weiter zu skizzieren.
Was hier gesagt worden ist, wird zur Ge¬
nüge zeigen, wie wichtig diese Veröffent¬
lichung ist. Sie enthält eben, wie schon be¬
merkt, ein Material, das, obwohl inhaltlich
nicht gerade durchweg neu, doch durch die
besonderen Umstände, unter denen eS ge¬
sammelt worden ist, ein eigenes Antlitz er¬
halten hat und dem künftigen Bismarck-
Forscher wie jedem Historiker unserer Zeit
unentbehrlich sein wird. !V. von Massow

Wirtschaft

Erbschaftssteucrfragen. Über das Erb¬
recht des Staates denke ich ganz so wie die
Grenzboten, deren Grundsätze ja jetzt von
der öffentlichen Meinung und von den Gesetz¬
gebern als richtig anerkannt werden, und
will demnach, daß, wenn der Verstorbene kein
Testament gemacht hat, an die Stelle der
lachenden Erben der Staat oder das Reich
trete. Für die ohne Zweifel bevorstehende
definitive Regelung der Erbschaftssteuer aber
möchte ich gründlicher Erwägung zwei Ge¬
danken empfehlen, mit denen sich die Forde¬
rung größter Schonung gewisser Kategorien
von Erben begründen läßt. Der eine ist der
soziale, daß Progressive Besteuerung des
Kindeserbes nicht bloß um der Staatsfinanzen
willen geboten ist, sondern auch zu dem Zweck,
dein übermäßigen Anwachsen der großen Ver¬
mögen Schranken zu ziehen. Daß in den
Bereinigten Staaten eine kleine Gruppe von
Milliardären den Staat beherrscht, das Volk
ausbeutet und den Staatszweck vereitelt, da¬
für haben wir ja das Zeugnis des aller-
kvmpetentesten Beurteilers, des Staatsober¬
hauptes Wilson, der es in seinem Buche,
'I'tie new t^reeclmn, beweist. Zwar reicht
eine hohe Erbschaftssteuer, wenn sie nicht den
Charakter der Konfiskation annimmt, für sich
allein nicht hin, solchen Ausschreitungen vor¬
zubeugen, aber der Staat sollte durch sie
wenigstens seinen Willen bekunden, in dieser
Beziehung sein Möglichstes zu tun. Mit dem
Worte Sozialismus lassen sich ja heute ver¬

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ständige Politiker nicht mehr schrecken, denn
sie wissen, daß der Staat selbst eine oder
vielmehr die sozialistische Institution ist, und
daß in politicis die Frage nicht lautet: So¬
zialismus oder Individualismus?, sondern:
vernünftiger oder unvernünftiger Sozialismus;
die Ansammlung von Privatreichtum ver¬
bieten oder was über ein bestimmtes Maß
hinausgeht konfiszieren, würde unvernünftiger
Sozialismus sein.

Nun ist es klar, daß dieser Zweck der
Besteuerung des Kindeserbes nur bei großen
Vermögen mitwirken kann. Gibt es demnach
bei kleinem Nachlaß keinen Politischen Grund
für diese Steuer, so wird sie durch einen
Rechtsgrund nahezu verboten: durch die Er¬
wägung, daß der Wille des Erblasser" das
ist, was über die Verwendung seines Nach¬
lasses in erster Linie zu entscheiden hat. Daß
das Blut nicht das entscheidende ist, darin
haben die Befürworter des Erbrechts des
Staates vollkommen recht: wir sind heute
nicht mehr bloße Glieder einer Sippe, son¬
dern selbständige Persönlichkeiten. Aber eben
als solche wollen wir, daß die materiellen
Früchte unserer Arbeit denen gesichert wer¬
den, die uns am nächsten stehen. Für die
meisten Menschen sind das, vom Ausnahme¬
fall zerrütteter Familienverhältnisse abgesehen,
die Kinder und der überlebende Gatte.
Wenn nun der Erblasser ein kleiner Landwirt
oder Handwerker oder Kaufmann und der
Erbe sein Nachfolger in der Wirtschaft, im
Geschäft ist, dann kann diesem schon ein kleiner
Abzug vom Erbe die Existenz gefährden oder
übermäßig erschweren. Das widerspricht aufs
schroffste dem Willen des Erblassers, und der
geht als eine der heilig zu haltenden Grund¬
lagen unserer auf das Privateigentum ge¬
gründeten Gesellschaftsordnung dem in diesem
Falle sehr unbedeutenden Finanzvorteile des
Staates vor. Wir haben hier einen der
Fälle, wo die Quantität in Qualität um¬
schlägt: kleine Erbschaften sind anders zu be¬
handeln als große. Das hat auch der radi¬
kale Lloyd George eingesehen; er läßt darum
die Besteuerung des Kindes- und Gattenerbes
erst bei 6 000 Pfund beginnen. (So gibt
er selbst an in einer der Reden, die unter
dem Titel "Bessere Zeiten" deutsch erschienen
sind; in unseren Zeitungen lausen Wider-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Wien zur Vermählung seines Sohnes reiste,
die Veröffentlichung über den RückVersiche¬
rungsvertrag mit Rußland am 24. Oktober
1896. Es ist aber nicht notwendig, den
Inhalt des Buches noch weiter zu skizzieren.
Was hier gesagt worden ist, wird zur Ge¬
nüge zeigen, wie wichtig diese Veröffent¬
lichung ist. Sie enthält eben, wie schon be¬
merkt, ein Material, das, obwohl inhaltlich
nicht gerade durchweg neu, doch durch die
besonderen Umstände, unter denen eS ge¬
sammelt worden ist, ein eigenes Antlitz er¬
halten hat und dem künftigen Bismarck-
Forscher wie jedem Historiker unserer Zeit
unentbehrlich sein wird. !V. von Massow

