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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur neueren ZVortkunst

anerkannten Rechtsnormen und Rechtssicherheiten zu beseitigen und an ihre
Stelle die schrankenlose Freiheit -- und damit Vogelfreiheit -- des Franktireurs
oder NereKant ^äventurer8 treten lassen. Wir sind weit entfernt davon, zu
glauben, daß die britische Admiralität solche Ergebnisse wünscht; sie kann sie im
eigensten Interesse der britischen Schiffahrt nicht wünschen I Sie sind aber
unausbleiblich, zumal in einem länger dauernden Kriege. Europäische Seekriege
werden aber sehr lange dauern, zumal ein deutsch-englischer, der damit übrigens
keineswegs an die Wand gemalt werden soll.

Deutschland, welches, wie wir gesehen haben, von der britischen Maßnahme
allein "gemeint" wird, kann sie und ihre weitere Entwicklung einstweilen mit
Ruhe betrachten. Ganz abgesehen von allen die Praxis betreffenden Er¬
wägungen aber wollen wir nicht verkennen, daß dieses moderne britische Be¬
kenntnis zum "8lnK, bum, as8dro^" politisch und rechtlich die deutsche Position
zu einer außerordentlich günstigen macht. Möge man sie klug benutzen!




Zur neueren Wortkunst
Sprachliche Studien zu Detlev von Liliencron
Dr. Hans Gürtler von

ach Wahrheit in der Literatur lechzen wir," sagt Liliencron. ^Was
Idealismus, was Realismus? Beides vereinigt, ineinanderlaufend,
so solls sein." Er hat damit das Gepräge der neueren Richtung
ausgesprochen. "Allerdings, die Künstlerhand darf dann nicht
.fehlen." ^ , . - -

"Wir werden niemals den Begriff Idealismus, den Begriff Realismus
ganz haarscharf erklären können," fährt er an jener Stelle in der Novellen¬
sammlung "Roggen und Weizen" fort. Auf seine eigene Dichtung paßt keiner
der beiden Begriffe restlos, Liliencrons Dichtung ist durch und durch impressio¬
nistisch gefärbt, und dieser Begriff deckt sich auch vollkommen mit dem Naturell
des Dichters. ^ ,

Die impressionistische Kunst hält sich nicht an nebensächlichen Beiwerk auf;
ihr Blick geht aufs Ganze. Den Gesamteindruck des Ganzen in wenigen,
knappen Strichen möglichst naturgetreu wiederzugeben, so daß der Zuschauer sofort
ein anschauliches Bild vor sich entstehen sieht, gilt ihr als vornehmste Aufgabe.
Das gleiche Ziel wie der Maler, der Bildhauer, der Musiker, muß auch der
impressionistisch schildernde Dichter verfolgen. Ihm muß es darauf ankommen.


Zur neueren ZVortkunst

anerkannten Rechtsnormen und Rechtssicherheiten zu beseitigen und an ihre
Stelle die schrankenlose Freiheit — und damit Vogelfreiheit — des Franktireurs
oder NereKant ^äventurer8 treten lassen. Wir sind weit entfernt davon, zu
glauben, daß die britische Admiralität solche Ergebnisse wünscht; sie kann sie im
eigensten Interesse der britischen Schiffahrt nicht wünschen I Sie sind aber
unausbleiblich, zumal in einem länger dauernden Kriege. Europäische Seekriege
werden aber sehr lange dauern, zumal ein deutsch-englischer, der damit übrigens
keineswegs an die Wand gemalt werden soll.

Deutschland, welches, wie wir gesehen haben, von der britischen Maßnahme
allein „gemeint" wird, kann sie und ihre weitere Entwicklung einstweilen mit
Ruhe betrachten. Ganz abgesehen von allen die Praxis betreffenden Er¬
wägungen aber wollen wir nicht verkennen, daß dieses moderne britische Be¬
kenntnis zum „8lnK, bum, as8dro^" politisch und rechtlich die deutsche Position
zu einer außerordentlich günstigen macht. Möge man sie klug benutzen!




