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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts

Schicksal aller Gesetzvorlagen entschieden wird. Die Mitglieder dieser Ausschüsse
sind gewiegte und erfahrene Politiker, berechnende Männer der Praxis mit
unheimlich scharfem Blick und bis zur Schroffheit gesteigerter Rücksichtslosigkeit.
Diese Männer, die sich wahrlich durch Titel, Orden und Adelsprädikate nicht
blenden lassen, bestimmen nicht nur die Richtung der auswärtigen Politik,
sondern es liegt auch in ihrer Macht, das ganze Volk für oder gegen eine
fremde Negierung und deren Forderungen zu beeinflussen. Durch Feste und
Bankette, durch Glanz und Prunk sind diese Männer nicht zu gewinnen, denn
sie sind entweder selbst sehr reich oder durchaus anspruchslos. Wer etwas durch
sie erreichen will, der muß ihnen durch Geschicklichkeit, Lebenserfahrung, Welt¬
kenntnis und Klugheit Achtung abringen. Durch geschickten Verkehr mit einflu߬
reichen Senatoren und Repräsentanten wird der kluge europäische Diplomat
erreichen, daß für die Vorschläge seiner Regierung schon eine sichere Majorität
in den Ausschüssen gewonnen ist, wenn er sie dem "Staatsdepartement" (Aus¬
wärtiges Amt) oder dem Präsidenten vorlegt. Leider verstehen sich nur wenige
europäische Gesandte auf diese Kunst -- trotzdem jeder von ihnen eine Diplo¬
matenschule durchgemacht hat.




Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts

le in unseren Tagen immer allgemeiner werdende Forderung, daß
man schon die Jugend über das Wesen und die Aufgaben des
Staates belehren und ihr eine tiefere Kenntnis der mannigfachen
Erscheinungen des öffentlichen Lebens beibringen müsse, stammt
nicht erst von heute und gestern.

Und wie bei allen modernen Erscheinungen, so ist auch hier unser historisch
eingestelltes Empfinden bemüht, Ähnliches in früheren Zeitaltern aufzusuchen,
um, wenn möglich, die Fäden zu verfolgen, die das heute Erstrebte mit dem
früher Geforderten verbinden. Jede heutige Forderung sucht ja eine Art Be¬
glaubigung in dem Nachweis, daß sie auf eine historische Entwicklung zurück¬
blicken könne. Es ist auffallend, daß sich von diesem Bestreben auch nicht los¬
lösen kann, wer ein modernes Problem als solches rein systematisch zu behandeln
unternimmt.

In dieser Weise ist auch das neueste Buch verfahren, worin das Problem
der staatsbürgerlichen Erziehung nach allen Seiten hin beleuchtet wird, das von
August Messers, /^b ovo, d. h. von den Griechen und Römern, bis auf den



") Das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung (Die Pädagogik der Gegenwart,
herausgegeben von Möbuß u. Walsemann, Bd. VI), Leipzig 1912. -- Mit dem historischen
Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts

Schicksal aller Gesetzvorlagen entschieden wird. Die Mitglieder dieser Ausschüsse
sind gewiegte und erfahrene Politiker, berechnende Männer der Praxis mit
unheimlich scharfem Blick und bis zur Schroffheit gesteigerter Rücksichtslosigkeit.
Diese Männer, die sich wahrlich durch Titel, Orden und Adelsprädikate nicht
blenden lassen, bestimmen nicht nur die Richtung der auswärtigen Politik,
sondern es liegt auch in ihrer Macht, das ganze Volk für oder gegen eine
fremde Negierung und deren Forderungen zu beeinflussen. Durch Feste und
Bankette, durch Glanz und Prunk sind diese Männer nicht zu gewinnen, denn
sie sind entweder selbst sehr reich oder durchaus anspruchslos. Wer etwas durch
sie erreichen will, der muß ihnen durch Geschicklichkeit, Lebenserfahrung, Welt¬
kenntnis und Klugheit Achtung abringen. Durch geschickten Verkehr mit einflu߬
reichen Senatoren und Repräsentanten wird der kluge europäische Diplomat
erreichen, daß für die Vorschläge seiner Regierung schon eine sichere Majorität
in den Ausschüssen gewonnen ist, wenn er sie dem „Staatsdepartement" (Aus¬
wärtiges Amt) oder dem Präsidenten vorlegt. Leider verstehen sich nur wenige
europäische Gesandte auf diese Kunst — trotzdem jeder von ihnen eine Diplo¬
matenschule durchgemacht hat.




Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts

le in unseren Tagen immer allgemeiner werdende Forderung, daß
man schon die Jugend über das Wesen und die Aufgaben des
Staates belehren und ihr eine tiefere Kenntnis der mannigfachen
Erscheinungen des öffentlichen Lebens beibringen müsse, stammt
nicht erst von heute und gestern.

Und wie bei allen modernen Erscheinungen, so ist auch hier unser historisch
eingestelltes Empfinden bemüht, Ähnliches in früheren Zeitaltern aufzusuchen,
um, wenn möglich, die Fäden zu verfolgen, die das heute Erstrebte mit dem
früher Geforderten verbinden. Jede heutige Forderung sucht ja eine Art Be¬
glaubigung in dem Nachweis, daß sie auf eine historische Entwicklung zurück¬
blicken könne. Es ist auffallend, daß sich von diesem Bestreben auch nicht los¬
lösen kann, wer ein modernes Problem als solches rein systematisch zu behandeln
unternimmt.

In dieser Weise ist auch das neueste Buch verfahren, worin das Problem
der staatsbürgerlichen Erziehung nach allen Seiten hin beleuchtet wird, das von
August Messers, /^b ovo, d. h. von den Griechen und Römern, bis auf den



") Das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung (Die Pädagogik der Gegenwart,
herausgegeben von Möbuß u. Walsemann, Bd. VI), Leipzig 1912. — Mit dem historischen
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[0357] Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts Schicksal aller Gesetzvorlagen entschieden wird. Die Mitglieder dieser Ausschüsse sind gewiegte und erfahrene Politiker, berechnende Männer der Praxis mit unheimlich scharfem Blick und bis zur Schroffheit gesteigerter Rücksichtslosigkeit. Diese Männer, die sich wahrlich durch Titel, Orden und Adelsprädikate nicht blenden lassen, bestimmen nicht nur die Richtung der auswärtigen Politik, sondern es liegt auch in ihrer Macht, das ganze Volk für oder gegen eine fremde Negierung und deren Forderungen zu beeinflussen. Durch Feste und Bankette, durch Glanz und Prunk sind diese Männer nicht zu gewinnen, denn sie sind entweder selbst sehr reich oder durchaus anspruchslos. Wer etwas durch sie erreichen will, der muß ihnen durch Geschicklichkeit, Lebenserfahrung, Welt¬ kenntnis und Klugheit Achtung abringen. Durch geschickten Verkehr mit einflu߬ reichen Senatoren und Repräsentanten wird der kluge europäische Diplomat erreichen, daß für die Vorschläge seiner Regierung schon eine sichere Majorität in den Ausschüssen gewonnen ist, wenn er sie dem „Staatsdepartement" (Aus¬ wärtiges Amt) oder dem Präsidenten vorlegt. Leider verstehen sich nur wenige europäische Gesandte auf diese Kunst — trotzdem jeder von ihnen eine Diplo¬ matenschule durchgemacht hat. Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts le in unseren Tagen immer allgemeiner werdende Forderung, daß man schon die Jugend über das Wesen und die Aufgaben des Staates belehren und ihr eine tiefere Kenntnis der mannigfachen Erscheinungen des öffentlichen Lebens beibringen müsse, stammt nicht erst von heute und gestern. Und wie bei allen modernen Erscheinungen, so ist auch hier unser historisch eingestelltes Empfinden bemüht, Ähnliches in früheren Zeitaltern aufzusuchen, um, wenn möglich, die Fäden zu verfolgen, die das heute Erstrebte mit dem früher Geforderten verbinden. Jede heutige Forderung sucht ja eine Art Be¬ glaubigung in dem Nachweis, daß sie auf eine historische Entwicklung zurück¬ blicken könne. Es ist auffallend, daß sich von diesem Bestreben auch nicht los¬ lösen kann, wer ein modernes Problem als solches rein systematisch zu behandeln unternimmt. In dieser Weise ist auch das neueste Buch verfahren, worin das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung nach allen Seiten hin beleuchtet wird, das von August Messers, /^b ovo, d. h. von den Griechen und Römern, bis auf den ") Das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung (Die Pädagogik der Gegenwart, herausgegeben von Möbuß u. Walsemann, Bd. VI), Leipzig 1912. — Mit dem historischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/357>, abgerufen am 26.12.2024.