Wirtschaft

Erbschaftssteucrfragen. Über das Erb¬
recht des Staates denke ich ganz so wie die
Grenzboten, deren Grundsätze ja jetzt von
der öffentlichen Meinung und von den Gesetz¬
gebern als richtig anerkannt werden, und
will demnach, daß, wenn der Verstorbene kein
Testament gemacht hat, an die Stelle der
lachenden Erben der Staat oder das Reich
trete. Für die ohne Zweifel bevorstehende
definitive Regelung der Erbschaftssteuer aber
möchte ich gründlicher Erwägung zwei Ge¬
danken empfehlen, mit denen sich die Forde¬
rung größter Schonung gewisser Kategorien
von Erben begründen läßt. Der eine ist der
soziale, daß Progressive Besteuerung des
Kindeserbes nicht bloß um der Staatsfinanzen
willen geboten ist, sondern auch zu dem Zweck,
dein übermäßigen Anwachsen der großen Ver¬
mögen Schranken zu ziehen. Daß in den
Bereinigten Staaten eine kleine Gruppe von
Milliardären den Staat beherrscht, das Volk
ausbeutet und den Staatszweck vereitelt, da¬
für haben wir ja das Zeugnis des aller-
kvmpetentesten Beurteilers, des Staatsober¬
hauptes Wilson, der es in seinem Buche,
'I'tie new t^reeclmn, beweist. Zwar reicht
eine hohe Erbschaftssteuer, wenn sie nicht den
Charakter der Konfiskation annimmt, für sich
allein nicht hin, solchen Ausschreitungen vor¬
zubeugen, aber der Staat sollte durch sie
wenigstens seinen Willen bekunden, in dieser
Beziehung sein Möglichstes zu tun. Mit dem
Worte Sozialismus lassen sich ja heute ver¬

[Spaltenumbruch]

ständige Politiker nicht mehr schrecken, denn
sie wissen, daß der Staat selbst eine oder
vielmehr die sozialistische Institution ist, und
daß in politicis die Frage nicht lautet: So¬
zialismus oder Individualismus?, sondern:
vernünftiger oder unvernünftiger Sozialismus;
die Ansammlung von Privatreichtum ver¬
bieten oder was über ein bestimmtes Maß
hinausgeht konfiszieren, würde unvernünftiger
Sozialismus sein.

Nun ist es klar, daß dieser Zweck der
Besteuerung des Kindeserbes nur bei großen
Vermögen mitwirken kann. Gibt es demnach
bei kleinem Nachlaß keinen Politischen Grund
für diese Steuer, so wird sie durch einen
Rechtsgrund nahezu verboten: durch die Er¬
wägung, daß der Wille des Erblasser« das
ist, was über die Verwendung seines Nach¬
lasses in erster Linie zu entscheiden hat. Daß
das Blut nicht das entscheidende ist, darin
haben die Befürworter des Erbrechts des
Staates vollkommen recht: wir sind heute
nicht mehr bloße Glieder einer Sippe, son¬
dern selbständige Persönlichkeiten. Aber eben
als solche wollen wir, daß die materiellen
Früchte unserer Arbeit denen gesichert wer¬
den, die uns am nächsten stehen. Für die
meisten Menschen sind das, vom Ausnahme¬
fall zerrütteter Familienverhältnisse abgesehen,
die Kinder und der überlebende Gatte.
Wenn nun der Erblasser ein kleiner Landwirt
oder Handwerker oder Kaufmann und der
Erbe sein Nachfolger in der Wirtschaft, im
Geschäft ist, dann kann diesem schon ein kleiner
Abzug vom Erbe die Existenz gefährden oder
übermäßig erschweren. Das widerspricht aufs
schroffste dem Willen des Erblassers, und der
geht als eine der heilig zu haltenden Grund¬
lagen unserer auf das Privateigentum ge¬
gründeten Gesellschaftsordnung dem in diesem
Falle sehr unbedeutenden Finanzvorteile des
Staates vor. Wir haben hier einen der
Fälle, wo die Quantität in Qualität um¬
schlägt: kleine Erbschaften sind anders zu be¬
handeln als große. Das hat auch der radi¬
kale Lloyd George eingesehen; er läßt darum
die Besteuerung des Kindes- und Gattenerbes
erst bei 6 000 Pfund beginnen. (So gibt
er selbst an in einer der Reden, die unter
dem Titel „Bessere Zeiten" deutsch erschienen
sind; in unseren Zeitungen lausen Wider-