Zur neueren Wortkunst
Sprachliche Studien zu Detlev von Liliencron
Dr. Hans Gürtler von

ach Wahrheit in der Literatur lechzen wir," sagt Liliencron. ^Was
Idealismus, was Realismus? Beides vereinigt, ineinanderlaufend,
so solls sein." Er hat damit das Gepräge der neueren Richtung
ausgesprochen. „Allerdings, die Künstlerhand darf dann nicht
.fehlen." ^ , . - -

„Wir werden niemals den Begriff Idealismus, den Begriff Realismus
ganz haarscharf erklären können," fährt er an jener Stelle in der Novellen¬
sammlung „Roggen und Weizen" fort. Auf seine eigene Dichtung paßt keiner
der beiden Begriffe restlos, Liliencrons Dichtung ist durch und durch impressio¬
nistisch gefärbt, und dieser Begriff deckt sich auch vollkommen mit dem Naturell
des Dichters. ^ ,

Die impressionistische Kunst hält sich nicht an nebensächlichen Beiwerk auf;
ihr Blick geht aufs Ganze. Den Gesamteindruck des Ganzen in wenigen,
knappen Strichen möglichst naturgetreu wiederzugeben, so daß der Zuschauer sofort
ein anschauliches Bild vor sich entstehen sieht, gilt ihr als vornehmste Aufgabe.
Das gleiche Ziel wie der Maler, der Bildhauer, der Musiker, muß auch der
impressionistisch schildernde Dichter verfolgen. Ihm muß es darauf ankommen.


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[0309] Zur neueren ZVortkunst anerkannten Rechtsnormen und Rechtssicherheiten zu beseitigen und an ihre Stelle die schrankenlose Freiheit — und damit Vogelfreiheit — des Franktireurs oder NereKant ^äventurer8 treten lassen. Wir sind weit entfernt davon, zu glauben, daß die britische Admiralität solche Ergebnisse wünscht; sie kann sie im eigensten Interesse der britischen Schiffahrt nicht wünschen I Sie sind aber unausbleiblich, zumal in einem länger dauernden Kriege. Europäische Seekriege werden aber sehr lange dauern, zumal ein deutsch-englischer, der damit übrigens keineswegs an die Wand gemalt werden soll. Deutschland, welches, wie wir gesehen haben, von der britischen Maßnahme allein „gemeint" wird, kann sie und ihre weitere Entwicklung einstweilen mit Ruhe betrachten. Ganz abgesehen von allen die Praxis betreffenden Er¬ wägungen aber wollen wir nicht verkennen, daß dieses moderne britische Be¬ kenntnis zum „8lnK, bum, as8dro^" politisch und rechtlich die deutsche Position zu einer außerordentlich günstigen macht. Möge man sie klug benutzen! Zur neueren Wortkunst Sprachliche Studien zu Detlev von Liliencron Dr. Hans Gürtler von ach Wahrheit in der Literatur lechzen wir," sagt Liliencron. ^Was Idealismus, was Realismus? Beides vereinigt, ineinanderlaufend, so solls sein." Er hat damit das Gepräge der neueren Richtung ausgesprochen. „Allerdings, die Künstlerhand darf dann nicht .fehlen." ^ , . - - „Wir werden niemals den Begriff Idealismus, den Begriff Realismus ganz haarscharf erklären können," fährt er an jener Stelle in der Novellen¬ sammlung „Roggen und Weizen" fort. Auf seine eigene Dichtung paßt keiner der beiden Begriffe restlos, Liliencrons Dichtung ist durch und durch impressio¬ nistisch gefärbt, und dieser Begriff deckt sich auch vollkommen mit dem Naturell des Dichters. ^ , Die impressionistische Kunst hält sich nicht an nebensächlichen Beiwerk auf; ihr Blick geht aufs Ganze. Den Gesamteindruck des Ganzen in wenigen, knappen Strichen möglichst naturgetreu wiederzugeben, so daß der Zuschauer sofort ein anschauliches Bild vor sich entstehen sieht, gilt ihr als vornehmste Aufgabe. Das gleiche Ziel wie der Maler, der Bildhauer, der Musiker, muß auch der impressionistisch schildernde Dichter verfolgen. Ihm muß es darauf ankommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/309>, abgerufen am 26.12.2024.