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[0105] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wien zur Vermählung seines Sohnes reiste, die Veröffentlichung über den RückVersiche¬ rungsvertrag mit Rußland am 24. Oktober 1896. Es ist aber nicht notwendig, den Inhalt des Buches noch weiter zu skizzieren. Was hier gesagt worden ist, wird zur Ge¬ nüge zeigen, wie wichtig diese Veröffent¬ lichung ist. Sie enthält eben, wie schon be¬ merkt, ein Material, das, obwohl inhaltlich nicht gerade durchweg neu, doch durch die besonderen Umstände, unter denen eS ge¬ sammelt worden ist, ein eigenes Antlitz er¬ halten hat und dem künftigen Bismarck- Forscher wie jedem Historiker unserer Zeit unentbehrlich sein wird. !V. von Massow Wirtschaft Erbschaftssteucrfragen. Über das Erb¬ recht des Staates denke ich ganz so wie die Grenzboten, deren Grundsätze ja jetzt von der öffentlichen Meinung und von den Gesetz¬ gebern als richtig anerkannt werden, und will demnach, daß, wenn der Verstorbene kein Testament gemacht hat, an die Stelle der lachenden Erben der Staat oder das Reich trete. Für die ohne Zweifel bevorstehende definitive Regelung der Erbschaftssteuer aber möchte ich gründlicher Erwägung zwei Ge¬ danken empfehlen, mit denen sich die Forde¬ rung größter Schonung gewisser Kategorien von Erben begründen läßt. Der eine ist der soziale, daß Progressive Besteuerung des Kindeserbes nicht bloß um der Staatsfinanzen willen geboten ist, sondern auch zu dem Zweck, dein übermäßigen Anwachsen der großen Ver¬ mögen Schranken zu ziehen. Daß in den Bereinigten Staaten eine kleine Gruppe von Milliardären den Staat beherrscht, das Volk ausbeutet und den Staatszweck vereitelt, da¬ für haben wir ja das Zeugnis des aller- kvmpetentesten Beurteilers, des Staatsober¬ hauptes Wilson, der es in seinem Buche, 'I'tie new t^reeclmn, beweist. Zwar reicht eine hohe Erbschaftssteuer, wenn sie nicht den Charakter der Konfiskation annimmt, für sich allein nicht hin, solchen Ausschreitungen vor¬ zubeugen, aber der Staat sollte durch sie wenigstens seinen Willen bekunden, in dieser Beziehung sein Möglichstes zu tun. Mit dem Worte Sozialismus lassen sich ja heute ver¬ ständige Politiker nicht mehr schrecken, denn sie wissen, daß der Staat selbst eine oder vielmehr die sozialistische Institution ist, und daß in politicis die Frage nicht lautet: So¬ zialismus oder Individualismus?, sondern: vernünftiger oder unvernünftiger Sozialismus; die Ansammlung von Privatreichtum ver¬ bieten oder was über ein bestimmtes Maß hinausgeht konfiszieren, würde unvernünftiger Sozialismus sein. Nun ist es klar, daß dieser Zweck der Besteuerung des Kindeserbes nur bei großen Vermögen mitwirken kann. Gibt es demnach bei kleinem Nachlaß keinen Politischen Grund für diese Steuer, so wird sie durch einen Rechtsgrund nahezu verboten: durch die Er¬ wägung, daß der Wille des Erblasser« das ist, was über die Verwendung seines Nach¬ lasses in erster Linie zu entscheiden hat. Daß das Blut nicht das entscheidende ist, darin haben die Befürworter des Erbrechts des Staates vollkommen recht: wir sind heute nicht mehr bloße Glieder einer Sippe, son¬ dern selbständige Persönlichkeiten. Aber eben als solche wollen wir, daß die materiellen Früchte unserer Arbeit denen gesichert wer¬ den, die uns am nächsten stehen. Für die meisten Menschen sind das, vom Ausnahme¬ fall zerrütteter Familienverhältnisse abgesehen, die Kinder und der überlebende Gatte. Wenn nun der Erblasser ein kleiner Landwirt oder Handwerker oder Kaufmann und der Erbe sein Nachfolger in der Wirtschaft, im Geschäft ist, dann kann diesem schon ein kleiner Abzug vom Erbe die Existenz gefährden oder übermäßig erschweren. Das widerspricht aufs schroffste dem Willen des Erblassers, und der geht als eine der heilig zu haltenden Grund¬ lagen unserer auf das Privateigentum ge¬ gründeten Gesellschaftsordnung dem in diesem Falle sehr unbedeutenden Finanzvorteile des Staates vor. Wir haben hier einen der Fälle, wo die Quantität in Qualität um¬ schlägt: kleine Erbschaften sind anders zu be¬ handeln als große. Das hat auch der radi¬ kale Lloyd George eingesehen; er läßt darum die Besteuerung des Kindes- und Gattenerbes erst bei 6 000 Pfund beginnen. (So gibt er selbst an in einer der Reden, die unter dem Titel „Bessere Zeiten" deutsch erschienen sind; in unseren Zeitungen lausen Wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/105>, abgerufen am 28.12.2024.